Das Grab breit ausgehoben

Vor der Bestattung ihres Mannes fallen einer Witwe verwesende Knochen in der Friedhofserde auf

Von Uta Eisenhardt

Elke Murnau stand auf dem Friedenauer Künstlerfriedhof direkt vor dem Grab mit der Nummer 8/81. Hier sollte am 8. Juni ihr Mann Stefan Eidmann beerdigt werden. Der pensionierte Lehrer war 68 Jahre alt geworden.

Mit einem Bagger hatte ein Friedhofsmitarbeiter bereits die Erde ausgehoben. Als Haufen lag sie neben dem Grab, abgedeckt mit einer Plane. Ein stechender Geruch lag in der Luft. Die Witwe bat zwei Freunde ihres Mannes ans Grab. Auch sie fanden, es rieche nach Verwesung.

Ein ganz normaler Duft, der nun mal zum Friedhof gehört? Elke Murnau ließ nicht locker. Sie wandte sich an Bernd Tonat. Der Inhaber des Bestattungsunternehmens „Himmelsleiter“ lüftete schließlich die Plane über dem Erdhaufen. „Da ragten ein paar Knochen in die Gegend“, so beschreibt er das, was er damals sah.

Hatte hier ein Mörder oder Totschläger versucht, heimlich sein Opfer verschwinden zu lassen? Der Erdhaufen wurde abgesperrt. Die Kriminalpolizei kam und ließ die Knochen in die Gerichtsmedizin bringen.

Die Witwe war geschockt. Wäre sie der Sache nicht auf den Grund gegangen, hätte man einfach die mit fremden Knochen gespickte Erde auf den Sarg ihres Mannes geworfen! Die Grabstätte war mit einem Schlag völlig inakzeptabel. „Ich lasse meinen Mann nicht in einer Jauchegrube versenken!“, sagt Elke Murnau. Sie musste ein anderes Grab finden, und zwar schnell: Jeder Tag, den der zu Bestattende im Kühlhaus verbringen muss, kostet 50 Euro.

In ihrem Zorn wandte sie sich an die Friedhofsverwaltung, dann an die Bürgermeisterin von Tempelhof-Schöneberg. Tage vergingen – ohne Reaktion.

Zusätzlicher Schrecken

Mit ihrem Fahrrad klapperte Elke Murnau die Friedhöfe in der Nachbarschaft ab, um eine neue Grabstelle zu finden. Sie suchte nach einem Anwalt, der sie dabei unterstützen sollte, vom Pachtvertrag für das unbrauchbare Grab zurückzutreten und Entschädigung zu fordern für den zusätzlichen Schrecken, dem sie sich in ihrer ohnehin labilen Situation ausgesetzt sah. Die Witwe war beschäftigt, nur nicht mit ihrer Trauer.

Unterdessen rekapitulierten die Ermittler der Kriminalpolizei gemeinsam mit der Friedhofsverwaltung, wann die letzten Leichen im Grab 8/81 und in den angrenzenden Gräbern bestattet wurden. Die Rechtsmediziner analysierten den Bakterien- und Insektenbefall auf den eingelieferten Knochen, um herauszufinden, wie lange diese bereits verwesen.

Am vergangenen Donnerstag endlich wurde Stefan Eidmann auf dem Alten St.-Matthäus-Friedhof beerdigt. Der Skandal hatte sich bereits herumgesprochen – die dortigen Friedhofsmitarbeiter wussten, dass jetzt nichts mehr schiefgehen darf.

Schlussendlich war die Witwe erleichtert: Ein Jugendfreund hatte eine Rede gehalten, auf dem Klavier war das jüdische Wiegenlied „Makh tsu di Eygelekh“ erklungen, eine Freundin hatte „Summertime“ trompetet. „Für dich und immer für dich“ war erklungen – ein passender Gruß ans benachbarte Grab, in dem Rio Reiser liegt.

Auch bei der Berliner Polizei konnte man aufatmen: „Es liegt keine Straftat vor“, sagt Martin Halweg, einer ihrer Sprecher. Vielmehr haben sich die Normmaße der Gräber verändert: Die Löcher für die Särge müssen größer gebuddelt werden als früher. Deshalb schachtete der Friedenauer Friedhofsmitarbeiter mit seinem Bagger die Nachbargräber an und holte dabei die Knochen der darin befindlichen Toten an die Oberfläche. Das an ihnen noch haftende Gewebe sorgte für den unangenehmen Geruch.

Was bleibt, ist die Pietätlosigkeit im Umgang mit den betroffenen Toten und den Trauernden. Ein Friedhofsmitarbeiter, der nicht darauf achtet, was er mit seinem Bagger aus der Tiefe holt. Eine Friedhofsverwaltung, die mehr als eine Woche verstreichen lässt, ehe sie der Witwe förmliche Hilfe bei der Suche nach einer alternativen Grabstätte anbietet, statt die Sache schnell mit einem Blumenstrauß und einer Entschuldigung aus der Welt zu räumen. Eine vermeidbare gerichtsmedizinische Untersuchung. Und eine Witwe, die möglicherweise auf den zusätzlichen Kosten wegen der verschobenen Beerdigung sitzen bleibt.

Zum Glück hat Elke Murnau nun endlich einen würdigen Ort zum Trauern gefunden.