Angespannte Stimmung bei Wahl in Belarus

Die Opposition hat am Wahltag den Glauben verloren, an den Wahlurnen einen Polikwechsel einleiten zu könnnen. Viele klagen über Internetprobleme und Festnahmen

Festnahme eines Mannes in Minsk am Vortag der Präsidentschaftswahl Foto: Sergei Grits/dpa

Von Bernhard Clasen, Kiew

Weißrussland hat einen neuen Präsidenten gewählt. Um 20 Uhr Ortszeit schlossen die Wahllokale. Die Bürger konnten nicht nur am Sonntag wählen, denn bereits ab 4. August waren die Wahllokale geöffnet. Fünf Kandidaten standen zur Wahl, doch als eigentliche Herausforderin für den seit 26 Jahren herrschenden Alexander Lukaschenko galt die Philologin Swetlana Tichanowska. Ein Ergebnis lag bei Redaktionsschluss noch nicht vor. Die Beteiligung war hoch. Schon um 12 Uhr gab die Vorsitzende der Zentralen Wahlkommission, Lidia Ermoschina, eine Beteiligung von 54 Prozent durch.

Obwohl Belarus zu den Ländern gehört, die nur sehr laxe Maßnahmen gegen eine Verbreitung von Covid-19 ergriffen haben und deren Präsident die Warnungen vor der Pandemie als „Psychose“ bezeichnet hatte, wurden bei der Wahl coronabedingt Einschränkungen vorgenommen. So wurden die Vorhänge an den Wahlkabinen abgenommen. „Damit ist eine Wand frei, wollen wir doch nicht, dass in geschlossenen Räumen eine gefährliche epidemiologische Situation entsteht“, sagte Wahlkommissionschefin Ermoschina zur Begründung. Das Gesetz schreibe ja nicht vor, wie eine Wahlkabine auszusehen habe. „Wichtig ist, dass wir das Wahlgeheimnis garantieren. Und das ist garantiert, ist doch der Wähler von drei Seiten aus geschützt.“ Ebenfalls mit den Gefahren der Covid-19-Epidemie wurde die Anordnung begründet, dass sich nur drei Wahlbeobachter gleichzeitig in einem Wahllokal aufhalten dürfen. In der Praxis bedeutete dies den Ausschluss regierungsunabhängiger Beobachter.

Die Wahlen selbst verliefen ohne gewaltsame Zwischenfälle. Im ukrainischen Hromadske-Radio berichtet der im weißrussischen Grodno lebende Journalist Oles Kirkewitsch von belsat.eu, die Miliz sei in seiner Heimatstadt kaum in Augenschein getreten. Dies dürfte daran liegen, so Kirkewitsch, dass ein Großteil der Miliz aus allen Landesteilen nach Minsk abgezogen worden ist. „Die Zufahrten nach Minsk werden von Militärs kontrolliert, wichtige Straßen in Minsk sind gesperrt.“

Bei der Opposition glaubt man angesichts der jüngsten Festnahmen, der Abwesenheit internationaler Wahlbeobachter und den Schikanen gegen unabhängige Beobachter nicht mehr, dass sich mit dem Stimmzettel ein Umschwung erzielen lässt. Deshalb ruft die „Charta 97“ für den 10. August zu einem landesweiten Generalstreik in allen staatlichen Unternehmen und zu dezentralen Protestveranstaltungen auf. Ihre Forderungen: Neuwahlen und sofortige Freilassung aller politischen Gefangenen.

Weißrusslands Opposition steht mit dem Rücken zur Wand. Sieben MitarbeiterInnen der Oppositionskandidatin Swetlana Tichanowska sind inzwischen festgenommen worden, berichtet die weißrussische Agentur tut.by unter Berufung auf Tichanowska Pressesprecherin Anna Krasulina am Sonntagvormittag.

Die Menschenrechtsgruppe Charta 97 meldete Festnahmen am Freitag und Samstag. Unter den Festgenommenen sind der Vorsitzende der Belarussischen Volksfront, Grigorij Kostusew, und Jurij Meleschkewitsch vom Vorstand der Volksfront. Ebenfalls in Minsk wurden Jewgenij Ermatschenok und Olga Elisejewa festgenommen. Sie hatten ohne Erlaubnis Flugblätter verteilt. In Baranowitschi holten Polizisten den Blogger Jurij Tschudinowitsch ab, bei Tamara Potozka, einer Vertrauensperson von Swetlana Tichanowska, wurde eine Hausdurchsuchung durchgeführt.

In Gomel wurde Jewgenij Schur verhaftet. Vor seinem Haus stand in großen Lettern auf dem Asphalt „Stoppt die Kakerlake“, eine Anspielung auf Präsident Lukaschenko. Freunde des Gomeler Aktivisten Wladimir Malajew berichten, dass dieser spurlos verschwunden sei. Er hatte regelmäßig Veranstaltungen der Opposition besucht.

Zudem waren Internetzugänge in Belarus am Sonntag gezielt blockiert worden. Laut der Menschenrechtsorganisation „Frühling“ waren Dienste wie Messenger, VPN, TOR, Telegram und Google nur eingeschränkt verfügbar. Ähnliche Schwierigkeiten hatten auch regierungskritische Medien. Derweil machte das Innenministerium deutlich, dass man gegen Proteste mit der ganzen Macht der Gesetze vorgehen werde. Man komme voran mit den Ermittlungen gegen Personen, die sich am 14. Juli in Minsk an nicht genehmigten Veranstaltungen beteiligt hatten, berichtet die Internetseite des Innenministeriums. Gegen 115 Personen liefen Ordnungsverfahren.