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: Comeback der Herzlichkeit

Während die Infektionszahlen draußen nach dem Urlaub langsam wieder steigen

Inzwischen spielen wir wieder Fußball. Sogar mit leibhaftigen Gegnern und nicht mehr wie noch vor ein paar Wochen als reine Trainingseinheit ohne Körperkontakt in einer ansonsten so gut wie menschenleeren Sportanlage.

Beim Kicken hat sich der Ellbogengruß etabliert, den man aus den Geisterspielen im Fernsehen kennt. Im realen Leben ist der allerdings schon wieder passé, gilt als irgendwie albern. Woraus sich die Frage ergibt: Wie begrüßt man sich jetzt?

Ich erinnere mich, dass sich die Chinesin, die ich kenne, und ich am Ende des Lockdown noch mit dem Fußgruß begrüßt haben, dem Gruß, wo man erst den einen Fuß ausstreckt, um den Gegenüberfuß mit der Seite zu berühren, und dann den anderen, um dasselbe mit dem anderen zu tun.

Auch dieser Gruß hat sich nie wirklich etabliert. Ich erinnere mich auch, dass wir über ein rot-weißes Absperrband gestiegen sind, um auf dem Spielplatz Tischtennis zu spielen, schließlich waren sportliche Betätigungen weitgehend erlaubt.

Ich erinnere mich auch, dass wir von einer Mutter zusammengepfiffen wurden, weil ihre Kinder uns aus ihrer Sicht auf den Spielplatz gefolgt waren, den man damals noch nicht betreten durfte. Was nicht stimmte: Wir waren ihren Kindern gefolgt.

Das überzeugte die Mutter aber nicht, sie schimpfte weiter, so wie wir weiterspielten; direkt im Anschluss kam ein Paar, um im Bolzplatzkäfig Tennis zu spielen, und ein amerikanisches Pärchen, das wartete, dass wir endlich die Platte freigaben, und wie erleichtert wir im Grunde waren, dass sich statt absoluter Sozialkontrolle nach und nach ein erneuertes Realitätsprinzip durchsetzte.

Die sozialen Kontakte haben sich schließlich recht schnell wieder dem Niveau von VC (Vor Corona) angeglichen, und mittlerweile ist es fast wieder Standard, dass man sich zur Begrüßung umarmt. Fast wieder. Denn eine Grundverunsicherung blieb und bleibt noch, während die Infektionszahlen draußen urlaubsbedingt wieder langsam steigen. Werden sie wieder sinken, wenn die Ferienzeit vorbei ist?

Während nämlich erste Meldungen über Impfstoffe kursieren, in Russland, aber auch hierzulande, was sich leider als vorerst falsch herausstellte, diskutieren andere über Social Distancing als sowieso genuin bourgeoises Verhalten. Ich denke daran, dass mich das Umarmen in Berlin auch erst irritiert hatte, kurz nach dem Umzug, denn im Rheinland gab es diese Umarmungen auch unter besten Freunden so nicht, und besonders Anfang der neunziger Jahre wirkten noch die Coolheitsgebote der achtziger Jahre nach: Immer schön Abstand halten, bloß keine Emotionen zeigen, cool bleiben.

Und so gesehen ist das Comeback der Herzlichkeit doch auch eine recht schöne Angelegenheit. Man muss sich dabei ja nicht gleich ins Gesicht atmen. René Hamann