Die Schenkung des Ölmanns

Auf dem Friedhof von Wulsdorf hat die katholische Gemeinde Bremerhavens eine Grabstelle. Sie wirkt protestantisch schlicht und ist zugewuchert. Ein abgebrochener Theologe will die jetzt zum Glänzen bringen

Schwester Adelheidis ruht ungestört, obschon ihr Kreuz Moos angesetzt hat Foto: Benno Schirrmeister

Von Benno Schirrmeister

Besonders spektakulär ist es nicht, aber das muss ja nichts heißen. Das steingefasste Rechteck auf dem Wulsdorfer Friedhof, in dem das Ferkelkraut gelb blüht und die Gräser kniehoch zittern, hat durchaus das, was in der Denkmalpflege-Literatur Zeugniswert heißt. Schließlich dokumentiert es das Leben oder vielmehr das Sterben einer Minderheit der damals ja erst werdenden Stadtgesellschaft von Bremerhaven, damals noch Geestemünde.

„Das ist“, sagt Martin Gollor, „die erste Grabstelle der katholischen Gemeinde hier“, und das stimmt. In der Mitte des Rechtecks, oder wenigstens fast, überschattet eine prächtige Blutbuche einen Stein-Jesus im Sandokan-Look, ein stämmiges Lamm auf den Schultern, eine züngelnde Schlange am Saum des faltigen Gewandes: Vorm Sockel finden sich aufgereiht ein paar schwarze, polierte Grabsteine, unter denen alle toten katholischen Geistlichen ruhen, die in Bremerhaven bislang praktiziert haben. Am linken Rand ein paar kleine Steinkreuze in Reihe, die wohl mal weiß waren, rechts wäre Platz für ebenso viele, mit Namensgravur und Daten, von Schwester Lambertina bis Schwester Adelheidis, that's it.

Martin Gollor hat einen Narren an dieser Anlage gefressen, die, das ist so, schon mal gepflegter ausgesehen haben muss. „Eine Schande“, findet er, „so mit der eigenen Vergangenheit umzugehen“, da müsse was gegen geschehen und er lässt keinen Zweifel daran, dass er das jetzt anleiern will: Das zweite Vaticanum, sagt er, denn er hat einmal ein Theologiestudium abgebrochen, also das Konzil, bei dem Ende der 1960er-Jahre die katholische Kirche versucht hat, Anschluss an die Gegenwart herzustellen, das fordere die Eigenverantwortung. „Und das ist, was ich hier versucht habe“, und zeigt auf die Grabstellen, „Eigenverantwortung, und nicht so das Hierarchische“.

Er hat eine Vordiplomarbeit darüber verfasst, ob das Kirchenrecht Teil des theologischen Fächerkanons sei, und nachgewiesen, dass dem so ist. „Diese Diplomarbeit ist auch in der Festschrift von Professor Doktor Weigand veröffentlicht worden“, sagt er, „also ich weiß, wovon ich rede.“

Das mit dem Aufsatz lässt sich nachweisen: In „Ius et Historia“, herausgegeben von Norbert Höhl, erschienen bei Echter in Würzburg a.d. 1989, firmiert er auf den Seiten 332 bis 341. Fast genauso sicher ist, dass Gollor jede Diskussion darum, ob man hier nicht wirklich etwas am Zustand der Grabanlage ändern sollte, für die nächsten fünf Jahre unmöglich gemacht hat. Der Pfarrgemeinderat jedenfalls hat keinen Redebedarf mehr. Und der zuständige Pfarrer lässt nur noch den Profi-Pressesprecher vom Bistum Hildesheim zur Angelegenheit reden.

Denn Gollor ist nicht nur ideell aktiv geworden, sondern hat auch Öffentlichkeitsarbeit betrieben, im Dienste dessen, was er für die gute und richtige Sache hält. „Ich bin“, sagt er, „Anhänger von Helmut Schmidt. Helmut Schmidt hat gesagt, Bedenkenträger kann ich nicht gebrauchen in meinem Umfeld. Ich brauche Entscheider.“ Also hat Gollor entschieden, dass nun Spenden gesammelt werden müssen für die Sanierung der Grabstelle: Überweisen sollten die Leute das aufs Gemeinde-Konto der Kirche – wo man gar nichts davon wusste und unangenehm überrascht war, als der Aufruf plötzlich in der Lokalzeitung stand.

