Zurück zu den Wurzeln

Der Schlachthof, der in den Achtzigerjahren ein DKP-geführtes Kulturzentrum war, wurde später vor allem ein Konzertort. Jetzt, zu seinem 40. Geburtstag, soll er repolitisiert werden

Umgeben von hohen Mauern: So sah der Schlachthof in den Siebziger­jahren noch aus Foto: Schlachthof-Archiv

VonJens Fischer

Im Juli 1978 beschloss der Senat den Teilabriss des stillgelegten Schlachthofs hinterm Hauptbahnhof. Teilabriss deswegen, weil längst argumentiert, votiert, demonstriert, aber auch durch Besetzung der Wunsch verdeutlicht wurde, Bereiche dieser historischen Industriearchitektur zur außerparlamentarischen Verlustierung zu erhalten. Ende 1980 unterzeichnete die Stadt dann einen Pachtvertrag mit dem Trägerverein über ein ruinöses Relikt der Anlage, die einst fast die halbe Bürgerweide besiedelte. 2020 bedeutet also: 40 Jahre Kulturzentrum Schlachthof.

Dank des Bremer Bauunternehmers Klaus Hübotter und einer Million D-Mark der Stiftung Wohnliche Stadt konnte nach einjähriger Sanierung 1981 endlich durchgestartet werden. Das erzählt ein Urgestein der Institution, Matthias Otterstedt. Einst studierte er Kunst und Geschichte auf Lehramt, fand schulferne Kunstpädagogik-­Projekte aber bald interessanter und kümmert sich heute um die Entwicklung des Gebäudes.

Gestank und Tiergeschrei

Dass aus Umweltverschmutzungs-Frust einmal Kulturlust erwachsen würde, hatte die Bremer­ Politik damals so nicht erwartet. Denn über hundert Jahre lang fanden die Findorffer­Innen zwar reichlich Arbeitsplätze vor der Haustür im 1879 bis 1882 errichteten schmucken Backsteingebäudekomplex, aber es irrten­ auch immer wieder lebenswütige­ Tiere auf der Flucht vor den Metzgern durch die Straßen des Viertels. Die Luft war, so haben es Historiker notiert, erfüllt von nicht gerade lukullisch anregenden Düften der Fleisch- und Wurstproduktion, hinzu gesellten sich todes­panisches Tiergeschrei sowie der Verkehrslärm der Rinder- und Schweinetransporter.

In urban zuwuchernden Großstadtarealen waren Schlachthöfe und das tierverarbeitende Handwerk schon Ende des 19. Jahrhunderts weltweit nicht mehr gern gesehen und wurden außerhalb bewohnter Gebiete umgesiedelt. Aber in Bremen blieb der städtische Betrieb bis 1976 aktiv, erst dann machte die Politik eine Verlegung nach Oslebshausen möglich. Die dortige Anlage musste 2017, inzwischen privat geführt, aufgrund finanzieller Schieflage schließen, genauso wie kurz darauf auch der letzte Bremer Schlachthof in Aumund.

Hinterm Hauptbahnhof weckte das brachliegende Gelände schnell neue Nutzungsfantasien. Die Stadt wollte ein Kongresszentrum mit Hotel und Casino bauen. FindorfferInnen kämpften aber für ein Freizeitzentrum für alle Generationen. Die stürmende und drängende Jugend mit Hochschulreife präferierte aufrührerische Gedankenanimation, PunkerInnen suchten einen Tummelplatz und das Theater Bremen eine Bühne fürs Schauspiel – und fand 1978 in der ehemaligen Fleischmarkthalle einen idealen­ Ort für Frank-Patrick Steckels Spektakel-Inszenierung von Hans Henny Jahnns Shakespeare-Adaption „Die Krönung Richards III.“

Etliche politische Versammlungen und Konzerte im Autoscheinwerferlicht folgten, allerdings folgte kein Geld zur Sanierung. Also kam die Abrissbirne. Dem Kulturzentrum blieben der Turm mit dem 50 Meter hohen Schornstein, die Kesselhalle und der Magazinkeller.

