Migration und Tod in Zeiten von Corona: Auch im Leben gleich

Es ist kein Naturgesetz, dass Migration so oft in den Tod führt. Und gerade in Coronazeiten gibt es für das Nichtstun keine Entschuldigung.

Junge Männer sitzen auf einem Lastwagen der in die Wüste fährt

Junge Männer auf den Weg von Niger Richtung Libyen, ein gefährliche Reise, die oft tödlich endet Foto: Jerome Delay/ap

Migranten und Flüchtlinge sind die großen Verlierer der Coronakrise. Nicht nur sind sie denselben medizinischen und ökonomischen Risiken ausgesetzt wie alle anderen Menschen, sie sind da­rüber hi­naus von Grenzschließungen und Reisebeschränkungen besonders betroffen. Denn sie bewegen sich von einem Land zum anderen, sie sind an mehr als einem Ort verwurzelt und haben mehr als eine Heimat.

Die Grundlage der Covid-19-Bekämpfung ist Isolierung und Abschottung: Wer die Zirkulation des Virus unterbindet, kann die Ausbreitung der Pandemie erschweren. Die Grundlage von Migration und Flucht sind hingegen Bewegung und Grenzüberschreitung – wer diese unterbricht, zerschneidet das Leben der betroffenen Menschen.

Die jetzt veröffentlichten Erkenntnisse über das Leid und das Sterben afrikanischer Flüchtlinge auf dem Weg in Richtung Europa, lange bevor sie auch nur das Mittelmeer erreichen, sind eigentlich nicht neu.

An Horrormeldungen über Folter in libyschen Internierungslagern oder über das Verdursten in der Sahara-Wüste hat sich die europäische Öffentlichkeit gewöhnt – so sehr, dass kaum jemand sich noch die Mühe macht, den afri­ka­ni­schen Flüchtlingen und Migranten in Europa zuzuhören, ihre Geschichten zu sammeln, ihre Erfahrungen und Erinnerungen und auch ihre Trauer und ihre Traumata zu dokumentieren. Jede und jeder, der es nach Europa schafft, kennt Menschen, die auf der Strecke geblieben, die unterwegs gestorben sind. Und jeder dieser Todesfälle ist ein Fall unterlassener Hilfeleistung.

Es ist kein Naturgesetz, dass Menschen in Bewegung von ärztlicher Versorgung abgeschnitten sind; dass sie an Wassermangel und unbehandelten Verletzungen sterben; dass sie im brutalen Mafia-Spiel zwischen geldgierigen Schleusern und korrupten Sicherheitskräften buchstäblich vor die Hunde gehen.

Es ist auch kein Naturgesetz, dass Migranten zu Tausenden im Mittelmeer ertrinken und dass die Überlebenden in EU-Ländern oftmals im gesellschaftlichen Abseits landen und rechtlos in sklavereiähnlichen Ausbeutungsverhältnissen leben, auf die das weiße Europa nur dann aufmerksam wird, wenn sich dort das Coronavirus ausbreitet.

All das kann man verhindern und stoppen. Das zu tun oder eben auch nicht ist eine politische Entscheidung.

Gerade in Coronazeiten gibt es für das Nichtstun keine Entschuldigung. Wer Covid-19-Tote zählen kann, der kann auch tote Flüchtlinge zählen. Und etwas gegen das Sterben tun. Im Tod sind alle Menschen gleich. Höchste Zeit, dass das auch im Leben gilt.

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Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.

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