Flüchtlings-Razzien nur mit Richter*in: Wohnzimmer bleibt Schutzraum

Nächtliche Polizeiaktionen in Flüchtlingsunterkünften sind ohne Durchsuchungsbeschluss rechtswidrig. Das entschied das Oberverwaltungsgericht Hamburg.

Polizisten in Uniform und weitere Männer stehen nachts vor einem Haus. Einige von ihnen sind gerade im Begriff, hineinzugehen.

Hausdurchsuchungen gehen klar – aber nur mit Durchsuchungsbeschluss Foto: Stephan Witte/dpa

HAMBURG taz | Nächtliche Razzien von Ausländerbehörde und Polizei in Wohn­unterkünften für Geflüchtete, um Ausreisepflichtige aufzustöbern, sind ohne richterlichen Durchsuchungsbeschluss im Prinzip rechtswidrig. Das bestätigte am Dienstag das Hamburgische Oberverwaltungsgericht (OVG) und wies die Klage des Einwohnerzentralamts der Hansestadt gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts vom Februar 2019 zurück, das die kirchliche Flüchtlingshilfe Fluchtpunkt angestrengt hatte.

„Das Verwaltungsgerichtsurteil hat Bestand“, erklärte OVG-Sprecher Max Plog der taz. „Wir haben die Bestätigung bekommen, dass es keine Erlaubnis gibt, in Wohnräume von Flüchtlingen einfach einzudringen“, sagt Fluchtpunkt-Leiterin Anne Harms der taz.

Das Verwaltungsgericht hatte sich in seinem Grundsatzbeschluss auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts berufen, demzufolge Flüchtlingsunterkünfte als Schutzräume gedacht seien, in denen sich „räumliche Sphäre“ und „Privatleben entfalten“ sollen. Deshalb seien sie als geschützte Wohnung nach Artikel 13 Grundgesetz anzusehen.

In dem konkreten Fall ging es um eine jesidische Familie aus dem Irak, die nach dem Dublin-III-Abkommen in die Niederlande abgeschoben werden sollte und in der Flüchtlingsunterkunft Neuer Curslacker Deich wohnte. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hatte ihren Asylantrag verworfen, weil die Familie zunächst in Holland Asyl beantragt hatte.

Die Beamten verschafften sich mit einem Universalschlüssel, den ihnen Fördern und Wohnen, der städtische Träger der Unterkunft, zur Verfügung stellte, Zutritt zum Container mit den beiden Wohnzimmern und überraschten die Familie im Schlaf. Die durfte auf die Schnelle nur das Notwendigste zusammenpacken, die Möglichkeit einen Rechtsbeistand zu Hilfe zu holen, gab es nicht. Die Abschiebung misslang teilweise, weil die Frau hochschwanger war.

Behörde spricht nur von einer „Begehung“

Vor dem Verwaltungsgericht argumentierte das für die Hamburger Ausländerbehörde zuständige Einwohnerzentralamt, dass die Razzia nach dem hamburgischen Vollstreckungsrecht auch ohne richterliche Anordnung zulässig gewesen sei und dass es sich bei der nächtlichen Polizeiaktion nicht um eine „Durchsuchung“ im förmlichen Sinne gehandelt habe, sondern lediglich um eine „Begehung“. Durch diese „Nachschau“ habe sichergestellt werden sollen, dass sich alle Ausreisepflichtigen in dem Container befanden.

Das ließ das Verwaltungsgericht nicht gelten. Ungeachtet der Frage, wie intensiv das Durchstöbern der Wohnung gewesen sei, sei bereits das Eindringen in die Wohnräume ohne Einwilligung der Betroffenen laut Artikel 13 des Grundgesetzes ein Verstoß gegen den Grundsatz der Unverletzbarkeit der Wohnung, urteilten die VerwaltungsrichterInnen. Anders als eine Justizvollzugsanstalt gelte eine Erstaufnahmeeinrichtung nicht als geschlossene Einrichtung. „Das Asylgesetz verwendet selbst den Begriff des Wohnens“, konstatiert das Gericht.

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