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Ehrenamtlich ins Ausland

Von Ägypten bis Uganda: Der „Senior Experten Service“ (SES) in Bonn schickt pensionierte Fachkräfte nach Übersee. Mit dem SES-Programm „Weltdienst 30+“ können das auch Berufstätige, die sich eine Auszeit nehmen

Das Wissen und die Berufserfahrung von pensionierten Fachkräften sind vielerorts gefragt Foto: SES

Von Ansgar Warner

Im kongolesischen Brazzaville wird der technische Rat eines Geigenbauers gesucht, im ägyptischen Belbeis soll die Produktqualität von maschinell gestickten Stoffen verbessert werden. Im bolivianischen Cochabamba will man gar wissen, wie sich Müsliriegel mit Kaffeebohnen verfeinern lassen – wo könnte all das Know-how herkommen? Die Antwort lautet: aus Deutschland, durch die Expertise heimischer Handwerker*innen, Ingenieure oder sonstiger Experten.

Schon seit 1983 sorgt dafür der „Senior Experten Service“ (SES) in Bonn, ein Entsendedienst, der auf das Wissen und die Berufserfahrung von pensionierten Fachkräften setzt. „Die Einsätze dauern in der Regel vier bis sechs Wochen“, erklärt SES-Pressesprecherin Heike Nasdala, „und sie erfolgen nach klaren Regeln.“ Dazu gehöre vor allem: „Es dürfen keine Arbeitsplätze ersetzt werden, es geht um kurzzeitige Beratung und Unterstützung.“ Überhaupt bleiben Geschäftsinteressen ausgespart: „Das Engagement im Ausland ist ehrenamtlich“, so Nasdala. Nur die Kosten für Reise und Unterbringung werden übernommen.

Zu den im Ausland gefragten Fachleuten gehören auch Experten aus dem Gesundheitssektor. Den Freiburger Chirurgen Michael Paulus führte das SES-Engagement etwa in so unterschiedliche Staaten wie Uganda, Burkina Faso oder Sierra Leone und zuletzt auch nach China. Für den erfahrenen Mediziner kein Sprung ins kalte Wasser, schließlich war er etwa im Auftrag der UNO schon in den neunziger Jahren international unterwegs, etwa im Irak oder Afghanistan. „Ich habe schon seit 1992 nicht mehr in Deutschland gearbeitet – ich wusste, dass ich dort in ein Umfeld gehe, wo nichts so funktioniert wie hierzulande.“ Die Arbeit war so konkret, wie es nur irgend geht. „Als Mediziner stehe ich auch am OP-Tisch, es reicht nicht aus, nur eine Vorlesung zu machen, die Praxis ist genauso wichtig.“

Trotzdem ging es aber auch bei den Einsätzen von Michael Paulus darum, Know-how herüberzubringen und Abläufe zu verbessern, von einzelnen Details wie etwa der Sterilisierung chirurgischer Instrumente bis zur kompletten Umstrukturierung einer Notaufnahme. „Dabei ist viel Einfühlungsvermögen notwendig, wenn das Personal vor Ort sagt, wir machen das immer so, muss man Änderungsvorschläge genau begründen.“

Am Anfang des Engagements steht die Registrierung beim SES. Derzeit habe man mehr als 11.000 Senior-Experten in der Datenbank, berichtet Pressesprecherin Heike Nasdala. Für deren Vermittlung würden dann vor allem die Auslandsrepräsentanten des SES sorgen: „Das sind mehr als 200 Personen in mehr als neunzig Ländern, oft in den jeweiligen Auslandshandwerkskammern vor Ort.“

Den Senior-Experten stehen mittlerweile aber auch mehr als 1.400 Junior-Experten zur Seite, die sich für das 2017 geschaffene SES-Programm „Weltdienst 30+“ registriert haben: „Dieses Angebot richtet sich an Menschen, die noch im Berufsleben stehen und ihren Urlaub oder ein Sabbatjahr nutzen möchten, um ins Ausland zu gehen“, so Nasdala.

Zu ihnen gehört Martin Küchler – der Berliner Medienpädagoge mit Afrika-Erfahrung ging im Rahmen des „30+“-Programms nach Arusha, eine Stadt im Nordosten von Tansania. Ziel war ein Waisenhaus, das dort von der katholischen Kirche betrieben wird. Der Experte für medienbasiertes globales Lernen wurde von der Diozöse Arusha ursprünglich gebucht, weil er sich mit Fundraising auskennt: „Das Waisenhaus betreibt eine eigene Landwirtschaft, die Böden leiden aber stark unter Erosion, für einen verbesserten Bodenschutz fehlen die finanziellen Mittel“, so Küchler.

Die Corona­pandemie hat den Entsendedienst lahmgelegt

Zusätzlich organisierte er zwei Social-Media-basierte interkulturelle Austausche mit gleichaltrigen Kindern von zwei Berliner Grundschulen zum Thema Kinderrechte. Die Kinder in Berlin hätten dann, berichtet Küchler, aus den Geschichten der Kinder in Arusha Videospiele entworfen, gezeichnet und zusammen mit ihrem Mentor in der kindgerechten Programmiersprache Scratch umgesetzt.

Auch Laptops hatte Küchler mitgebracht: „Damit konnten die Kinder des Waisenhauses Lernspiele zu Themen wie Mathe, Gesundheit oder Kinderarbeit ausprobieren.“ Eins der Geräte ließ er vor Ort. Für den Berliner waren die Aufenthalte eine weitere wertvolle Erfahrung in unbürokratischer, vor allem auch selbstloser Entwicklungshilfe auf dem Mikrolevel. Küchler würde sich jedoch wünschen, dass sich die Kirche noch mehr um die weltlichen Probleme ihrer Mitglieder kümmert.

Als sinnvoll empfunden hat auch Chirurg Michael Paulus seine Einsätze, und mehr brauche es nicht: „Es ist keine heroische Geschichte, und man wird auch nicht reich dabei“, so der 70-Jährige. Dafür sehe man, wie sich kleine Dinge verändern, wie der Alltag in einer medizinischen Einrichtung Fortschritte macht – wenn denn Folgeeinsätze am selben Ort einen Vergleich ermöglichen.

Zurzeit gibt es freilich weder Neu- noch Folgeeinsätze. Die Coronapandemie hat auch den Bonner Entsendedienst lahmgelegt, mehr als 350 Experten waren von Rückholaktionen betroffen. Anfragen werden zwar noch bearbeitet, konkrete Einsatztermine aber derzeit nicht festgelegt. Zugleich ist klar: den Geigenbauern in Brazzaville, den Textilwerkern in Ägypten oder den Kaffeebohnen-Veredlern in Bolivien wird man per Zoom alleine nicht helfen können. Handwerk kann man ohne Hände nur schwer vermitteln.