Vietnamesische Community in Lichtenberg: Kein Ort mehr für Begegnungen

Das beliebte Dong-Xuan-Center soll nur noch für Großhändler zugelassen werden. KleingewerbebetreiberInnen stellt dies vor große Herausforderungen.

Die Kleingewerbetreibenden sollen aus dem Asia-Großmarkt in Lichtenberg ausziehen Foto: dpa

BERLIN taz | Im Dong-Xuan-Center in Lichtenberg ein Schnäppchen kaufen, im Restaurant original vietnamesisch essen und für kleines Geld zum Friseur gehen – das könnte bald vorbei sein. Jedenfalls wenn es nach dem Willen von Lichtenbergs Baustadtrat Kevin Hönicke (SPD) geht. „Das Dong-Xuan-Center ist im Flächennutzungsplan für den Großhandel vorgesehen“, sagt er der taz. „Friseure, Kosmetik- und Nagelstudios, die sich dort in großer Zahl angesiedelt haben, gehören nicht in ein Großhandelszentrum.“

Auch die vielen asiatischen Lebensmittelläden, sofern sie für den individuellen Einkauf ausgerüstet sind, will Hönicke woanders ansiedeln. „Sie können gern ihre Läden in Ladenstraßen oder Einkaufszentren in Lichtenberg eröffnen.“ Dort würden sie zur Belebung beitragen. Einkaufen sollen in Zukunft nur noch Menschen dürfen, die sich als Händler ausweisen, ähnlich wie bei der Metro. Darüber sei er mit dem Management im Gespräch. Das Betreten des riesigen Areals soll aber weiterhin für jeden erlaubt bleiben.

Allein 48 Friseur- und Kosmetikläden gäbe es in dem Asia­markt, sagt Hönicke. Nach Informationen der taz haben sie einen Brief vom Bezirksamt bekommen. Darin steht, dass es in Zukunft nicht mehr gestattet ist, ihr Gewerbe am alten Ort auszuüben. Bei den Recherchen im Dong-Xuan-Center wurde die taz vom hauseigenen Sicherheitsdienst behindert und mit einem Hausverweis bedroht. Nach Diskussionen waren vorher vereinbarte Termine, die benannt werden mussten, wieder möglich.

Wie mit der Friseurin Huong Nguyen. „Ich bin alleinerziehende Mutter“, sagt die Frau. „Ein Umzug kostet viel Geld. Geld, das ich nicht habe.“ Die Frau zeigt ihre gültige Gewerbeanmeldung. Der zufolge ist es ihr seit acht Jahren gestattet, das Friseurhandwerk im Dong-Xuan-Center auszuüben. „Das Bezirksamt kann mir das doch nicht 2012 erlauben und es mir 2020 plötzlich verbieten. Ich habe viel in meinen Laden investiert.“ Zehn Euro kostet ein einfacher Damen-Haarschnitt bei ihr. Sie sieht sich als Friseurin für arme Leute, die sich einen anderen Friseur nicht leisten können.

Gegen Gewerbeuntersagungen wird geklagt

Kollegin Kim Yen Le hat sogar erst 2018 ihr Gewerbe für ein Ausbildungszentrum für NageldesignerInnen in das Dong-Xuan-Center völlig legal umgemeldet. „Vorher war ich in Moabit. Die Räume waren zu klein. Erst nachdem mir das Bezirks­amt die Gewerbeummeldung genehmigt hat, habe ich hier investiert“, sagt sie und zählt auf: Sie habe eine Zwischenwand eingezogen, Türen vergrößert und Möbel angeschafft. Und zusätzliche Qualifikationen abgelegt, denn es war geplant, ihre Angebote zu erweitern. „Eigentlich wollte ich hier bis zur Rente arbeiten“, so die 50-Jährige. Einige Dienstleister, die namentlich nicht genannt werden wollen, haben gegen die Gewerbeuntersagung vor Gericht geklagt.

Hönicke bestätigt anhängige Klagen. Seinen Angaben zufolge gäbe es Dienstleister, die das Gewerbe unter der korrekten Adresse angemeldet hätten. Hier liege ein Mitverschulden des Bezirksamtes vor, sodass man mit ihnen anders umgehen werde als mit denen, die das Gewerbe nur unter ihrer Privatanschrift angemeldet haben. „Das sortieren wir gerade.“

Das Problem ist vielschichtig: Der Markt eröffnete 2005 auf der Fläche des ehemaligen VEB Elektrokohle Lichtenberg, also auf einer der wenigen für Produktion vorgesehenen Flächen in Berlin. Da er offiziell Großhandelszentrum war, war das mit dem Flächennutzungsplan gerade noch vereinbar. Aber der Betreiber wollte immer mehr als nur Großhandel, er wollte einen Asiamarkt.

Das Dong-Xuan-Center als Begegnungsstätte und Kulturort

„Es gibt einen steigenden Bedarf der Kunden nach heimatspezifischen Dienstleistungen wie Gastronomie, asiatischen Lebensmitteln oder CDs“, sagt Viet Duc Nguyen von der Vereinigung der Vietnamesen in Berlin und Brandenburg. Als sein Verein hörte, dass die taz zu dem Thema recherchiert, beraumt er gemeinsam mit dem Frauenverein ein Treffen mit vier VertreterInnen an, so wichtig ist ihm das Thema. „Das Dong-Xuan-Center ist für uns Vietnamesen nicht nur ein Handels­ort. Es ist Begegnungsstätte und Kulturort.“ Das wäre aber nicht mehr möglich, wenn dort ausschließlich Großhandel erlaubt wäre.

