Berliner Kultur im Coronasommer: Im Bikini ins Theater

Wegen Corona finden immer mehr Kulturevents unter freiem Himmel statt. In Berlin ziehen verschiedene Kunstformen ans Strandbad Plötzensee.

Vorne sitzt verteilt Publikum, davor stehen Schauspieler im Licht im Sand, es dämmert über den Bäumen dahinter.

Wenn die Abendstimmung selbst zur Kulisse wird: „Zum Späti an der Plötze“ Foto: Leonard Laurig

Tretboote, Sonnenschirme, Imbissbuden. Das Strandbad Plötzensee im Wedding hat pünktlich zum heißesten Tag des Jahres alles aufgeboten, was man von einem Strandbad erwartet. Menschen liegen im Gras und im Sand, es werden Eis und Pommes verzehrt, Wasserbälle und rutschende Kinder fliegen durch die Luft. Doch dieser Samstag im Strandbad, der letzte Tag im Juli, ist kein gewöhnlicher Strandbadetag.

Unter die Badegäste haben sich auch Menschen gemischt, denen anzumerken ist, dass sie nicht in erster Linie für Pommes und Tretboot gekommen sind. Denn an diesem Samstag eröffneten die ersten „Festspiele am Plötzensee“. Für neun Tage vereint das Strandbad verschiedene Kunstformen, die sich in das Gelände integrieren. Zum Beispiel werden in den Umkleidekabinen Videoarbeiten gezeigt, bei den Duschen sind Skulpturen ausgestellt, am Strand hängen Gemälde und der FKK-Bereich wird zur Theaterbühne. Unter dem Motto „Urlaub und Reisen“ soll das Strandbad als Freizeitort somit zu einem begehbaren Gesamtkunstwerk werden.

„Zum Späti an der Plötze“, wieder am 6. + 8. August, 19:30 Uhr. Karten unter:www.ballhausost.de/­produktionen/zum-spaeti-an-der-ploetze/. Nur Online­tickets, keine Abendkasse. Theater­karten berechtigen auch zum Freibadbesuch und zum Besuch der Ausstellung

Der Theaterregisseur Jan Koslowski wollte aufgrund von abgesagten Produktionen ein Event schaffen, das trotz der Pandemie stattfinden kann. Mit fast 60 befreundeten Künstler*innen organisierte er die Festspiele am Plötzensee – ehrenamtlich. Und schaffte somit einen ungewöhnlichen Ort für Kunst.

Doch so vordergründig und präsent, wie man es sich vorstellen mag, ist die Kunst gar nicht. Würde man nicht wissen, dass sie da ist, wäre sie gar nicht so leicht zu finden. Manchmal droht sie gar übersehen zu werden. Einige Besucher*innen dürften sich fragen, ob die kleine geflieste Umkleidekabine, die ein wenig verloren und unpraktisch mitten auf der Liegewiese steht, nur eine architektonische Willkürlichkeit ist oder ein Ausstellungsobjekt darstellt.

Unter die Badegäste gemogelt

Das Programmheft schafft Gewissheit: Es ist ein Ausstellungsobjekt. Ähnlich geht es auch Laura und Sören, als sie sich gerade den Sand von den Füßen waschen und gefragt werden, ob sie die Kunst, vor der sie stehen, bemerkt hätten. „Ja, ist mir aufgefallen“, sagt Laura, „ich habe mich nur gefragt, warum das hier steht und wer das gemacht hat.“ Sören ist dagegen erst jetzt auf die abstrakten Keramikfiguren von Janes Haid-Schmallenberg, die etwas von monsterartigen Büsten haben, aufmerksam geworden, findet es aber gut, dass es so etwas ins Strandbad geschafft hat.

Im Mittelpunkt der Festspiele steht jedoch das Theaterstück „Zum Späti an der Plötze – Ein Schwank“. Wo tagsüber Besucher*innen textilfrei entspannen und baden, entsteht abends eine Bühne am, im und auf dem Wasser. Wer sich bei dem Gedanken an ein Theaterstück im FKK-Bereich jetzt schon ausschweifende Gedanken macht, muss jedoch enttäuscht bzw. kann beruhigt werden. Die Schauspielenden tragen (fast immer) Kleidung.

Und auch von den Zuschauenden wird nicht erwartet, sich zu entblößen. Aber „Sie können gern in Badekleidung kommen und das Stück mit nassen Haaren gucken“, schreibt Leonie Hahn, die Dramaturgin und Autorin, in ihrem Vorwort. Ein bisschen Sommertheater-Flair ist dann doch gewünscht.

Das Stück, das extra für die Festspiele geschrieben wurde, setzt sich mit dem Strandbad als urbanem Raum auseinander. Dabei geht es um den Spätkauf als Symbol der Kommerzialisierung des Stadtraums. Dort wo früher der vertrauensvolle Späti war, bei dem es Durstlöscher für unter einen Euro gab und man seinen Schlüssel für die „Friends“ hinterlegen konnte, stünden jetzt Spätis, die Spätis nachmachen und Gin-Tastings anbieten, so die Kritik des Plots.

Daraus ist ein humorvolles, fast märchenhaftes und bisweilen überspitzes Sprechtheater entstanden, das durch pointierte Dialoge ein kurzweiliges Theatererlebnis schafft. Der nostalgische Blick auf die gute alte Spätikultur ist da eher als metaphorische, routinemäßige Gentrifizierungskritik zu verstehen.

Martina ist Stammgast im Strandbad, selbst Schauspielerin und vom neuen Kulturangebot begeistert. Bei der Premiere stellt sie aber auch fest, dass von den anderen Stammgästen keiner da ist. „Das sind alles nur Theaterleute hier, das merkt man schon am Typ“, analysiert sie. Denn auch wenn das Theaterstück alle Besucher*innen des Strandbades ansprechen soll, ist es auf 99 Plätze pro Vorstellung begrenzt. So will es das Hygienekonzept. Ein bisschen Exklusivität gibt es also doch – auch im Strandbad Plötzensee.

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