Christian Packheiser „Heimaturlaub“: Kirschlikör von der Front

Wehrmachtsoldaten als ganz private Plünderer: Christian Packheisers Buch über deutsche Heimaturlauber im Zweiten Weltkrieg.

Ein Propagandafoto der Nazis zeigt Soldaten der deutschen Wehrmacht mit Gepäck bei der Abreise von der Front in den Heimaturlaub, aufgenommen im Dezember 1943.

Nazi-Propaganda: „Schwer beladen geht es Richtung Heimat, der wohlverdienten Erholung entgegen“ Foto: Sammlung Berliner Verlag/Archiv Bergmann/akg-images

Israel Korman ist zwölf Jahre alt, als die deutsche Wehrmacht 1939 seine polnische Heimatstadt Radom überfällt und besetzt. Juden wie Korman und seine Familie, die ein kleines Kaufhaus betreibt, gelten fortan als Freiwild – nicht nur für die SS.

Die deutschen Soldaten, berichtete Korman Jahrzehnte später, hätten den Laden betreten und ungeniert zu stehlen begonnen. Er sei dann immer zum nächsten Posten gerannt, um die dortigen Militärpolizisten zum Einschreiten zu bewegen. Doch die Männer hätten ihn nur weggejagt. Nur ein einziges Mal hätten die Polizisten anders reagiert, seien ihm gefolgt und hätten die Diebe vertrieben.

„Dieser Laden darf nicht angerührt werden“, hätten sie den Soldaten gesagt und seien auch dabei geblieben, als einige von ihnen darauf verwiesen hätten, dass es sich doch „nur“ um ein jüdisches Geschäft handele. Diese Militärpolizisten „ benahmen sich wie menschliche Wesen“, sagte Korman.

Briefe von Frontsoldaten ausgewertet

Dass Fälle wie die dauernden Diebstähle bei den Kormans zum Alltag der Besatzer gehörten und keineswegs nur Juden darunter litten, zeigt die erste große systematische Untersuchung über die Soldaten der Wehrmacht zwischen Front, Familie und NS-Regime. Christian Packheiser hat dabei auch Briefe von Frontsoldaten und alliierte Abhörprotokolle von Gefangenen ausgewertet.

Daraus geht hervor, dass die Wehrmachtangehörigen häufig so viele Mangelwaren und Luxusartikel nach Hause schleppten, wie sie nur tragen konnten, wenn einer der unregelmäßig gewährten Heimaturlaube anstand.

„In manchen Stellen sind die Soldaten mit Pistolen in Geschäfte hereingekommen, haben sich alles Mögliche genommen und sind dann verschwunden“, berichtete ein Soldat über seine Erfahrungen auf Sizilien. Ein anderer berichtete: „Die sind da einfach in die Bauernhäuser und haben Speck, Cognac usw. rausgeholt. Und die Ostbataillone haben es noch viel schlimmer getrieben. Haben an die Tür geklopft, wenn sie nicht gleich aufgemacht hatten, oder eine Handgranate eingeworfen.“

Christian Packheiser: „Heimaturlaub. Soldaten zwischen Front, Familie und NS-Regime“. Wallstein Verlag, Göttingen 2020, 533 Seiten, 36 Euro

Dabei agierten die Soldaten ganz im Sinne der NS-Führung, deren Ziel im Auspressen aller wirtschaftlichen Ressourcen aus den besetzten Ländern zugunsten des Reichs bestand. Nicht viel anders verhielt sich die Staatsspitze: Deren Männer übernahmen für ihre privaten Sammlungen ganze Museen und Sammlungen. Und die SS-Männer in Vernichtungslagern ermordeten nicht nur die Deportierten, sondern eigneten sich Teile ihres Besitzes persönlich an, wie eine Studie über Sobibor zeigt.

Raub und Diebstahl für die Mitbringsel von der Front

Raub und Diebstahl waren ein konstituierendes Element des Regimes. Dementsprechend tolerierte der NS-Staat auch Raub und Diebstahl seiner Soldaten. Die Propaganda begrüßte es sogar, wenn sich die Männer ihren Teil der Beute aneigneten. Anfängliche Mengenbegrenzungen der Mitbringsel in die Heimat wurden schon bald fallen gelassen, der Zoll spielte kaum mehr eine Rolle. Schließlich ging es auch darum, schreibt Packheiser, die Stimmung in der Heimat zu heben.

Als sich der Krieg ab 1941 mehr und mehr in die Sowjetunion verlagerte, fiel die Beute freilich dürftiger aus als zuvor etwa im wohlhabenderen Frankreich. Manch ein Soldat bereitete seine Liebsten bedauernd darauf vor, dass Seidenstrümpfe bei Minsk nicht zu ergattern seien, aber immerhin Eier, Butter und Speck (derweil Millionen sowjetische Kriegsgefangene und Zivilisten verhungerten).

Mit der Fortdauer des Krieges mutierten die Soldaten gar zu mobilen Versorgern der „Heimatfront“, die unter Versorgungsengpässen zu leiden begann: Man müsse „den Urlauber als ideales und einfachstes Transportmittel ansehen und ihm für seine Angehörigen so viel Lebensmittel mitgeben, als er nur schleppen könne“, heißt es in einem Gesprächsprotokoll aus der Wolfsschanze, dem Kriegshauptquartier Hitlers, vom Juli 1942.

Packheisers akribische Untersuchung zeigt einmal mehr, dass das NS-Regime und der von ihm losgetretene Krieg auf breite Zustimmung in der Bevölkerung bauen konnte, solange diese von Raub, Diebstahl und Plünderungen profitierte. Es verwundert nicht, dass dies auch für die Frauen der Soldaten galt, die ganze Wunschlisten von Gütern an ihre Geliebten verfassten.

Tüll und Kirschlikör sind prima

„Also, Du hast wieder mal für mich etwas gekauft? Tüll hast Du bekommen? Ich bin gespannt. Du musst ja wie ein Packesel hier ankommen“, schrieb Irene G. ihrem Mann vor seiner erwarteten Ankunft aus Frankreich im Juni 1943. „Kannst Du nicht auch noch Likör bekommen, der Kirschlikör ist prima. Ich möchte gerne reichlich solche Sachen haben, wenn Du da bist“, bat Lore G. ihren Mann kurz vor Weihnachten 1940.

Das NS-Regime maß den Urlauben der Soldaten einen hohen Stellenwert zu – auch um die „Heimatfront“ zu stärken, die doch noch angeblich zum Ende des Ersten Weltkriegs den Truppen in den Rücken gefallen wäre. Als sich ab 1942 die Wehrmacht mehr und mehr auf dem Rückzug befand, blieb es bei den Urlaubsregelungen. Nun bekamen die Fronturlauber als Geschenk ein Lebensmittelpaket für ihre Familien – ein Stimulans für die Moral daheim und an den verkürzten Fronten.

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