Abtauchen für die Artenvielfalt

Blick unter die Oberfläche: Norddeutschland hat zwölf neue Naturschutztaucher, ausgebildet durch den Nabu. Das ist bitter nötig, denn um viele Seen steht es nicht gut

Wollen Naturschutz und Vereinssport verbinden: Volker Krautkrämer (Nabu) und Stefan Schilling, (Tauchsport und Umwelt Osnabrück), Foto: Jake Mason

Von Harff-Peter Schönherr

Angler und Taucher sind ja oft wie Katze und Hund. Wer mit Rute und Rolle am Seeufer sitzt, wünscht sich meist nur einen möglichst hohen Besatz an sporttauglichem Fisch, ob das dem Gewässer nun guttut oder nicht. Wer wiederum mit Druckluftflasche und Tarierweste ins Tiefe watet, erfreut sich meist auch an Pflanzen, bei denen der Angler eher an Schnurbruch und Hakenhänger und Abschneiden denkt als an Wasser- und Lebensraumqualität.

Aber zuweilen ziehen Angler und Taucher auch am selben Strang, und das sogar für den Naturschutz. Letztes Wochenende zum Beispiel, am Niedringhaussee bei Osnabrück. Mitglieder des Vereins „Tauchsport und Umwelt Osnabrück“ nehmen auf einem 30-Minuten-Tauchgang Pflanzen- und Wasserproben.

Instruiert durch Volker Krautkrämer vom Naturschutzbund Deutschland (Nabu), hatten zwölf von ihnen hier im Juni einen Teil ihrer Ausbildung zum Naturschutztaucher absolviert. Der „Fischerei- und Naturschutzverein Wersen“, der den 18 Hektar großen Baggersee schon seit Jahr­zehnten betreut, findet das gut. „Wir arbeiten da Hand in Hand“, sagt Roland Enders, der Vorsitzende. „So erfahren wir ja auch mehr über unseren See.“ Ganze Bäume haben die Taucher versenkt, als Laichhilfen.

„Ein Miteinander, das leider nicht selbstverständlich ist“, sagt Krautkrämer. „Oft schlägt uns ja Skepsis entgegen. Viele Angelvereine behaupten zwar, sie seien Naturschutzorganisationen, aber im Grunde geht es ihnen nur darum, dass ihre Mitglieder genug fangen. Viele Seen gehen durch übermäßigen Fischbesatz kaputt, durch zu viel Lockfuttereintrag, aber die Fischereilobby ist stark. Manchmal kommt dir da schon die Galle hoch.“

Dass die zwölf vom Verein „Tauchsport und Umwelt Osnabrück“ Krautkrämer als Referenten engagiert haben, für zwei Tage, auf eigene Kosten, geht auf Stefan Schilling zurück, Facharzt für Tauchmedizin und langjähriges Vereinsmitglied. Sein Vorschlag sei „sofort auf sehr offene Ohren gestoßen“, sagt er. „Schließlich entspricht das ja auch unserem Namen.“ Als Taucher sonst zwischen Great Barrier Reef und Rotem Meer unterwegs, Begegnungen mit Riesenschildkröten und Mantarochen inklusive, haben auch heimische Seen für ihn ihren Reiz, „und das nicht nur zum Rausholen von Müll“.

Und während Krautkrämer im Vereinshaus Fotos, Tabellen und Diagramme auf die Wand beamt, augenzwinkernd Sätze sagt wie: „Probenentnahme in Maßen, nicht in Massen“, liegt sogar ein wenig Sea Shepherd-Spirit in der Luft: Hinter dem Nabu-Aktivisten lehnt ein Dreizack an der Wand.

Krautkrämers Kurs „Tauchen für den Naturschutz“ ist kein Spaziergang. Wer ihn absolviert, weiß am Ende, dass emerse Makrophyten aufgetauchte Unterwasserpflanzen sind und zum Phytoplankton Grün-, Blau-, Gold- und Kieselalgen zählen, was Nixkraut ist und Ähriges Tausendblatt.