Und der Vereinsvertreter zählt auf: Viele Familien aus Rostock oder Cottbus kämen eigens am Sonntag hierher, um für den eigenen Betrieb einzukaufen. „Sie finden hier auch vietnamesische Musik-CDs für den eigenen Bedarf. Die ganze Familie bekommt den passenden Haarschnitt und kann in den Restaurants Vietnamesisch essen.“ Tran Thi Phuong vom Frauenverein, die im Dong-Xuan-Center als Großhändlerin arbeitet, ergänzt: Das Dong-Xuan-Center sei ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für Lichtenberg und inzwischen auch ein Ort, den Touristen gerne besuchen. „Das wäre nicht mehr möglich, wenn hier nur Großhandel erlaubt wäre.“

Und die Vereinsvertreter bezweifeln, dass die Friseure und Nagelstudios außerhalb des Centers überhaupt Mietflächen finden würden. Da gäbe es sprachliche Hürden. Und sie müssten die Bonität nachweisen, was sie nicht könnten. Dazu kämen höhere Mietpreise. Im Dong-Xuan-Center kostet die Warmmiete derzeit 14 Euro pro Quadratmeter. Für Großhändler ist das recht viel, für Friseure und Einzelhandelsläden hingegen günstig. Hönicke, der auch Sozialstadtrat ist, will den Übergang sozial verträglich gestalten.

Eines ist für ihn nicht verhandelbar: Die Dienstleistungsunternehmen könnten nicht länger an Sonntagen geöffnet haben. Das ist derzeit Praxis, weil der Großhandel, als der der gesamte Asiamarkt einmal gestartet war, nicht an das Ladenschlussgesetz gebunden ist. Der Bezirk hat das auch bei den anderen Läden lange toleriert. Auch die geringen Preise von 10 Euro pro Haarschnitt sieht die Friseur-Innung kritisch und befürchtet eine Wettbewerbsverzerrung.

Platz für produzierendes Gewerbe

Dass das Dong-Xuan-Center nie nur Großhandel, sondern auch ein Asiamarkt war, nahm Lichtenberg lange Zeit hin. „Wir tolerieren als Bezirk den geringfügigen Einzelhandel“, sagte 2012 Andreas Geisel (SPD), damals Bürgermeister von Lichtenberg, der taz. Das Dong-Xuan-Center „ist ein bunter Fleck und wird zunehmend von Berlinern und Touristen entdeckt, die hier ihrem Bedürfnis nach exotischem Einkauf nachgehen.“

Inzwischen haben sich die Rahmenbedingungen geändert. Lichtenbergs ehemalige Baustadträtin Birgit Monteiro (SPD) untersagte im gesamten Gewerbegebiet um die Herzbergstraße kulturelle und nicht produzierende Nutzungen. Sie wollte dort wieder Platz machen für produzierendes Gewerbe, das im Rahmen der Gentrifizierung und der wachsenden Stadt aus anderen Stadtteilen verdrängt wurde.

Auch im Dong-Xuan-Center selbst gab es schleichende Veränderungen. Denn Großhandelsbetriebe werden kaum noch von VietnamesInnen betrieben. Etwa 80 Prozent der Großhändler heute stammen aus Indien, Pakistan, der Türkei, aus China, Deutschland und den arabischen Staaten. Diejenigen Gewerbe hingegen, die kein Großhandel sind und die der Bezirk darum andernorts ansiedeln möchte, sind zu fast 100 Prozent in vietnamesischer Hand.

Nicht jeder sieht die Verdrängung kritisch

Etliche der neuen Großhändler hätten kein Problem mit der Verdrängung der Friseure und des Einzelhandels. Im Gegenteil, wie der Inder Ajaj C. sagt. „Das zieht nur Schaulustige an, die in meinen Laden kommen, ohne einzukaufen. Diese Spaziergänger stören mich.“ Dass er für wenig Geld zum Friseur gehen könne, wiege die Nachteile nicht auf. Und in die vietnamesischen Restaurants gehe er ohnehin nicht essen. „Das ist nicht mein Geschmack.“ Er zeigt auf die Lunchbox auf dem Regal. „Hat meine Frau gepackt, das esse ich.“

Vor allem jüngere Berliner VietnamesInnen sehen das Dong-Xuan-Center kritisch. Die Konzentration vietnamesischer Gewerbetreibender an einem Ort würde Integration verhindern und bietet Parallelstrukturen Raum, so einige Kritikpunkte. Lehramtsstudent Minh Hoang sagt: „Eine juristische Sonderbehandlung tut dem Ansehen der Gewerbetreibenden nicht gut und hilft ihnen auch nicht. Der Übergang muss aber sozial verträglich und in Absprache mit Interessenvertretungen erfolgen. Dafür bräuchte es meiner Meinung nach Dialoge und runde Tische.“

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