„Als Nutzer durchgesetzt haben sich damals die DKP-Leute“, sagt Otterstedt. Als die mit der Stadt den Nutzungsvertrag unterschrieben, seien die linken Spontis zurück ins Viertel gezogen und hätten das Lagerhaus als Alternativ-Kulturzentrum entwickelt, das in diesem Jahr ebenfalls 40. Geburtstag feiern könnte. Der Ablaufplan des einstigen Schlachthof-Eröffnungsfestes liest sich denn auch wie das Maizelt-­Programm der DKP: Mit „freier moderner Tanz für Kinder“ ging es los, die DDR-Rocker Puhdys traten auf, Liederjahn sang Arbeiterlieder, DKP-Liedermacher Dieter Süverkrüp, der parteinahe Bernd Köhler und Musiker aus dem kubanischen Bruderstaat konzertierten, der Bündnispartner Deutsche Friedensunion durfte sich präsentieren und auch „Anti-AKW-Theater“ gab es. „Über die Kultur Leute für sich werben“, beschreibt Otterstedt das Konzept.

Das Ende von DDR und DKP

Aber spätestens mit dem Ende der DDR war das mit DKP perdu. Und zunehmend hätten auch die an das Haus gebundenen politischen Institutionen, Arbeitskreise, Mitgliedsgruppen und Veranstaltungen weiter abgenommen, so Otterstedt. Geblieben sind die Schlachthofzeitung „Z“, die Medienkompetenzwerkstatt sowie theater- und musikpädagogische Angebote. Im Turm gab es einst eine Galerie, die mangels Publikumszuspruch zugunsten eines Theaters geschlossen wurde. Das startete als Jungbürgerbühne und ist derzeit auch Kooperationspartner der freien Szene – der Schlachthof ist aber vor allem als Konzertort populär.

Die Stadt wollte auf dem Schlachthof-Gelände ein Kongresszentrum mit Hotel bauen, aber die FindorfferInnen kämpften für ein Freizeitzentrum

„Zum 40. Jubiläum haben wir beschlossen, die Repolitisierung anzugehen, wieder Initia­tiven einzuladen, politische Themen aufzugreifen“, erklärt Otterstedt. Aus diesem Grunde findet noch bis September die Veranstaltungsreihe „Keine Panik­ – wir wachsen weiter“ statt, die eigentlich das Jubiläumsprogramm hätte einleiten sollen. Aber: Der Senatsempfang und die Geburtstagsparty mussten coronakrisenbedingt abgesagt werden. Gefeiert werden soll nun am 30. Oktober 2021 der 40. Jahrestag der Eröffnung der Kesselhalle.

Miese wegen Corona

Und noch ein aktuelles Problem: Im Wasserturm dürfen sich derzeit wegen fehlender Brandschutzmaßnahmen nur zehn Menschen gleichzeitig aufhalten, weswegen die Theaterprojekte ausgelagert werden mussten. 2,1 Millionen Euro werde Immobilien Bremen (IB) laut Otterstedt demnächst genehmigen, um am Turm eine Außenfluchttreppe anzubauen, Feuermeldeanlagen und Notausgänge zu installieren.

Seit 2014 zahlt der Schlachthof eine jährliche Bauunterhaltungsmiete an IB. Ein richtiger Mietvertrag soll noch dieses Jahr unterzeichnet und ein neuer Mieter der Schlachthof-­Kneipe vorgestellt werden. 14 Menschen sind im Kulturzentrum derzeit fest angestellt, der Jahresetat liegt bei 1,2 Millionen Euro, die Hälfe sind Kulturfördergelder, hinzu kommen Drittmittel, Miet- und Eigeneinnahmen, etwa 100.00 Euro brutto pro Jahr durch Konzerte.

Das wird im Coronajahr nicht möglich sein. „Schon jetzt sind wir 105.000 Euro im Minus“, so Otterstedt. „Bis Ende des Jahres überleben wir aber mit unseren Rücklagen.“ Und die nächsten 40 Jahre werden dann ja vielleicht wieder ein bisschen leichter.