Die Wahrheit: Der Zorn des alten Häuptlings

Die merkwürdigsten Museen der Welt (4). Heute: Das Geronimo Springs Museum in Truth or Consequences, New Mexico, USA.

Die Autorin als New Mexican in Truth or Consequences, flankiert von trauriger Werbefigur Foto: Pia Frankenberg/©Elliott Erwitt/Magnum Photos

Nie war ich so oft im Museum wie während meiner Ehe mit einem Fotografen, einem wahren Museums-Junkie. Auf gemeinsamen Reisen besuchten wir unzählige Museen vom mittelalterlichen Torture Museum in Prag, das sich in etwa so schauerlich präsentierte wie ein Besuch in einer Kirmesgeisterbahn, bis zum Tuol Sleng Genozid Museum, dem Foltergefängnis der roten Khmer in Phnom Penh, dessen Exponate mich noch heute in meinen Träumen verfolgen.

Während eines Aufenthalts in Norwegen hatten wir mal einen Streit, nach dessen Ende das örtliche Sardinenmuseum bereits geschlossen war. An den Inhalt unseres Krachs konnte sich mein Mann nach fünf Minuten nicht mehr erinnern, aber noch Jahre später beklagte er sich über die entgangene Gelegenheit, verfranste Fischernetze und rostige Sardinendosen abzulichten.

Vor mehr als zwanzig Jahren führte uns eine Story nach New Mexico in ein Wüstenkaff namens Truth or Consequences. Der Ort bestand aus einem Haufen Trödelläden und einer Menge Badehäuser, in denen man in heißen Quellen planschen konnte, alles verteilt auf Broadway und Main Street, über die wie in alten Western unkrautige Tumbleweedbälle kullerten. „T & C“ lebt von seinen heißen Quellen und hieß ursprünglich mal Hot Springs, aber 1950 versprach der Produzent einer Radio Quiz Show namens „Truth or Consequences“ der ersten Stadt, die bereit war, sich nach seiner Sendung zu benennen, diese fortan dort zu produzieren. Zwei Drittel der Einwohner stimmten dafür, was darauf schließen lässt, dass die Gemeinde schon damals unter Ereignisarmut litt. Der glorreiche Tag der Entscheidung wird jedenfalls immer noch jährlich mit einer Fiesta begangen.

Leuchttürme des Kulturlebens

Wir machten es uns in einem Motelzimmer, das perfekt war, um darin Selbstmord zu begehen, mit einem Sixpack gemütlich. Am nächsten Tag grasten wir auf der Suche nach fototauglichen Motiven die mit Nippes und Krempel vollgestopften Junk-Läden ab. Kurz davor, uns vor Verzweiflung in unserem Motel zu entleiben, entdeckten wir die Leuchttürme des örtlichen Kulturlebens: Callahan’s Car Museum, in dem Fünfziger-Jahre-Rostlauben ihrer Jugend nachtrauerten, und das Geronimo Springs Museum, das sich lokaler Geschichte widmete. Dessen Grundstock bildeten von enthusiastischen Freiwilligen dekorierte Exponate, die alle Gemeindemuseen der Welt füllen und sich nur nach regionalem Stil unterscheiden: Getöpfertes, Puppen in landes- oder stammesüblicher Tracht und Landschaftsmalereien eines örtlichen Künstlerfaktotums.

Mittelpunkt der Ausstellung war die Geschichte des Apachenführers Geronimo, der letzte Native American, der sich 1886 endgültig dem Militär ergeben hatte. Nachdem seine Frau und drei Kinder von US-Soldaten umgebracht worden waren, gelang es ihm zunächst, Vergeltungsangriffe zu starten und immer wieder den mexikanischen und US-amerikanischen Feinden zu entkommen, nur um schließlich doch gefasst und die restlichen 24 Jahre seines Lebens mit seinen Leuten in einem Fort in Oklahoma eingekerkert oder auf Jahrmärkten ausgestellt zu werden.

Im Jahr 1905 ritt er bei der Vereidigung des US-Präsidenten Theodore Roosevelt in der Parade mit und bat ihn danach vergeblich, die Chiricahua zurück in ihre Heimat im Westen gehen zu lassen. Erst 1913, vier Jahre nach seinem Tod, wurden sie freigelassen. Dieser schrammelige Flachbau inmitten eines Wüstennirgendwos war alles, was von ihm übrig war, aber ich hatte das Gefühl, sein Zorn geisterte noch durch die Räume.

Dösende Hunde auf Ladeflächen

Am Abend stießen wir im örtlichen Bar-B-Que mit den Einheimischen auf ihn an, draußen auf der staubigen Straße dösten oder kläfften Hunde auf den Ladeflächen ihrer Pick-ups. Ich hatte das Gefühl, das Museum war der Ort und der Ort das Museum, und das Bier tat sein Übriges.

Auf dem Heimweg, kurz vor dem Flughafen in Albuquerque, trat mein Mann beim Anblick eines Wegweisers zum National Air and Space Museum voll auf die Bremse. Ich trabte ergeben hinter ihm her, Raketen waren noch nie so mein Ding. Drinnen wand sich eine Besucherschlange durch die Räume, wir waren mitten in einer Signierstunde mit Colonel Paul Tibbets gelandet, dem Mann, der die Atombombe über Hiroshima abgeworfen hatte. Er war bereits weit über achtzig, hatte Babyhaut und rote Bäckchen und schüttelte die Hände von Leuten, die ihre in Tarnanzüge verpackten Kinder mitgebracht hatten, damit sie einen echten Helden erlebten. Zwischen Fotos vom zerstörten Hiroshima erfuhr ich, dass er die Maschine, aus der er die Bombe abwarf, nach seiner Mutter „Enola Gay“ genannt hatte. War sie stolz darauf? Wie lebt man als Mutter mit so was?

Während Männer mit Cowboyhüten und lächelnde Frauen sich Autogramme abholten, dachte ich an das desolate Truth or Consequences mit seinen Junk-yards und dem zornigen Geronimo, und die Erinnerung an die letzten Tage trug mich zurück zu einem anderen Helden in ein anderes trauriges, aber ehrlicheres Museum.

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