Bedürftige Kinder in Großbritannien: Johnson macht Essens-Kehrtwende

Fußballer Marcus Rashford hat dafür gesorgt, dass Kinder in Großbritannien auch in Ferien Essensgutscheine erhalten – und der Premier umschwenkte.

Marcus Rashford setzt sich für eine kostenlose Mahlzeit für arme Kinder ein, wenn die Schule aufhört Foto: Jon Super/ap

LONDON taz | „Rashford Eins, Boris Null“, so steht es derzeit auf einem Banner am Ortsschild des Stadtbezirks Whythenshawe in Manchester. Hier wuchs der Fußballnationalspieler Marcus Rashford in ärmlichen Verhältnissen auf, der heute bei Manchester United spielt. Sein Engagement hat nun zu einer außerordentlichen Kehrtwende des britischen Premierministers Boris Johnson geführt.

Über seinen Account auf dem Kurznachrichtendienst Twitter hatte sich der 22-jährige Kicker dafür eingesetzt, dass Kinder und Jugendliche aus bedürftigen Familien in England weiter Essensgutscheine in Höhe von jeweils umgerechnet 17 Euro pro Woche bekommen. Diese wollte Johnsons Regierung in den ­Sommerferien nicht mehr austeilen.

In Großbritannien werden die ärmsten und benachteiligsten Kinder und Jugendlichen in sogenannten Frühstücksclubs der staatlichen Schulen mit Speisen verpflegt. In England sind das offiziell 1,3 Mil­lio­nen Kinder, das sind 15,7 Prozent aller Kinder. In manchen Gegenden benötigen sogar bis 40 Prozent aller Kinder und Jugendlichen diese Verpflegung. 200.000 darunter werden als besonders arm eingestuft.

Da während der Pandemie die Schulen geschlossen waren und es keine Frühstücksclubs gab, ließ der Staat deswegen spezielle Essenscoupons ausgeben. Diese werden normalerweise auch generell in den Sommerferien ausgeteilt, wenn die Schulen geschlossen sind. Mehrere Stiftungen versuchten zudem, Kinder und Jugendliche mit an sie direkt gelieferten Speisen zu versorgen. In Schottland und Wales sollte die Unterstützung fortgesetzt werden, in England wollte die Regierung die Maßnahme mit Beginn der Schulferien einstellen.

weißer Stofflappen, Rashford 1, Johnson 0

Streit um kostenlose Schulkost: 1:0 für Rashford gegen Johnson Foto: Molly Darlington/reuters

Als Rashford, der sich zuvor bereits für Obdachlose eingesetzt hatte, davon Wind bekam, beteiligte er sich sowohl finanziell als auch persönlich an der Verteilung von Essen. Seine Gründe dafür liegen nah: Als er noch ein Junge war, versuchte seine alleinstehende Mutter ihn und seine vier Geschwister mit ihrem kleinen Vollzeitgehalt auf Mindestlohnebene auszuhalten. Es reichte nicht. Frühstückclubs sowie die Tatsache, dass Marcus Rashford selbst in einem Heim für talentierte junge Fußballer untergebracht werden konnte, hätten ihm erst die Chancen eröffnet, die ihn zu einem gefeierten Fußballer machten, erklärte er.

Als die Regierung bekannt gab, dass sie die Essensgutscheine für die Sommerferien stoppen wollte, schrieb Rashford einen langen offenen Brief an alle Parlamentarier, den er über Twitter veröffentlichte. Er wisse, was es bedeute, Hunger zu haben: „Politik beiseite geschoben, können wir darüber übereinstimmen, dass kein Kind hungrig ins Bett gehen sollte?“

Auf die Tatsache hinweisend, dass er ein schwarzer junger Mann sei, sagte er außerdem, dass 45 Prozent aller Kinder, die einer schwarzen oder ethnischen Minderheit angehörten, in Armut lebten. Seinem Tweet fügte er den Hashtag #maketheuturn (macht die Kehrtwende) hinzu und forderte alle auf, dies nicht nur zu teilen, sondern es auch an ihre Parlamentsabgeordneten zu schicken. Schon am nächsten Montagmorgen trat Rashford in der morgendlichen BBC-TV-Nachrichtensendung auf.

Neben oppositionellen Parla­men­tarier*innen begannen nun auch Abgeordnete aus den Reihen der Konservativen ihren Missmut auszudrücken, etwa Robert Halfon, der Vorsitzende des parlamentarischen Bildungsausschusses sowie nach Quellen der britischen Tageszeitung The Guardian bis zu 30 andere. Am Dienstag gab Pre­mierminister Johnson klein bei. Er ließ seinen Erziehungsminister Gavin Williamson die Kehrtwende ankündigen, als „spezielle Covid-19-Sommeraktion“.

Selbst der Fußballverein Manchester City, Erzrivale von Manchester United auf dem Feld, scheute es nicht, Rashford zu gratulieren, und nannte ihn ein bemerkenswertes Vorbild. Viele glauben, dass es Johnson wichtig ist, bei sozialen Themen als ansprechbar zu erscheinen, da er bei der Parlamentswahl im Dezember 2019 viele ehemalige Labour-Sitze erobert hatte. Diese „geliehenen Stimmen“ will er demnach behalten, indem er sich einsichtig zeigt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.