Die Krise der Deutschen Bahn: Im Schuldenexpress

Die Deutsche Bahn verzeichnet die größten Verluste in ihrer Geschichte. Das liegt nicht nur an der Coronakrise, sondern auch an den Fehlern der Vergangenheit.

Zwei Zugbegleiter stehen in der neuen Bekleidung der Deutsche Bahn neben einem ICE

Neuer Look, aber das Unternehmen drückt der Schuldenschuh. 31. Juli, Stuttgart, Hauptbahnhof Foto: dpa

Ab diesem Samstag sind die BahnmitarbeiterInnen mit KundInnenkontakt in neuen Kleidern unterwegs. Statt in den bisherigen blauen Uniformen mit knallroten Details werden 43.000 ZugbegleiterInnen, Servicekräfte und LokführerInnen Stücke aus einer Kollektion des Sternchendesigners Guido Maria Kretschmer in Blau und Weinrot tragen. Das dunklere Rot „burgundy“ soll die Bahn sympathischer und moderner erscheinen lassen.

Nun machen Kleider zwar Leute und verbessern idealerweise das Image – an den miesen Bilanzen ändert der frische Look aber nichts. Massive Verluste im laufenden Geschäft, ein Schuldenberg in Milliardenhöhe und KundInnen, die aus Furcht vor Ansteckung mit dem Coronavirus auf andere Verkehrsmittel ausweichen: Die Deutsche Bahn steht vor einem riesigen Desaster.

„Das Virus hat unseren erfolgreichen Wachstumskurs jäh ausgebremst und die Deutsche Bahn in die schlimmste finanzielle Krise seit ihrem Bestehen gestürzt“, so Konzernchef Richard Lutz bei der Präsentation der Zahlen am Donnerstag. Doch für diese Misere ist nicht nur die Pandemie verantwortlich.

Die Verluste im ersten Halbjahr 2020 sind gewaltig. Für die ersten sechs Monate verbucht die Bahn ein Minus von 1,8 Milliarden Euro, hinzu kommen 1,4 Milliarden Euro Abschreibungen für den Wertverlust der Auslandstochter Arriva, die in der europäischen Nachbarschaft Busse und Bahnen betreibt. Das ist der größte Verlust, den die Aktiengesellschaft, die zu 100 Prozent dem Bund gehört, jemals gemacht hat. Im ersten Halbjahr 2019 hatte der Konzern noch einen Gewinn von 205 Millionen Euro eingestrichen.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Zu Beginn der Coronakrise ist kaum noch jemand mit der Bahn gefahren. Im April gingen die Fahrgastzahlen um 90 Prozent zurück, im gesamten ersten Halbjahr sanken sie um 37 Prozent. Denn viele PendlerInnen arbeiteten zu Hause, Reisen wurden abgesagt, Konferenzen fanden am Computer statt. Die meisten Züge sind trotzdem weitergefahren. Die Kosten blieben gleich, die Einnahmen brachen ein.

Von denjenigen, die schon vor der Coronakrise die Bahn genommen haben, fährt mittlerweile die Hälfte wieder im Regional- und Fernverkehr mit dem Zug. „Wir haben Vertrauen zurückgewonnen“, glaubt Lutz. „Nach dem bisherigen Kenntnisstand kann man sagen, dass Bahnfahren sicher ist.“ So hat der Konzern die Reinigungsarbeiten intensivieren lassen. Allerdings verfügen die Bahnwaggons nicht wie Flugzeuge über Klimaanlagen, die Viren aus der Luft filtern können.

Und: Wie sicher Bahnfahren ist, hängt zu einem maßgeblichen Teil davon ab, ob sich die Reisenden auch an die Pflicht zum Maskentragen halten. Immer wieder berichten verärgerte Fahrgäste, dass Mitreisende keine Schutzmasken tragen – und BahnmitarbeiterInnen nichts dagegen unternehmen.

Dem widerspricht Bahnchef Lutz: Das Bahnpersonal würde Reisende ohne Maske auffordern, eine aufzuziehen. Wenn die Fahrgäste das nicht wollten, gäbe es die klare Regelung mit der Bundespolizei, „im Extremfall den Beförderungsausschluss herbeizuführen“. Das solle aber die Ausnahme bleiben.

Ein Problem ist nach wie vor auch das Reservierungssystem. So weist das System Plätze nacheinander, den Sitznummern folgend, zu und lässt keine Plätze frei, auch wenn das von der Auslastung her möglich wäre. Lutz sieht hier kein Problem. „Normalerweise ist die Situation so, dass es im Zug Lösungen gibt“, sagt er. Die SchaffnerInnen verteilen die Fahrgäste auf leere Plätze. Daran will die Bahn nichts ändern – obwohl das nur so lange funktionieren kann, wie die frühere Auslastung nicht erreicht wird.

Eine Reservierungspflicht soll nicht kommen, man wolle die Flexibilität erhalten, so Lutz. Damit KundInnen stark frequentierte Züge meiden können, wird die Auslastung beim Fahrkartenkauf in der Bahn-App Navigator angezeigt.

Außerdem nimmt die Bahn ganze Waggons aus dem Reservierungssystem, damit auch Spontanreisende genug Platz haben. Fahrgäste machen trotzdem immer wieder die Erfahrung, dass Züge überfüllt sind und dass beim Platzsuchen dichtes Gedränge herrscht, denn in vielen Zügen funktionieren die Anzeigen nicht.

Lutz geht davon aus, dass erst dann wieder so viele Menschen mit der Bahn reisen wie vor der Coronakrise, wenn es einen Impfstoff oder ein Medikament gegen Covid-19 gibt. Entsprechend schlecht sind die Aussichten für das Gesamtjahr. Die Bahn rechnet mit einem Verlust von bis zu 3,5 Milliarden Euro. Hinzu kommt ein gigantischer Schuldenberg.

