die woche in berlin
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Die Idee der „Safe Places“ weckte die Hoffnung, obdachlosen Menschen wie an der Rummelsburger Bucht helfen zu können – doch die Pandemie kam dazwischen. Derweil hat der Senat weitere Lockerungen der Coronamaßnahmen beschlossen. Und die Regierungskoalition will rassistische Strukturen in der Polizei untersuchen lassen.

Keine Probleme, sondern Menschen

Obdachlosencamps: Es braucht endlich neue Konzepte

Während der Streit über das umstrittene Aquarium „Coral World“ noch andauert, hat das Obdachlosencamp an der Rummelsburger Bucht wieder beachtliche Dimensionen erreicht. Schätzungsweise über 100 Menschen leben versteckt hinter Büschen, Bäumen und Bauzäunen am Rande einer Brache am S-Bahnhof Ostkreuz. Die Bewoh­­ne­r*in­nen haben sich häuslich eingerichtet: Verschläge aus Bauresten, Zelte und alte Wohnwagen dienen als Behausung. Einige haben sich sogar Vorgärten eingerichtet, umzäunt mit Holzpaletten. Von Anwohnenden wird das Camp oft als „Favela“ oder „Slum“ bezeichnet.

Bisherige Versuche seitens des Senats und des zuständigen Bezirks Lichtenberg, einen zufriedenstellenden Umgang mit dem Camp zu finden, scheiterten. Eine Ausweichunterkunft in Karlshorst, die vergangen Winter den Bewohner*innen angeboten wurde, entpuppte sich als ungeeignet für dauerhaftes Bewohnen. Bemühungen von Sozialarbeiter*innen, die Be­woh­ner*innen in feste Unterkünfte zu vermitteln, schlugen ebenso fehl: Es kamen deutlich mehr Menschen neu in das Camp, als in Unterkünfte vermittelt werden konnte.

Der Bezirk duldet das Camp stillschweigend. Nach eigener Aussage, weil durch Räumungen keine Probleme gelöst werden: Die Obdachlosen würden an anderer Stelle wieder ihre Zelte aufschlagen. Andererseits zögert die Stadt, die besonders in Pandemiezeiten dringend benötigte Infrastruktur in Form von Toiletten und Trinkwasser bereitzustellen. Offenbar befürchtet man, eine solche Maßnahmen würde weitere Obdachlose anlocken.

Obwohl das Verhalten des Bezirks im Vergleich zum Umgang mit anderen Camps in Berlin sehr tolerant ist, offenbart es eine zynische Logik: Obdachlose Menschen werden in erster Linie als Problem wahrgenommen. Ein Grund dafür dürften auch die vielen Beschwerden von Anwohnenden sein, die sich durch Lärm und Müll belästigt fühlen und die Camp­be­wohner*innen als bedrohlich wahrnehmen.

In diesem Spannungsverhältnis zwischen Campbewohner*innen und Anwohnenden liegt aber auch eine Lösungsmöglichkeit: Gelingt es, die Konflikte zwischen Obdachlosen und Anwoh­ne­r*innen zu vermindern, würde das Camp weniger als Problem wahrgenommen. Der Grundgedanke dabei ist, dass alle Menschen das Recht haben sollten, öffentlichen Raum zu nutzen.

So könnte man durch die Bereitstellung von Sanitäranlagen und einer funktionierenden Müllentsorgung zunächst einmal das Hygieneproblem in den Griff kriegen. Wichtiger noch: Es müsste ein runder Tisch mit allen Beteiligten gebildet werden – inklusive Vertretern der Selbstverwaltung des Camps –, an dem Probleme besprochen werden können.

Auch wenn diese Maßnahmen teuer und sicher nicht reibungslos umzusetzen sind, wäre das ein realistischer Weg, den Menschen im Camp ein würdevolles Leben zu ermöglichen und den Anwohnenden ein Gefühl von Sicherheit zu geben. Jonas Wahmkow

Mehr tänzerisches Geschick, bitte!

Coronaverordnung gelockert. Es bleibt ein großes Aber

Als „Hammer und Tanz“ ist seit den frühen Tagen der Coronapandemie ein möglicher Umgang mit dem Infektionsgeschehen beschrieben worden: erst drastische Einschränkungen des öffentlichen Lebens, um das Virus ganz klein zu machen, dann ein Oszillieren von Lockern und Verschärfen, um sich der jeweiligen Entwicklung anzupassen.

Was smart klingt, ist in Bezug auf die ökonomischen Folgen nicht so richtig durchdacht – denn viele Unternehmen, gerade kleine und mittlere, operieren schon seit dem ersten Lockdown am Rand des wirtschaftlich Vertretbaren (siehe S. 44–45). Ein unkalkulierbares Auf und Zu dürfte ihnen den Rest geben. Auf gesellschaftlicher Ebene ist ein si­tua­tions­bezogen smoothes Tänzeln schon deutlich praktikabler. Ein Sportverein oder ein Chor kann eher damit leben, dass mal mehr und mal weniger geht.

Aktuell ist die Zahl der Ansteckungen gering, da geht also was. Insofern ist es sehr erfreulich, dass der Senat in dieser Woche die Eindämmungsverordnung in Teilen aufgeweicht hat. Sportarten mit Körperkontakt oder großer Nähe – also fast alles, wobei Bälle im Spiel sind, Kampfsportarten, aber auch Rudern im selben Boot – sind ab dem Wochenende wieder möglich, jedenfalls bei begrenzter Gruppengröße. Und den vielen Singenden der Stadt fällt ein Stein vom Herzen: Wenn sie ausreichend große Räume finden, können sie unter strengen Auflagen wieder gemeinsam musizieren. Im Freien und ­mit Abstand klingt ’ s einfach mies.

