Reise durch den knallbunten Eskapismus

Der Erlebnispark Disneyland ist wegen der Coronapandemie geschlossen. In einem Fotoband lassen sich seine Attraktionen erkunden

Das originale Disneylandzeichen, mit dem die Gäste auf dem Harbor Boulevard von 1958 bis 1989 begrüßt wurden

Von Brigitte Werneburg

Seit Ende Juli sind 22 Vereine der nordamerikanischen Basketballliga NBA im Disney World, Orlando, Florida, zu Hause. In den brachliegenden Ballsälen der Freizeitpark-Hotels sollen sie die durch Corona unterbrochene Saison zu Ende spielen. Wie lustig das wohl sein wird, drei Monate lang mit 769 anderen NBA-Angestellten in diesem Freizeitpark eingesperrt zu sein?

Wahrscheinlich ist für die Basketballprofis, deren Leben dem sowieso sehr nahe kommt, die Idee der Weltflucht – auch wenn sie so grandios realisiert ist wie in Disney World – nicht so spannend wie für die Mehrzahl der Leute. Zurzeit ruht der Betrieb nicht nur in Orlando, sondern auch in Anaheim, Kalifornien, wo 1955 das Urmodell in Betrieb genommen wurde. Allerdings, dank einem gerade im Taschenverlag erschienenen prächtigen Bildband eröffnet sich jetzt die letztlich absolut adäquate Möglichkeit einer virtuellen Reise in „Walt Disneys Disneyland“ und das sogar bis in die Zeit seiner Entstehung zurück.

Die umfangreichen Archivrecherchen des Autors Chris Nichols, der Kolumnist beim LA Magazine und ein engagierter Denkmalschützer ist, wird in der Fülle des Bildmaterials deutlich; den Bauplänen und Zeichnungen wie den bestürzend farbsatten Fotografien aus den 1950er und 60er Jahren. Man studiert die ersten Ideenskizzen, wundert sich über Kleiderentwürfe für die Mitarbeiter, um dann in die Ateliers zu schauen, wo die Modelle gebaut und auch schon die endgültigen Hintergründe gemalt werden.

Disneyland und seine verwandten Freizeitparks stehen für das Goldene Zeitalter des Imperial California

Was alle Stationen eint und am Ende Disneyland von anderen Freizeit-, Erlebnis- und Vergnügungsparks unterschied, war Disneys bekannter Ehrgeiz, nur Resultate von bester Qualität zu akzeptieren. Im Durchgang durch den Band wird dann auch schnell deutlich, dass Disneyland nicht einfach ein Spektakel und eine Aneinanderreihung von Attraktionen darstellte. Im Gegenteil war der Themenpark eine eigentlich filmische, ästhetisch bis ins letzte Detail ausgefeilte Erzählung.

Geboren wurde er aber aus dem Geist (und dem Kapital) des Fernsehens. Der TV-Sender ABC finanzierte Disneys Traum im Gegenzug für eine „Disneyland“ genannte Show. Die Liveübertragung des Empfangs von eingeladenen Pressevertretern im Vorfeld der Eröffnung am 17. Juli 1955 wurde von 90 Millionen Zuschauern gesehen, damals die Hälfte der Bevölkerung der Vereinigten Staaten.

Mit den Presseleuten wurden sie in der Main Street empfangen und dann in verschiedene Länder entführt wie in die Dschungel-Exotik von Adventureland, die imaginierte Go-West-Young-Man-Vergangenheit von Frontierland oder die Sleeping-Beauty-Märchenwelt von Fantasyland und last not least die Wissenschafts- und Technikentwürfe von Tomorrowland.

Ingenieure prüfen in der Jungle Cruise die Animatronik Fotos: Aus dem besprochenen Band

Die Dschungelwelt mit ihren mechanischen Tieren, aber natürlichen Pflanzen stellte wie auch die anderen thematischen Inszenierungen schon eines der zuletzt so gehypten immersiven Kunstwerke dar. Denen ganz ähnlich verfolgte auch Walt Disney mit der Erfahrung des Eintauchens eine pädagogische Mission. Hier sollten die Besucher*innen nun verstehen: „Die Erde und ihre Vielzahl tierischer Bewohner haben dazu beigetragen, unsere Kultur, unsere Künste und tatsächlich auch die Grundfesten unserer menschlichen Zivilisation zu definieren.“

Disneyland selbst definierte ein Goldenes Zeitalter, für das es gleichzeitig als Sinnbild stand: für „Imperial California“, wie der Architekturhistoriker Alan Hess die Nachkriegszeit nennt, als die Moderne in Kalifornien Einzug hielt. Bedeutende Architekten kamen im Bauboom zum Zuge, als die Immobilienbranche die Ölindustrie als wichtigsten Wirtschaftszweig ersetzte. Die Film- und Flugzeugindustrie boomte, dazu wurde Kalifornien bedeutender Universitäts- und Hochtechnologie­stand­ort. Und mit der 1961 von Walt und Ron Disney gegründeten CalArts entstand eine einflussreiche Kunsthochschule an der Westküste. Der – bevor ABC einstieg – von potentiellen Geldgebern wie den Banken bezweifelte Erfolg war sofort da. Es war ein Welterfolg. Nach dem Muster der schon 1971 eröffneten Disneyworld in Orlando folgten Tokio 1983, Paris 1992, Hongkong 2005 und zuletzt Schanghai 2016.

Chris Nichols (Hg.): „Walt Disneys Disneyland“. Taschen Verlag, Köln 2020, 328 Seiten, 40 Euro