Monopolistin Deutsche Bahn

Zurzeit sind es 27,5 Milliarden Euro – bis zu 30 Milliarden Euro dürfen es werden, hat der Haushaltsausschuss des Bundestags im Mai beschlossen. Finanzvorstand Levin Holle geht aber davon aus, dass nicht noch mehr Miese hinzukommen – wenn die von der Bundesregierung angekündigte Kapitalerhöhung des Bundes in Milliardenhöhe kommt. Die lässt aber auf sich warten, weil sie noch von der EU genehmigt werden muss.

Konkurrenten der Bahn halten die Eigenkapitalspritzen für falsch – weil sie wettbewerbsverzerrend seien. Im Personenfernverkehr ist die Deutsche Bahn fast Monopolistin – von kleinen Anbietern wie Flixtrain abgesehen. Anders ist es im Nah- und Güterverkehr. Im Schienengüterverkehr verliert man Jahr für Jahr Marktanteile und liegt jetzt bei unter 50 Prozent.

Denn anders als im Personenverkehr können KundInnen dort bei schlechtem Service und zu hohen Preisen auf Wettbewerber ausweichen. Uwe Höft, Bahnexperte von der Technischen Hochschule Brandenburg, fürchtet, dass die Bahn sich mit den vielen Milliarden Staatsgeld „Marktanteile zurückkauft“.

Denn statt mit den Konkurrenten zu kooperieren, versucht sie, ihnen mit niedrigen Preisen KundInnen abzujagen. Um mehr Verkehr von der Straße auf die Schiene zu bekommen, muss der Güterverkehr aber insgesamt wachsen.

Auch das Klimapaket und verschiedene Fördergesetze sehen vor, dass die Deutsche Bahn in den kommenden Jahren etliche Milliarden Euro bekommt. Deshalb kann sie auch im großen Stil investieren – was angesichts nichtbarrierefreier Zugänge, maroder Bahnhöfe und veralteter Infrastruktur auch dringend nötig ist. 2,8 Mil­liarden Euro nahm die Bahn im ersten Halbjahr 2020 in die Hand.

Arriva kommt nicht mehr gut an

Auch für die Corona-Einbußen wird der Bund zahlen. „Dass der Bund einspringt, ist richtig“, sagt Dirk Flege, Geschäftsführer der Lobbyorganisation Allianz pro Schiene. „Im Unterschied zum Flugzeug sind die Eisenbahnen auf Wunsch der Politik weiter gefahren. Da ist es nur recht und billig, dass die Politik die Schäden ausgleicht.“

Doch nicht alle Probleme kamen erst mit Corona. So rächt sich nun die starke Auslandsexpansion der Deutschen Bahn. Um sich als internationaler Logistikkonzern aufzustellen, hat sie auf der ganzen Welt Firmen übernommen. Sie wollte ein Global Player werden. Weil der Konzern international aktiv ist, trifft ihn nun die globale Krise mit voller Wucht.

Der bahnpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion Matthias Gastel fordert, dass der Bund den Konzern mittelfristig neu aufstellt. „Die Deutsche Bahn sollte sich schrittweise von Geschäftsaktivitäten, die keinen Beitrag zum Kerngeschäft Eisenbahn in Deutschland leisten, trennen“, sagt er.

Politische Weichen

Der Bahnkonzern beschäftigte Ende 2019 weltweit 320.000 MitarbeiterInnen, davon 198.000 in Deutschland. Der größte Einkauf war der Erwerb des britischen Verkehrsunternehmens Arriva für 3 Milliarden Euro. Arriva ist in 14 europäischen Ländern tätig, vor allem im Nahverkehr. Schon vor der Krise wollten die Bahnmanager das Tochterunternehmen loswerden, das hat aber nicht geklappt. Jetzt ist der Wert drastisch gefallen.

„Der Konzern ist einfach zu groß“, sagt Hochschulprofessor Höft. „Es gibt zu viele Baustellen.“ Einzelne Einheiten stehen in Konkurrenz zueinander, etwa die für den Güterverkehr zuständige DB Cargo und die DB Schenker, in der die größte Lkw-Spedition Europas aufgegangen ist.

Uwe Höft, Bahnexperte

„Der Konzern ist einfach zu groß. Es gibt zu viele Baustellen“

Mit der jetzigen Struktur seien die Probleme der Bahn kaum in den Griff zu bekommen, glaubt Höft. Nach seinen Vorstellungen wäre die Teilung der Deutschen Bahn in zwei Unternehmen die Lösung: eines kümmert sich um das Fahren, den Transport von Personen und Gütern, das andere wäre für die Infrastruktur, die Schienen und Bahnhöfe zuständig.

Allianz-Pro-Schiene-Geschäftsführer Flege hält dagegen die politische Weichenstellung für wichtiger. Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) hat 2019 die anderen Bundestagsparteien aufgefordert, gemeinsam an einer großen Bahnreform zu arbeiten, „doch leider hat der Verkehrsminister diese Initiative komplett auf Eis gelegt.“

Eins dürfte klar sein: Auch immense Einnahmeausfälle werden die Bahnmanager nicht davon abhalten, die Züge bei einer zweiten Coronawelle ebenso weiterlaufen zu lassen wie bei der ersten. So sagt Bahnchef Lutz: „Wir würden es wieder genauso machen.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Die Coronapandemie geht um die Welt. Welche Regionen sind besonders betroffen? Wie ist die Lage in den Kliniken? Den Überblick mit Zahlen und Grafiken finden Sie hier.

▶ Alle Grafiken

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.