Während es hier höchste Zeit zum Lockern war, scheinen dem Senat an anderer Stelle die Zügel ganz zu entgleiten. In Sachen öffentlicher Geselligkeit gilt §1 (1) der Coronaverordnung gefühlt schon lange nicht mehr: „Jede Person ist angehalten, die physisch sozialen Kontakte zu anderen Menschen möglichst gering zu halten“, heißt es da, gefolgt von Absatz 2: „Bei Kontakten zu anderen Menschen ist ein Mindestabstand von 1,5 Metern einzuhalten.“

„Dit wüsst ick aba“, sagt der/die Berliner*in in einem solchen Fall. Ein kleiner Spaziergang durch einen beliebigen Ausgehkiez beweist: Ob an den Tischen vor den Restaurants und Kneipen, ob beim Massencornern vor dem Späti – Abstand ist längst wieder was für Pussies. Die tendenziell unbesorgte Jugend umarmt, busselt und highfivet wie immer, der Elbow bump ist ein spießiges Relikt vergangener Zeiten.

All das mag im Moment noch glimpflich ausgehen. Aber, und das ist in diesem Fall eine ebenso banale wie ernste Erkenntnis: Im Nachhinein war man immer noch schlauer. Ein bisschen mehr tänzerisches Geschick wäre dem Senat hier auf jeden Fall zu wünschen.

Claudius Prößer

Notfalls
auch im Alleingang

Berlin wird sich an Studie zu Racial Profiling beteiligen

Es ist eine gute Nachricht. Innensenator Andreas Geisel (SPD) hat erklärt, dass sich Berlin an einer Studie über Racial Profiling beteiligen wird. Linke und Grüne sind ohnehin dafür. Nach dem Rückzieher von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hatte Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) die Bundesländer zu einem gemeinsamen Vorgehen aufgerufen. Er wolle die Studie anpacken, „mit oder ohne den Bund“, so Pistorius.

Wenn man von etwas ausgehen kann, dann davon: Die Innenminister der Länder werden sich in dieser Frage nicht einigen. Aber das ist auch besser so. Alles andere würde bedeuten, das Anliegen der Untersuchung bis zur Unkenntlichkeit zu verwässern. Berlin sollte sich mit Bremen, Thüringen und Niedersachsen zusammentun. Gelingt das nicht, dann eben im Alleingang.

Dass es Racial Profiling bei den Polizeibehörden des Bundes und der Länder gibt, ist unbestritten. Fakt ist, dass immer wieder Menschen wegen ihrer Hautfarbe oder anderer körperlicher Merkmale von der Polizei kontrolliert werden, ohne dass es dafür einen konkreten Anlass gibt. Die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (Ecri) forderte schon im Dezember 2019 eine umfassende Studie von Bund- und Länderpolizeien zu dem Thema.

Die Kampagne für Opfer rassistisch motivierter Polizeigewalt (KOP) hat sich die Mühe gemacht, alle der Initiative bekannt gewordenen Fälle von vermeintlich rassistisch motivierten Polizeivorfällen in Berlin in der Zeit zwischen 2000 und 2020 zusammenzutragen.

Die Dokumentation umfasst nahezu 300 Seiten. Es ist eine subjektive Bilanz, erzählt aus Sicht von Betroffenen. Auf Vollständigkeit und Objektivität erheben die Verfasser von KOB erklärtermaßen keinen Anspruch. Es ist davon auszugehen, dass nicht jeder dokumentierte Fall Racial Profiling war. Dass Polizisten zum Teil durchaus berechtigte Gründe hatten, Betroffene zu kontrollieren. Letzteres sei an die Adresse von Leuten gerichtet, die automatisch von Racial Profiling sprechen, wenn eine Person auf Color kontrolliert wird.

Das ändert aber nichts daran, dass es unzählige Fälle von Racial Profiling gibt. Gar nicht mal die großen Polizeiaktionen, eher die vielen kleinen Vorkommnisse, die allzu demütigend sind, weil immer wieder eher diejenigen mit der dunkleren Haut- und Haarfarbe einer Prüfung unterzogen werden.

Die Studie wäre ein erster Schritt. Es geht darum, ein Problembewusstsein für diesen Alltagsrassismus zu schaffen, um diesem dann entgegenzuwirken. Dass die Polizei nur ein Spiegelbild der Gesellschaft sei – wie es immer heißt –, darf keine Entschuldigung sein. Im Gegen­teil. Ausgerechnet von jenen diskriminiert zu werden, die für die Freiheitsrechte einstehen sollten, ist für die Betroffenen besonders tragisch.

Die Black-Lives-Matter-Bewegung hat der Politik Beine gemacht. Es kommt nun darauf an, dass ein unabhängiges wissenschaftliches Forschungsinstitut mit der Studie beauftragt wird. Die rot-rot-grüne Koalition muss liefern, ohne Wenn und Aber. Plutonia Plarre

Die Black-Lives-Matter-Bewegung hat der Politik Beine gemacht. Die rot-rot-grüne Koalition muss liefern, ohne Wenn und Aber

Plutonia Plarre über eine Studie zu Racial Profiling bei den Polizeibehörden