das ding, das kommt
: Anfassen vorgesehen

Will aus dem Weg gekullert werden: einer der aufblasbaren Bälle des Hamburger Künstlers Christoph Faulhaber. Zu sehen sind sie jetzt in Lübeck Foto: Angela von Brill

Das Wichtigste zuerst. Nein, beim Betreten werden die Besucher*innen nicht verwandelt ins – riesenhafte – Maß der Söhne Raphas. Nur dann aber ergäbe sie richtig Sinn, die so naheliegende wie zuverlässig angebrachte Assoziation: das Bällebad im Möbelhaus. Beeindruckend große bunte Bälle nämlich hat der Hamburger Künstler Christoph Faulhaber im Innern der Lübecker „Kulturkirche“ St. Petri ausgelegt: aufgeblasenes Gummi, drei Meter Durchmesser.

Erstmals gezeigt hat Faulhaber die Arbeit – Titel: „Para social“ – 2018 in einem anderen Kirchenschiff: dem der Kunsthalle Osnabrück; in der Stadt also, in der er 1972 zur Welt kam. Das einstige Dominikanerkloster nutzten im ganz frühen 19. Jahrhundert französische Besatzungstruppen für allerlei höchst weltliche Zwecke; Teil spezifisch französischer Ideengeschichte wiederum ist das Nachdenken über kugelförmige, radikal von der Hierarchie befreite Bauten: Oben und unten sind bloße Richtungsangaben, die sich bei jeder Bewegung ändern; auch ist jeder Punkt der Oberfläche gleich weit weg vom Zentrum.

Waren die Kugeln damals teils gestapelt, liegen sie in Lübeck nun parallel aufgereiht. Um sich seinen Weg zu bahnen, muss das Publikum die farbigen Objekte bewegen, und sei’s nur ein kleines bisschen – eine Umkehr des vielleicht zentralsten Aussstellungs-Imperativs: „Die Bilder nicht berühren!“ Berühren aber, berühren müssen, was eben noch ein*e andere*r… und das in Coronazeiten? Nun wird es interessant.

So eine Ansteckungsgefahr konkretisiert einiges von dem, was der Arbeit an Aussagen zu entnehmen ist zu Spektakel und Spiel, Oberfläche und medial vermittelter Pseudo-Interaktion. Im Titel „Para social“ klingt die „Para­so­ziale Kommunikation an“, also eine nur einseitig betriebene: Wenn Menschen etwa glauben, mit Stars zu kommunizieren oder zunehmend mit Platzhaltern, Avataren, Repräsentationen: die einen „Empfangenden“ antworten nie, die anderen existieren nicht mal, oder zumindest nicht in derselben Weise wie die vergeblich Sendenden.

„Das Phänomen ist sehr alt“: So zitieren die Veranstalter*innen neben der erwähnten Kulturkirche auch der Lübecker Kunstverein, die Overbeck-Gesellschaft, den Medienwissenschaftler Lars Rummel. Und passend erst recht zum nun bespielten Ort: „Agnostisch genommen fällt auch das Gebet darunter beziehungsweise seit der Ur- und Frühgeschichte das innere Gespräch mit Verstorbenen.“

Wer will, kann mal zählen, wie viele Bälle Faulhaber da nun in die Kirche gerollt hat – von den 70, die es mal in Osnabrück waren, sind sechs jetzt im Besitz einer selbst verwalteten Wohngenossenschaft in Zürich: 2010 hatte Faulhaber dort einen Kunst-und-Bau-Wettbewerb gewonnen; das Preisgeld in Höhe von 240.000 Franken wurde für 24 Jahre angelegt, der Künstler erhielt jährlich den Zinsertrag – die Genossenschaft jeweils ein Zwölftel seines künstlerischen Outputs. Alexander Diehl

Bis bis 30. 8., täglich 11 bis 17 Uhr, Lübeck, Kulturkirche St. Petri. Eintritt frei