Interview zu Homosexualität in Georgien: „Wir bekamen Morddrohungen“

Levan Gelbakhiani ist Hauptdarsteller des schwulen georgischen Films „Als wir tanzten“. Er erzählt von Homophobie und powackelnden Kellnern.

Vier junge Menschen liegen in dunklen T-Shirts auf dem Boden, ihre Köpfe und Schultern nahe beieinander.

­Intime Müdigkeit: Levan Gelbakhiani (Mitte) in einer Szene des Films „Als wir tanzten“ Foto: Editon Salzgeber

taz: Herr Gelbakhiani, Sie haben zunächst gezögert, die Rolle des schwulen Tanzschülers Merab im Film „Als wir tanzten“ anzunehmen.

Levan Gelbakhiani: Der Hauptgrund war die Gesellschaft. Die Furcht. Eigentlich die Angst vor genau dem, was dann tatsächlich bei unserer Filmpremiere in Georgien passiert ist: Leute standen vor dem Kino und haben gewettert. Ich hatte Angst davor, dass es so eklig werden würde wie 2013 bei den Gegenprotesten zur ersten Pride-Parade in Georgien. Wenn du als junger Georgier in so einem Film mitspielst, denkst du an viele Leute: deine Mutter, deinen Vater, deine Freunde. Du bist ja nicht allein in deiner Welt. Es war klar, dass von außen Fragen kommen würden. Die Menschen um mich herum mussten gefasst sein auf diese Fragen – und bereit dafür.

Worauf mussten sie sich einstellen?

Ein negativer Vibe aus der Gesellschaft. Anfeindungen, Bedrohungen.

Der Schauspieler wurde 1997 in Tschiatura geboren. Nach ersten Theaterrollen lernte er klassisches Ballett, zeitgenössischen Tanz und Akrobatik. An der Schauspielschule wurde er abgelehnt, für sein Kinodebüt in „Als wir tanzten“ aber in Cannes und auf dem Sundance Film Festival gefeiert.

Und warum haben Sie sich letztlich dann doch entschlossen mitzuspielen?

Ich hatte diese Diskussion mit meiner Familie, vor allem mit meiner Mutter. Am Ende meinte sie: „Mach es einfach, wenn es sich für dich richtig anfühlt und das etwas ist, dass du tun musst.“ In Georgien hat man ja nicht so viele Mittel, etwas zu sagen, etwas zu verändern – durch den Druck der Regierung. Mir wurde klar, dass dieser Film das Medium sein würde, durch das ich Dinge sagen kann, die mir wichtig sind. Minderheiten zu schützen. Mit diesem Film schien es realistisch, ein so wichtiges Thema auf die Seite 1 zu bringen.

Auf die Titelseite einer Zeitung?

Allgemein oben auf die Agenda der georgischen Gesellschaft. Es muss darüber gesprochen werden. Natürlich gab es schon immer schwule Menschen in Georgien. Aber jetzt kann man nicht mehr so tun, als wäre es nicht so.

Homosexualität ist ja legal in Georgien.

Theoretisch seit dem Jahr 2000. Aber in der Praxis tut die Regierung nicht viel, um Minderheiten zu schützen. Dieser Film schien mir das beste Mittel, um den Leuten zu zeigen: Homosexualität ist nichts, wovor man sich fürchten müsste. Wir können doch zusammenleben, kein Problem! Es gibt Menschen in Georgien, die sich Homosexualität ernsthaft wie eine Krankheit vorstellen, die sich ausbreitet: Du fasst einen Schwulen an und wirst dann selber schwul. So läuft es ja nicht, und darüber müssen wir reden, das müssen wir zeigen.

Es gab ja Probleme beim Dreh: Sie hatten Bodyguards. Und einige Tanz-Ensembles haben sich geweigert, bei den Dreharbeiten mitzumachen.