„Die mussten das jetzt rücküberweisen“, sagt Volker Bauerfeld, der Sprecher des Bistums Hildesheim, zu dem Bremerhaven gehört, weil: Es gibt gar keine Pläne für die Sanierung, die Gollor vorantreiben will. „Die können ja nicht einfach zweckgebundene Spenden einsammeln, für etwas, was dann nicht geschieht“, sagt Bauerfeld.

Es gibt auch keine seriöse Kostenschätzung: Zwar hat der 59-Jährige, der vom Theologiestudium in ein Bauunternehmen wechselte, eine Summe von 60.000 Euro in den Raum gestellt, schließlich habe „der Denkmalpfleger gewisse Auflagen an uns formuliert“, sagt Golllor.

Allerdings würde das Denkmalamt nach Darstellung des Candidatus Thologiae auch großzügig was zuschießen für das Vorhaben: Das Landesdenkmalamt werde „rund 28.000 übernehmen“, schreibt Gollor, Ähnliches hat er dem Bischof nach Hildesheim gemeldet, und auch die Stiftung Denkmalschutz würde die gleiche Summe schultern. Und dann wäre es ja wirklich nur noch ein Klacks, zumal, das kann er belegen, die Sparkasse zugesagt hat, auch etwas beizusteuern.

„Das kann von uns aus derzeit so bleiben“

Georg Skalecki, Landeskonservator

In Bonn aber, wo die Stiftung ansässig ist, hört man davon zum ersten Mal. Und der Landeskonservator Georg Skalecki weist die Darstellung komplett zurück. Sicher handele es sich um „eine bedeutsame Grabstelle“, etwas Besonderes im protestantischen Norden und im Kontext des Denkmals Wulsdorfer Friedhof. Aber dringenden Handlungsbedarf gebe es nicht. „Das kann von uns aus derzeit so bleiben.“ Und selbst wenn etwas getan werden sollte, „die Summe ist völlig überhöht“, sagt Skalecki. Das wäre ja eine de-luxe-Sanierung. Ganz unangemessen.

Der historische Wert der Anlage besteht am ehesten darin, dass Wilhelm Anton Riedmann sie gestiftet hat. Riedmann war in bedrängten Verhältnissen in Meppen aufgewachsen. Nach einer Kaufmannslehre machte er in Geestemünde einen Krämerladen auf, der gut ging und expandierte. Vor allem aber hatte Riedmann ein Gespür für die Ware der Zukunft. Schon Anfang der 1860er-Jahre beginnt er mit Erdöl zu handeln, tut sich mit den Bremer Patriziern Franz und Carl Schütte zusammen, wird Reeder. Schweinereich wird er, weil er sich was traut: Er lässt das Öl aus den USA in Tanks transportieren, statt in Holzfässern. Und er setzt auf Dampfantrieb, wovor bei der leicht entzündlichen Fracht alle anderen Panik schieben.

In Bremerhaven ist Riedmann nicht alt geworden: Im Hamburger Hafen war ihm mehr Fläche geboten worden zum Expandieren, also siedelte er dorthin um und mit ihm die Deutsch Amerikanische Petroleumgesellschaft, ein Joint Venture mit Rockefeller’s Standard Oil, aus der dann in den 1920ern Esso wurde. Aber als der befreundete Geestemünder Pfarrer Clemens Brokgertken 1898 stirbt, ist ihm wichtig, dass der Tote eine würdige Bleibe bekommt. 60.000 Taler war ihm das wert. War das die Grundlage von Gollors Schätzung?

Riedmann ist 1920 gestorben, und die Grabstätte auf dem Wulsdorfer Friedhof ist eine der wenigen Spuren, die von ihm in Bremerhaven noch zu finden sind. Vielleicht sollte man mal wieder drüber mähen, das Ferkelkraut ausmachen und die Kreuzchen der Schwestern entmoosen. Und möglicherweise könnte auch eine Tafel aufgestellt werden, um daran zu erinnern, wie die Grabstelle einst entstand.