Grafikdesign und die Symbole verleihen den Instanzen eine Gewalt

Die Polizei in der Kunst (4): Sophie Reinhold bemächtigt sich mit „POLI“ der Signets der Macht

Verkehrsblau per Augenmaß: Sophie Reinhold, „POLI“ (2019) Foto: Matthias Kolb/Courtesy Contemporary Fine Arts

Von Sebastian Strenger

„POLI“ ist innerhalb einer Serie von Arbeiten entstanden, mit denen die Künstlerin Sophie Reinhold auf das Branding von Infrastruktursystemen reagiert. Im Fall von „POLI“ bezieht sie sich sehr konkret auf das Branding der Berliner Polizei. Branding objektiviert und vereinfacht den menschlichen Alltag in einer Baukastenlogik. Die im Bild vorherrschende Farbe definiert der hohe Wiedererkennungswert der Farbe RAL 5017, auch unter dem Begriff Verkehrsblau bekannt. Überwiegend mit ihr sind in Deutschland die Verkehrsfahrzeuge der Polizei lackiert, die Schrift ist dabei vornehmlich in Silber oder wie hier in Weiß wiedergegeben. Bei Reinhold ist der Blauton per Augenmaß hergestellt. Dabei hat sich die Künstlerin in der für sie typischen Arbeitsweise für das Blau pigmentierten Marmormehls bedient. Dieses wurde auf die Leinwand aufgebracht, während die Schrift projiziert und händisch zur Schablone entwickelt wurde.

Reinholds flächige, minimalistische Malerei erhält ihre Wirkung auf den Betrachter vor allem durch die Farbflächen, in denen sich die Farben durch ihre scharfkantigen, reliefartigen Überlagerungen voneinander trennen. Der Künstlerin geht es um das Spiel mit Symbolen. Der Ausschnitt aus dem Branding der Polizei ist so gewählt, das er auf den Wortstamm, den griechischen Begriff Polis verweist. Reinholds Interesse wurde zuletzt durch die Lektüre von Hannah Arendt und deren Bezugnahme auf den Begriff der Polis wiedergeweckt. Sie zitiert aus Christoph Marx „Die Idee des Politischen von Hannah Arendt“:

„Arendts Idee des Politischen ist geboren aus der – sicher idealisierten – Reminiszenz an die griechische Polis. Sie verbindet das mit den Ideen menschlicher Freiheit und Spontanität. Entscheidend ist analog zu dem altgriechischen Marktplatz, der Agora, die Existenz eines Orts für Politik, ein Raum, in dem sich menschliches Handeln entfalten kann. Dieser Ansatz unterscheidet sich wesentlich vom eher bürokratieähnlichen Verständnis von Politik, das vor allem von Organisation und Hierarchie und Macht- und Herrschaftsbegriffen herrührt. Der Sinn des Politischen ist, dass Menschen in einem öffentlichen Raum ‚in Freiheit, jenseits von Gewalt, Zwang und Herrschaft, miteinander verkehren, Gleiche mit Gleichen, die alle Angelegenheiten durch das Miteinander-Reden und das gegenseitige Sich-Überzeugen‘ regeln.“

Daher empfindet die 1981 in Ostberlin geborene Reinhold ihr Bild als Glockenschlag, mit dem die Betrachter*innen in die Realität zurückholt werden. Gleichzeitig ist das Bild Bezugspunkt menschlichen Handelns im Sinne einer Bedingtheit ebendieses Handelns und des Fühlens. Heute werde durch „Grafikdesign und Symbole den Instanzen eine Gewalt verliehen“, so Reinhold, „man erkennt sie wieder, man weiß, man hat sich zu benehmen, wenn ein Polizeiauto an dir vorbeifährt, wenn man im Park schlendert und den Abstand zum Nachbarn nicht einhält. Man kann schon aus großer Ferne erkennen: Es handelt sich um eine staatliche Instanz. Genau so funktioniert in einem Gericht nun ja auch die Architektur, das ist die Art, wie dir verdeutlicht wird, welche Rolle du einnimmst.“

Überhaupt arbeitet Reinhold, Absolventin der Klasse von Amelie Wulffen an der Akademie der Künste in Wien, der Hochschule für Grafik und Buchkunst, Leipzig und der Kunstakademie Weißensee aus der Klasse Antje Majewski, immer weniger im Rahmen der Vorstellung eines persönlichen Stils. Vielmehr gilt ihr Interesse der Idee der Montage, wie sie beispielsweise von Brecht und Benjamin entwickelt wurde. Auf der malerischen Ebene sieht sie nach eigenem Bekunden vor allem Sigmar Polke als ihr Vorbild. In ihren Ausstellungen wie zuletzt bei Contemporary Fine Arts in Berlin oder im Reutlinger Kunstverein versucht sie immer wieder aufs Neue, Anachronismen und Brüche zu konfrontieren. Das POLI-Bild, wie auch andere Bilder dieser Serie, „haben ja einen quasidokumentarischen Bezugspunkt. Ausschnitthafte Realität, schmerzhaft, klar“, so die Künstlerin: „Kapitalistischer Realismus, könnte man in Anlehnung an Polke auch sagen.“

Die nationale wie internationale Auseinandersetzung über Polizeigewalt und wie diese Auseinandersetzung journalistisch zu führen ist, brachte unseren Autor Sebastian Strenger auf die Idee, einmal nachzuschauen, wie die Polizei Motiv der Kunst wird. Weitere Texte folgen.