Österreichs Politik und Wirecard: Verstrickungen bis zum Kanzler?

Der Skandal um den insolventen Zahlungsabwickler hat die Innenpolitik erreicht. Denn zwei der Protagonisten hatten offenbar Kontakte zu ÖVP und FPÖ.

Kanzler Sebastian Kurz.

Wie nah reicht der Skandal um Wirecard an ihn heran? Österreichs Kanzler Kurz Foto: Ronald Zak/ap

WIEN taz | Zwei Österreicher, die den bankrotten Finanzdienstleister Wirecard groß gemacht haben, sorgen für innenpolitischen Krach. Ex-Vorstandschef Markus Braun, der nach der Hinterlegung einer Kaution von fünf Millionen Euro am 23. Juni aus der Untersuchungshaft in München entlassen wurde, saß bis Ende Juni in der Strategiestabsstelle Think Austria, die Bundeskanzler Sebastian Kurz als Beratergremium gegründet hat.

Der FPÖ-Abgeordneten Christian Hafenecker sieht beim Kanzler Erklärungsbedarf. Dass die FPÖ dagegen mit dem untergetauchten Wirecard-Manager Jan Marsalek im Bunde sei, wie die ÖVP behauptete, sei eine „Nebelgranate“, so Hafenecker am Montag in einer Pressekonferenz. Die Staatsanwaltschaft München ermittelt gegen eine Reihe gegenwärtiger und früherer Spitzenmanager von Wirecard wegen Marktmanipulation, Bilanzfälschung, Betrug und Untreue.

Der nach der Wirecard-Pleite untergetauchte Marsalek soll, so verbreitet die ÖVP, dem damaligen FPÖ-Fraktionschef Johann Gudenus vertrauliche Informationen aus dem österreichischen Inlandsgeheimdienst BVT zugespielt haben. Gudenus, den man als Protagonisten aus dem Ibiza-Video kennt, bestreitet das nicht, relativiert gegenüber der Presse aber die Bedeutung dieser Leaks: „Als Politiker bekommt man jeden Tag aus etlichen Ecken Informationen. Das hört man sich an, leitet es manchmal weiter oder auch nicht“.

Zur FPÖ führt auch eine Tangente über die Österreichisch-Russische Freundschaftsgesellschaft (ORFG), bei der Gudenus aktiv ist. Wirecard soll seit 2011 jährlich 10.000 bis 20.000 Euro an die ORFG gespendet haben, was Braun und Marsalek die Wahl zu Ehrensenatoren dieser Gesellschaft einbrachte, über die auch Kontakte zum russischen Militärgeheimdienst GRU geknüpft werden können. Marsalek hat sich immer wieder seiner privilegierten Beziehungen zur russischen Armee gerühmt.

Finanzjongleur mit Plan für Milizenarmee

Einer besonders pikanten Idee Marsaleks kam die Financial Times in ihrer Ausgabe vom vergangenen Freitag auf die Spur. Der Finanzjongleur, der über ein Bauunternehmen in Libyen engagiert war, habe 2018 dem österreichischen Verteidigungsministerium einen Plan schmackhaft machen wollen, an der Südgrenze des Bürgerkriegsstaates eine 15.000 Mann starke Miliz zur Abwehr von Flüchtlingen aus Afrika südlich der Sahara aufzubauen. Söldner aus den libyschen Milizen sollten dafür rekrutiert werden.

Der EU wollte er das als „Lösung der Migrantenkrise“ verkaufen, so die Financial Times. Obwohl sowohl Bundeskanzler Sebastian Kurz als auch die FPÖ an solchen Planspielen vermutlich Gefallen gefunden hätten, will keiner der ehemaligen Koalitionspartner heute mit den Wirecard-Bankrotteuren und deren Verstrickungen in Verbindung gebracht werden.

Die Deutsche Finanzaufsicht (BaFin) hat inzwischen gegen Markus Braun Anzeige wegen Insiderhandels erstattet. Er soll einen Tag, bevor Wirecard Insolvenz anmelden musste, noch ein Aktienpaket um 6,6 Millionen Euro abgestoßen haben.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.