Wir bekamen Morddrohungen während der Dreharbeiten. Uns wurden spontan Drehgenehmigungen entzogen, einen Tag vorher. Viele Tän­ze­r:in­nen wollten nicht mit dem Film in Verbindung gebracht werden. Um die Dreharbeiten zu erleichtern, hatten wir eine Alibi-Storyline, um nicht immer erklären zu müssen, worum es wirklich geht. Wir haben dann gesagt: „Ein französischer Tourist kommt nach Georgien und verliebt sich in die georgische Kultur.“

Am schwulen Drama „Als wir tanzten“, das in Georgien spielt, scheiden sich die Geister: 2019 lief der Film umjubelt in Cannes. Das Co-Produktionsland Schweden schickte ihn (leider erfolglos) ins Rennen um den Oscar als besten fremdsprachigen Film. Der Hauptdarsteller ­Levan Gelbakhiani, 22, war einer der European Shootingstars auf der Berlinale 2020, wo wir ihn getroffen haben. Andererseits konnte der Film im Drehland Georgien nur unter massivem Polizeischutz gezeigt werden, so groß war der gewaltbereite homophobe Mob. Denn ja: Die beiden Tanzschüler Merab und Irakli begehren einander. Und beide wollen sie ins Nationalensemble für georgischen Tanz. Oberflächlich feiert dieser Tanz Freiheit und Stolz, aber unter der Fassade sind die Konventionen kompromisslos.

Wie war das mit den Ausschreitungen bei der Premiere in Georgien für Sie?

Ich selbst war nicht da. Wir saßen im Flieger nach Los Angeles, um die Oscar-Kampagne für den Film voranzutreiben. Wir hatten eine andere Premiere zuvor. Die Premiere mit den Ausschreitungen war quasi die öffentliche Premiere, für die jeder Tickets kaufen konnte. 6.000 Tickets wurden an einem Tag verkauft. Ich hab gehört, manche wurden auf dem Schwarzmarkt gehandelt. Letztlich waren die Reaktionen wirklich positiv: Die Leute mochten den Film. Sie haben verstanden, worum es uns ging.

Aber es gab sie ja, die Proteste von Rechtsextremen und von der orthodoxen Kirche gegen den Film.

Ich habe Mitleid mit denen.

Mit den Demonstranten gegen Ihren Film?

Ja, denn das sind Menschen, die nicht verstehen, was sie da eigentlich tun. Die Regierung zieht die Fäden. Die Kirche. Russland. Die rechtsextremen Gruppen benutzen ahnungslose Menschen, die dann am Ende eine blinde ignorante Wut auf die Straße tragen.

Wie ist denn die Einstellung der georgischen Gesellschaft zur Homosexualität?

Die junge Generation ist da, Gott sei Dank, sehr offen. Es hat sich da so viel verändert in den letzten zehn Jahren. Davor war das wirklich ein Tabu. Niemand hätte öffentlich darüber gesprochen oder sich solidarisiert. Aber inzwischen ist die junge Generation in Georgien aufgeschlossen und hilfsbereit, was das Thema angeht. Aber wenn man sich die ältere Generation anschaut: Das ist manchmal gruselig.

Im Film sieht man allerdings auch Queerphobie von jungen Tänzern.

Man hört auch kleine Kinder, die sich homophob äußern. Da muss man verstehen, dass sie wohl in einem homophoben Umfeld aufgewachsen sind mit homophoben Eltern. Es kann eben verdammt schwer sein, tolerant zu sein inmitten eines intoleranten Umfelds. Ich würde auch nicht sagen, dass da alle aufgeschlossen wären. Aber doch die Mehrheit. Viele junge Menschen fühlen sich auch der Europäischen Union verbunden.

Zu Beginn des Films sagt der Tanzlehrer Ihrer Figur, dass sie zu feminin sei. Sie sind ja selber Tänzer. Inwiefern geht es beim georgischen Tanz darum, mit Maskulinität zu posen?

