Ohne Geist

Wir sollten uns nicht nach dem Bild unserer Maschinen begreifen

Thomas Fuchs: „Verteidigung des Menschen“. Suhrkamp Verlag, Berlin 2020, 331 Seiten, 22 Euro

Von Marlen Hobrack

Angenommen, ein Gehirn ließe sich von einem Körper in den anderen transferieren – wäre das Selbst, das zu dem Gehirn „gehört“, noch immer dasselbe? Angenommen auch, man könnte ein Gehirn eins zu eins in einem Netzwerk von Schaltkreisen abbilden und seine „Daten“ transferieren – würde das dazugehörige Ich sein wie vorher? Diese Fragen sind keine Science-Fiction, sie werden von Wissenschaftlern diskutiert. Nicht wenige postulieren eine Art Gehirnapparat, der separiert von einem Körper gedacht werden kann. Dabei ist das Gehirn auch Körper, ohne diesen nicht denkbar. Erst im verkörperten Bewusstsein entsteht eine Vorstellung von Selbst. Dieses Selbst formt das, was wir „Mensch“ nennen. Und genau diesen gilt es zu verteidigen, wenn es nach Psychiater Thomas Fuchs geht, der mit „Verteidigung des Menschen“ Essays zum Thema vorgelegt hat. Die Verteidigung des Menschen gilt nicht den moralischen Fehltritten, deren sich Menschen als einzelne oder als Gemeinschaft schuldig machen. Vielmehr geht es um die Verteidigung des Menschen als leibhaftiges Subjekt, als lebendiges Wesen.

Fuchs argumentiert kenntnisreich und sehr klar gegen Irrungen eines szientistischen Weltbildes, das eine einfache Input-Output-Logik für unser Hirn postuliert. Denkprozesse werden darin analog zu algorithmenbasierten Rechenprozessen verstanden. Dass das Gehirn in einem Körper sitzt, der es überhaupt erst in die Lage versetzt, zu essen, zu lieben, zu fühlen, wird dabei vergessen. Letztlich knüpft diese Vorstellung an das Modell der dualistischen Trennung von Geist und Körper an. Damit möchte Fuchs brechen. Bewusstsein ist nicht substratunabhängig; Träume von „mind uploading“ sind damit obsolet.

Dass die wohl verbreitetste gegenwärtige Metapher für das menschliche Gehirn die des Computers ist, verwundert uns schon nicht mehr. Dabei könnte sie falscher nicht sein. Fuchs erklärt es ausführlich in seiner „Klarstellung“ zu menschlicher und künstlicher Intelligenz. So können Gehirnvorgänge zwar grob als binäre Prozesse der Weiterleitung oder Hemmung von Impulsen beschrieben werden. Aber diese Prozesse verlaufen unter der Mitwirkung von Neuromodulatoren weit komplexer als ein banales An/Aus. Auch speichert das Hirn Informationen nicht auf einer Festplatte; und die Trennung zwischen Hard- und Software ist angesichts der Neuroplastizität des Hirns unmöglich.

Nicht nur die Hirn-Computer-Analogie weist Fuchs zurück. Auch die Vorstellung, dass es „künstliche Intelligenz“ gebe, verneint er. Freilich verfügen Hochleistungscomputer über Rechenkapazitäten, die Menschen nicht nur bei Schachspielen auf den zweiten Platz verweisen. Dass es sich hierbei jedoch um „Intelligenz“ handele, negiert Fuchs. Denn Intelligenz meint Begreifen, das Finden kreativer Lösungen, das Übertragen einer Erkenntnis auf einen anderen Gegenstand. Selbst „lernende“ Systeme können dies noch immer nicht bewerkstelligen. Und selbst wenn sie es könnten: Sie wären sich ihrer selbst als lernendes System nicht bewusst. Unterlegenheitsgefühle angesichts der limitierten Rechenkapazität des menschlichen Gehirns im Vergleich zum Computer, der uns letztlich nur eine Prothese ist, muss niemand empfinden. Hat all das praktisch-ethische Konsequenzen?

Ja, meint Fuchs, die Irrtümer über KI und Bewusstsein könnten dazu verleiten, den vermeintlich objektiv agierenden Systemen die Kontrolle über Entscheidungen, die menschliche Lebenswelt betreffen, zu überlassen. Aber Programme sind so gut oder schlecht wie der Mensch, der sie gemacht hat. Kein Grund für mangelndes Selbstbewusstsein!