Die zwölf Neuen füllen eine Lücke. Viele Naturschutztaucher gibt es in Norddeutschland nämlich bislang nicht. „Bis Hamburg und Schleswig-Holstein rauf sind wir da fast die Einzigen“, sagt Schilling. Auch für Kommunen und Umweltschutzverbände können sie demnächst unterwegs sein, Arteninventare erstellen, Fremdstoffeinträge und Fraßschäden dokumentieren, Pflanzenbelege anfertigen. Am Ende steht dann eine Zustandsbewertung. Wird dieses Monitoring regelmäßig wiederholt, zwei- bis dreimal pro Jahr, lassen sich Trends ablesen.

Krautkrämer am Niedringhaussee, Probenbeutel in der Hand: „Gar nicht so schlecht.“ Die Idylle aus Uferwald und Röhrichtgürtel, aus Sandstrand und Libellengefunkel täuscht übrigens. „Der Wasserstand ist in den letzten Jahren kontinuierlich gesunken“, sagt Enders. „Früher war der See 14 Meter tief, heute sind es eher zwölf.“ Ein Zuhause für Zander und Hecht, für Kormoran und Haubentaucher, ist er nicht nur dem Klimawandel ausgesetzt, sondern auch hohem Nut­zungs­druck: Spaziergänger, Schlauchbootfahrer, Lagerfeuer-Griller, Badende. Die Angler sehen das nicht so gern. Dabei sind sie selbst Teil dieses Drucks, und kein kleiner.

Während Krautkrämer im Vereinshaus Fotos, Tabellen und Diagramme auf die Wand beamt, liegt ein wenig Sea Shepherd-Spirit in der Luft: Hinter dem Nabu-Aktivisten lehnt ein Dreizack an der Wand

25.000 Seen größer als 1 Hektar gibt es in Deutschland, aber nur die knapp 800 Seen größer als 50 Hektar werden regelmäßig für das Umweltbundesamt untersucht, zur Umsetzung der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie (WRRL), die für sie einen „guten Zustand“ fordert, ökologisch wie chemisch. Zu 97 Prozent aller Seen gibt es also keine Bewertung – es sei denn, freiwillige Naturschutztaucher wie Schilling treten auf den Plan – und können Pächter oder Eigentümer davon überzeugen, sie aufs Gelände zu lassen.

„92 Prozent aller Flüsse und Seen in Deutschland sind in einem beklagenswerten Zustand“, alarmiert der Gewässerreport 2018 des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). „Viele Kleingewässer kann man tatsächlich nicht mehr retten“, bestätigt Krautkrämer. „Umso wichtiger ist es, sich auf die größeren zu konzentrieren, bei denen ökologisch noch was zu machen ist.“

Das Thema WRRL entlockt ihm ein Kopfschütteln. War ursprünglich 2015 als Frist für den „guten Zustand“ gesetzt, wird in Deutschland jetzt auch die Verlängerung bis 2027 „verschleppt“, so der BUND. Krautkrämer, mit Nachdruck: „Es gibt heilige Kühe, an die traut sich keiner ran, obwohl sie die Umwelt schädigen, zu Lasten des Allgemeinguts Wasser, die Agrarwirtschaft zum Beispiel, die Industrie. Das frustriert schon ziemlich.“

Jeder zusätzliche Naturschutztaucher bedeutet also eine zusätzliche Chance, mehr über Deutschlands mittelgroße und kleine Seen zu erfahren, die der EU für ihre WRRL nicht wichtig genug sind. „Wenn die Artenvielfalt auf der Strecke bleibt“, beschreibt Volker Krautkrämer die Zielrichtung dafür, „läuft was schief“. Pause. Dann, sehr nachdenklich: „Ich mache das, weil ich möchte, das unsere Kinder und Enkel noch all das sehen können, mit dem ich aufgewachsen bin.“ Seit dem Sommer hat er dabei zwölf neue Hilfen.