Wegen Corona kein Alkohol in Hamburg: Schanzenviertel halbtrocken

An den vergangenen Wochenenden war die Schanze voll, trotz Corona. Nun verbot das Bezirksamt den Außerhausverkauf von Alkohol.

Polizisten gestikulieren im Gespräch mit jungen Männern.

Mit hohem Kommunikationsaufwand versuchte die Polizei, das Cornern einzudämmen Foto: Miguel Ferraz

HAMBURG taz | Auf dem Schulterblatt sitzen Menschen auf Holzbänken, trinken Weißwein aus langstieligen Gläsern oder schlürfen durch einen Strohhalm Aperol Spritz. Kein ungewöhnlicher Anblick für einen Freitagabend. Und doch ist dieses Straßenbild ganz anders als das, womit die Behörden gerechnet haben.

Die hatten an diesem Abend gerade im Schanzenviertel großes Gedränge ohne Sicherheitsabstand erwartet – oder gar Krawalle wie in Stuttgart. Eine Kundgebung der Interventionistischen Linken zum Thema Rassismus und Polizeigewalt ist noch dazu ab zehn Uhr angekündigt. Das Bezirksamt Altona entschloss sich daher zu einem ungewöhnlichen Schritt: Es verfügte am Freitagnachmittag ein Alkoholverkaufsverbot.

Das gilt allerdings nicht für alle gleichermaßen: Der Wein in der Bar ist weiterhin erlaubt. Aber nur, wenn die Leute auch einen Tisch haben. Das sogenannte „cornern“, also an einer Straßenecke herumzuhängen und zu trinken, soll an diesem Wochenende verhindert werden. Wegen der Ansteckungsgefahr mit dem Coronavirus sei dies zu gefährlich. Deshalb dürfen insgesamt 16 Betriebe in Altona und Mitte, vor denen in der Vergangenheit viel gecornert wurde, an diesem Wochenende keinen Alkohol zum Mitnehmen verkaufen.

Jetzt klagen auch die Kioskbetreiber

Das trifft besonders die Kioske. Im Cayan-Kiosk am Schulterplatz steht Umut hinter einer Plastikscheibe und muss hereinkommenden Leuten immer das gleiche zurufen. „Wir dürfen heute keinen Alkohol verkaufen!“ Die meisten machen auf dem Absatz kehrt, einige kaufen Zigaretten. „Ich will aber Alkohol“, jammert ein Mädchen und fragt ihre Freundin: „Hat der Supermarkt auf?“

„Der Rewe auf dem Schulterblatt darf Alkohol verkaufen“, sagt Umut, als die Mädchen weg sind. „Das ist ungerecht, die Leute kaufen da und uns bricht unser Umsatz weg.“ Zigaretten brächten ihnen nur Cent-Beträge ein. Wie er von der kurzfristigen Regelung erfahren habe? „Da kam jemand von der Behörde und hat uns so einen gelben Brief in die Hand gedrückt.“ Das Verkaufsverbot galt ab sofort und bis zum nächsten Morgen, Samstagabend dasselbe.

Über das Cornern streiten die Betreiber von Bars und Kiosken schon seit Jahren. Die Getränke in den Bars auf der Schanze sind aufgrund hoher Mieten oft teuer. Da ist der Kiosk eine gute Lösung für Leute, die sich das nicht leisten können oder wollen. Die Bars stellen dafür die Toiletten, auf die alle gehen.

Vor dem Saal II, direkt neben dem Cayan Kiosk, steht ein rosafarbenes Schild. „Bitte geht da auf Toilette, wo ihr eure Getränke kauft.“ „Das Schild hatten wir tatsächlich schon vor Corona“, sagt Paula, die in der Bar aushilft. Zu viele Leute vom Kiosk nebenan seien hier aufs Klo gegangen. „Und jetzt zu Corona-Zeiten müssen sich alle Gäste bei uns registrieren. Wer hier nur schnell aufs Klo geht, macht das natürlich nicht. Das ist schon ein Problem.“ Ihnen helfe das Verbot deshalb.

Polizisten gehen mit Taschenlampen auf Männer zu, die auf einer Parkbank im Dunkeln sitzen.

Am späteren Abend spürten Polizist*innen Kleinstgruppen im Florapark auf Foto: Miguel Ferraz

Tristan aus der „Katze“ schräg gegenüber sieht die Maßnahme kritischer. Auch er fühlt sich ungerecht behandelt, wie so viele auf dem Schulterblatt. Doch das Cornern werde die Regelung kaum verhindern, meint er. „Dann kaufen sich die Leute ihr Zeug eben im Supermarkt“, sagt er. Es würde viel mehr helfen, wenn der Kiez wieder aufmachte. „Dann würden sich die Leute ein bisschen verteilen und nicht alle in die Schanze kommen.“

Am Ende sind doch fast alle betrunken

Tristan soll recht behalten. Im Laufe des Abends füllt sich die Schanze immer mehr. Fast alle haben Alkohol dabei. „Aus dem Rewe“, sagen sie, wenn man sie fragt, wo sie den her haben. Die Polizei patrouilliert in Uniform und mit Masken und fordert einzelne Grüppchen auf, den Abstand einzuhalten.

„Wir sind es gewohnt, der Buhmann zu sein“, sagt ein Polizist von der Wache Lerchenstraße. „Aber Anwohner machen sich Sorgen, dass die Schanze ein neuer Herd werden könnte. Für sie sind wir da.“ Immerhin: Von Zuständen wie in Stuttgart ist das Schanzenviertel an diesem Abend weit entfernt. Insofern hat das Alkoholverkaufsverbot vielleicht gewirkt. Aber trotzdem sind fast alle betrunken.

In all dem Trubel geht die Anti-Rassismus- Kundgebung fast unter. Vor dem Bahnhof Sternschanze sitzen Menschen mit Abstand auf Kreidemarkierungen und lauschen Vorträgen über Polizeigewalt in den USA – und über die mangelnde Solidarität mit Hengameh Yaghoobifarah, die Solidarität mit Hengameh Yaghoobifarah, die nach ihrer polizeikritischen taz-Kolumne von vielen Seiten angefeindet wurde. Dazu laufen Bilder über eine Leinwand. Es ist der einzige Ort, an dem man sich in normaler Lautstärke unterhalten kann. Und wo es einem seltsam vorkommt, was nur ein paar Straßen weiter gerade los ist.

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