wortwechsel
: Faites vos jeux! Zweite Welle? Alles auf Rot?

Die Angst vor einer zweiten Coronawelle erzeugt neue Diskussionen um rigide Verbote – von Coronaleugner-Demonstrationen und illegalen Partys. Was steht auf dem Spiel?

Berlin, Straße des 17. Juni, am 1. August 2020: Platz für Protest gegen die Coronamaßnahmen Foto: Fritz Engel/Zenit

„Dampf muss abgelassen werden“,

taz vom 1./2. 8. 20

Uraltes Bedürfnis?

Die Ablehnung illegaler Massenveranstaltungen als engstirnig und herablassend zu bezeichnen, halte ich für völlig fehl am Platz. Die behandelte Problematik ist nicht mit der noch vor einigen Monaten vorherrschenden Diskussion während der Ausgangssperre zu vergleichen, als es um verschiedene Wohnsituationen und deren Auswirkung ging. Zu behaupten, das alljährliche „Sau rauslassen“ sei ein uraltes Bedürfnis und gehöre eben dazu, öffnet Raum für gefährliche Vergleiche. Sollen auch harte Drogen legalisiert werden, denn auf illegalem Wege bekommt man sie ja eh? Soll eine sogenannte „Purge-Night“ eingeführt werden, da Gewalt nun mal ausgelebt werden muss?! Die Autorin unterstellt, Menschen, die nicht Teil des Bildungsbürgertums sind, hätten ein stärkeres Bedürfnis danach, um im normalen Leben funktionieren zu können, und dies sei auch noch legitim. Abgesehen davon, dass sich darüber streiten lässt, wird völlig aus den Augen verloren, dass Corona ein alles verändernder Faktor ist. Bei den als „Volksbelustigungen“ bezeichneten Veranstaltungen lassen Menschen Dampf ab auf eine Art und Weise, die nicht notwendig oder schlicht unvernünftig ist, sondern einfach nur rücksichtslos und gefährlich. Dieses Verhalten mit dem Wunsch nach körperlichem Gemeinschaftsgefühl zu rechtfertigen, ist unzureichend und verkennt den Ernst der Lage.

Nina Wiedemann, Leipzig

Keine Party, kein Chor

Bettina Gaus – deren Kommentare ich sonst sehr schätze – äußert großes Verständnis für Leute, die „ein- oder zweimal im Jahr die Sau rauslassen“ wollen oder sich „einige Tage lang ‚danebenbenehmen‘ wollen“ und daher die Corona-Regeln missachten. Aber Covid-19 ist gefährlich, nicht nur für den Einzelnen, sondern, wenn die Pandemie nicht eingedämmt wird, für die Gesellschaft als Ganzes. Daher muss jeder seinen Beitrag leisten und Einschränkungen auf sich nehmen. Das kann und muss die Gesellschaft von jedem verlangen. Dass das schwer ist, weiß ich: auch mir und dem ganzen Bach-Chor Bonn (und allen anderen Chören) fällt es sehr schwer auf den „thrill“ bei den wöchentlichen Proben mit 70 Teilnehmern und insbesondere auf die Konzerte zu verzichten. Der gesamte Kulturbetrieb wird lange brachliegen oder nur auf Sparflamme laufen, da einige ihre persönliche Freiheit über das Wohl der anderen und der Gesellschaft stellen. Helmut Baltruschat, Bonn

Notfalls … verzichten

Zu Zeiten einer Pandemie geht es doch nicht darum, über Leute, die an anderen Dingen Spaß haben als man selber, die Hochnase zu rümpfen, sondern sich so zu verhalten, dass man möglichst wenig andere Menschen gefährdet und deshalb – solange die Pandemie anhält – nötigenfalls auf jenen Spaß verzichtet, der gemäß den Erkenntnissen der Experten als Brandbeschleuniger wirken würde.

Den Spaß, mit über hundert Sachen durch die Innenstädte zu brausen, verkneifen sich ja auch die allermeisten Menschen, ohne dass sie sich deshalb herabgewürdigt wähnen müssten.

Reinhard Mario Fox, Lübeck

„20.000 demonstrieren in Berlin: Welle der Corona-Leugnung“, taz vom 1./2. 8. 20

Rufe nach Verboten?

Liebe tazlerInnen, über hundertausende, die in Coronazeiten für „Black lives“ auf die Straße gehen, wird von euch lobend berichtet. Und jetzt, wo nur 20.000 Menschen für Demokratie sich versammeln, trieft euer Blatt von Rufen nach Verbot und dem Herbeischreiben einer zweiten Welle. Geht’s noch? Denkt ihr echt, wir Leser haben gar kein Gedächtnis? Traurige Grüße vom Meer.

Ben Hadamovsky, Kreßberg

Wer spuckt solche Töne?

Liebes taz-Team, über die Corona-Demo in Berlin sind wir uns wohl alle einig. Nur Spinner, Nazis und Verschwörungstheoretiker. Ganz weit weg von mir. Wenn aber der neue CSU-OB von Nürnberg – Herr König – Corona nutzt, um eine ungeliebte monatliche Fahrraddemo zu unterbinden, bei der Abstands- und Verkehrsregeln eingehalten werden – und ich als völlig unbeteiligter Fahrradfahrer von Polizeibussen eingekreist werde und 500 Euro wegen Teilnahme an einer ungenehmigten Veranstaltung zahlen soll, und anderen Menschen Vergleichbares passiert …dann brauchen unsere Politiker*innen nicht solche Töne zu spucken. Es gibt keinen Grund, sich über Corona-Maßnahmen zu beschweren (außer vielleicht, dass die Maskenpflicht an Schulen erst diskutiert wird, wenn in McPomm ganz überraschend die Ferien enden), aber es gibt Missbrauch! Von diesem sollten die Großschnäbel wissen! Vor allem Königs Ziehvater Söder. Andreas Voll, Nürnberg

Ein „Aufmarsch“?

In dem Artikel stolperte ich über das Wort Aufmarsch. Dieses assoziiert doch einen Marsch, der durch gleichmäßig monoton schreitende, mehr oder weniger militaristisch anmutende Fortbewegung geprägt ist. Für rechtsradikale Demonstrationen ist diese Bezeichnung sicher geeignet, um den Charakter derselben und den Geist ihrer Teilnehmer zu charakterisieren, zumal sie tatsächlich oft auch das Bild eines Aufmarschs bieten. Aber, so fragwürdig und krude auch die Motivationen ihrer Teilnehmer sind, gilt das auch für eine normale Demonstration wie die am letzten Samstag in Berlin? Soll damit mutwillig und unterschwellig ein bestimmter Eindruck erweckt werden? Wenn ja, warum? Sprechen die angesichts der unbestreitbaren Pandemierealiät abstrusen Demonstrationsgründe nicht deutlich genug, als dass es nötig wäre, mit dem Wort Aufmarsch disqualifizierend zu suggerieren, es handele sich um eine militaristische Parade, also eine im Demonstrationskontext antidemokratische Kundgebungsform, und nicht um eine formal doch immer noch ziemlich gewöhnliche Demonstration?

Wolfram Hasch, Berlin