Georgischer Tanz zeigt Hetero-Paare: Mann und Frau. Die Frauen müssen sexuell unschuldig scheinen. Jungfräulich. Der georgische Tanz basiert auf Männlichkeit, sagt man oft. Wobei sich das seit einer Weile ändert. Leute merken, dass die Geschichte des georgisches Tanzes queere Ursprünge hat, angestoßen durch die damals noch heimliche LGBT-Community vor etwa hundert Jahren. Das sind im Grunde queere Tanzfiguren, die Einzug in den traditionellen georgischen Tanz fanden. Was wir jetzt als „normalen georgischen Tanz“ ansehen, war ursprünglich queerer Tanz. Die Inspiration kam ursprünglich, platt gesagt, von Kellnern im Restaurant, die sexy ihren sexy Hintern geschwungen haben.

Ist das den Leuten in Georgien bewusst?

Das ist kein Geheimnis. Aber es gibt diese Gehirnwäsche, dass alles super maskulin wäre. Humbug! Da fehlt den Leuten Information. Georgien ist allerdings auch stark regional geprägt. Jede Region hat ihre eigenen Tänze und Lieder. Manche sind durchaus im konventionellen Sinne machohaft, aber andere auch eher sozusagen feminin.

Im Film sieht man auch traditionelle Tänze mit Männerpaaren.

Das gibt’s auch. Manche davon beruhen allerdings auf Figuren aus dem Krieg. Kampfszenen.

Der Tanzlehrer zu Beginn des Films sagt: „Georgischer Tanz kennt keine Sexualität. Wir sind hier nicht beim Lambada!“

Das ist richtig. Man hält eine gewisse Distanz zum Partner. Als Mann führt man seine Frau. Verschiedene Gesellschaften haben unterschiedliche Ideen davon, was es heißen kann, ein Mann zu sein. Aber in Georgien ist das klar: Der Mann arbeitet, die Frau sitzt zu Hause und erzieht die Kinder.

Sie waren mit dem Film in Cannes und beim Sundance Film Festival. Berichten die georgischen Medien darüber?

All die Medien, Zeitungen wie Fernsehen, unterstützen unseren Film sehr. Alle. Sogar die regierungsnahen Medien. Das ist die gute Seite der Medaille, was georgische Medien angeht.

Warum sind die Medien da so aufgeschlossen?

Ich denke, die Journalist:innen sind gut informiert und deshalb offener. Der Hollywood Reporter und die BBC haben den Film gelobt. Da würde man sich als georgisches Medium etwas lächerlich machen, wenn man sagen würde, dass der Film scheiße wäre.

Und die Kirche und die Rechtsex­tre­men? Geben die nun Ruhe?

Die tippen immer noch ihre Kommentare, meist auf Facebook, weil das eine große Sache in Georgien ist. Sprüche wie, dass der Film der georgischen Gesellschaft schadet und so. Eins fand ich witzig bei einer Onlinegruppe Rechtsextremer: Da hatte jemand geschrieben „Vorsicht: Wenn du dir diesen Film ansiehst, wirst du schwul!“ Ach je, Leute glauben diese Scheiße auch noch!

Der CSD letztes Jahr in Georgien wurde offiziell abgesagt. Wird es dort bald wieder einen CSD geben?

„Als wir tanzten“. Regie: Levan Akin. Mit Levan Gelbakhiani, Bachi Valishvili u. a. Georgien/Schweden 2019, 113 Min.

Das hoffe ich doch. Die Dinge ändern sich zum Besseren. Vor ein paar Tagen war ich in Tiflis in einem Kiosk, um Kippen zu kaufen. Eine alte Frau dort hat mir gesagt, sie hat den Film gesehen und sich in ihn verliebt. Auf Social Media hab ich von einer anderen alten Frau gehört, die 92 Jahre alt ist. Sie hat von dem Tumult rund um den Film mitbekommen und wollte sich ein eigenes Bild machen. Später hat sie ein Video gepostet, in dem sie sagt: „Leute, was ist los? Ich kann nichts Schlechtes in diesem Film finden!“ Wenn das eine Frau von 92 Jahren sagt, dann hab ich Hoffnung.

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