Geschlossene Schlachthöfe: Was passiert mit den Tieren?

Tierschützer befürchten, dass Küken wegen Corona getötet werden. Denn wenn Schlachthöfe dicht machen müssen, entsteht ein Rückstau.

Drei Puten in einem Stall.

Zwei Wochen alte Puten: Für die Fleischindustrie nur Teil der Lieferkette Foto: Carmen Jaspersen/dpa

HAMBURG taz | Der Betrieb im Wiesenhof-Schlachthof im niedersächsischen Wildeshausen ruht seit dort vor zwei Wochen das Coronavirus ausgebrochen ist. Sonst werden dort jeden Tag rund 40.000 Tiere geschlachtet und verarbeitet. Das Problem: Auch wenn nicht geschlachtet wird, sind die Tiere da – es entsteht ein Puten-Rückstau.

Tierschützer*innen befürchten, dass am Ende der Produktionskette, also bei der Kükenzucht, die überzähligen Tiere getötet werden – auch wenn das illegal ist. Selbst aus der PHW-Gruppe, zu der der Wiesenhof-Schlachthof mehrheitlich gehört, und aus dem niedersächsischen Geflügelwirtschaftsverband sind solche Bedenken zu hören.

Die Tiere werden „on time“, wie es in der Branche heißt, von den Dutzenden Mastbetrieben aus dem nahen und fernen Umland geliefert: ausladen, schlachten, verarbeiten ohne Zeitverlust. Als das Virus ausbrach, bat der Wiesenhof- Schlachthof hastig um Sondergenehmigungen, die Puten in anderen Schlachtereien in Niedersachsen schlachten zu dürfen.

Bei den Zuliefererbetrieben sorgt die Stilllegung des Wiesenhof-Schlachthofes trotzdem für Probleme, weil es in den Ställen eng wird: Um wirtschaftlich zu arbeiten, sind die Mastbetriebe auf die regelmäßige Abnahme der Tiere durch Schlachthöfe angewiesen. Zusätzlichen Platz für solche Ausnahmesituationen gibt es offenbar nicht.

Sprecherin Animal Rights Watch (Ariwa)

„Die Situation zeigt aufs Deutlichste, wie durch und durch krank das System Tierproduktion ist“

„Die Situation zeigt aufs Deutlichste, wie durch und durch krank das System Tierproduktion ist“, kritisiert eine Sprecherin des Vereins Animal Rights Watch (Ariwa). Käme es zur Tötung von Tieren aus wirtschaftlichen Gründen, wäre das rechtswidrig, sagt sie.

Und der Rückstau geht noch weiter. „Können die Küken nicht eingestallt werden, ist absehbar, dass sie in den Brütereien und Aufzuchtbetrieben getötet werden“, sagt die Ariwa-Sprecherin. Am Ende sei schließlich die gesamte Kette betroffen: Stockt es vorne, stockt es auch hinten. „Wir sprechen hier potenziell von Hunderttausenden, wenn nicht Millionen Tieren allein in Niedersachsen“, so die Sprecherin.

Dass diese Befürchtung nicht aus der Luft gegriffen ist, bestätigt der niedersächsische Geflügelwirtschaftsverband. „Man könnte das vermuten“, sagt auch dessen Vorsitzender Friedrich-Otto Ripke. Bislang habe er allerdings noch von keinen Problemen bei den Zuchtbetrieben gehört. Stattdessen sei ein Großteil der schlachtreifen Puten von anderen Schlachtereien abgenommen worden, erklärt Ripke. Und somit gebe es auch wieder etwas mehr Platz in den Mastbetrieben. In Deutschland gibt es nur vier Schlachthöfe für Puten. Neben einem Betrieb bei München gibt es noch drei Betriebe im westlichen Niedersachsen.

„Notkeulungen der schlachtreifen Puten konnten wir durch die Nachbarschaftshilfe der anderen Schlachthöfe vermeiden“, sagt Ripke. Diese gegenseitige Hilfe sei auch ein Ergebnis des letzten Ausbruchs der Vogelgrippe. Es mussten Tiere getötet werden, notgekeult, so der Fachbegriff. Und daraufhin habe man einen Notfallplan ausgearbeitet. Lange Zeit könne der in der aktuellen Krisensituation aber nicht mehr aufrechterhalten werden. „In ein bis zwei Wochen kommt es zu einem Engpass“, sagt Ripke.

Ob einzelne Zuchtbetriebe schon jetzt in einen Engpass geraten sind, ist unklar. Denn viele der Brütereien wollen sich dazu nicht äußern. Einzig eine der größten Brütereien des Landes, das Kartzfehn-Unternehmen aus dem Cloppenburger Land, spricht von kleineren Problemen. Dramatisch sei das aber alles nicht. Man kenne solche Probleme schon vom Ausbruch der Vogelgrippe. „Einige kurzfristige Probleme haben wir gelöst und sind darin auch gut erprobt“, sagt Kartzfehn-Sprecher Thorsten Mahlstedt.

Vogelgrippe als schlimme Vorerfahrung

Gerade der letzte Ausbruch der Vogelgrippe aber ist es, der die Tierschützer*innen von Ariwa das Schlimmste erwarten lässt. „Wir haben auch schon bei der Vogelgrippe gesehen: Es werden gesunde Tiere gekeult“, sagt die Sprecherin. So war beispielsweise in einem Putenzuchtbetrieb in Dornum, im Landkreis Aurich, erst im März die Vogelgrippe ausgebrochen. Alle rund 10.000 Puten wurden gekeult. „Auch 2017 wurden Tausende gesunde Puten-Küken getötet, weil sie wegen eines Vogelgrippe-Ausbruchs nicht zu den Mastanlagen geliefert werden konnten“, sagt die Ariwa-Sprecherin.

Das niedersächsische Landwirtschaftsministerium sagt dazu, dass im aktuellen Wiesenhof-Fall die anderweitige Unterbringung überzähliger Tiere geklärt worden sei. „Auch die Kükenaufzucht wurde abgestimmt“, sagt Sprecherin Sabine Hildebrandt. Das Ministerium habe bislang keine Kenntnis darüber, dass es schon zu Verstößen gegen Tierschutzvorschriften gekommen sei, sagt Hildebrand. „Davon sind dem Ministerium keine mitgeteilt worden.“

Im Wiesenhof-Schlachtbetrieb in Wildeshausen waren vor zwei Wochen die ersten Fälle von mit Corona infizierten Mitarbeiter*innen bekannt geworden. Bislang sind 46 Personen infiziert. Auch bei Kindern von Mitarbeiter*innen wurde das Virus festgestellt. Voraussichtlich zum Ende der Woche soll der Schlachthof-Betrieb mit den mehr als 1.100 Angestellten aber wieder anlaufen.

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