Die sexuelle Befreiung der Frau ruft die Ordnungsmacht auf den Plan

Polizei in der Kunst (2): Dorothy Iannones „Story of Bern“ – oder die Polizei als Drohkulisse in der Auseinandersetzung um Kunst- und Meinungsfreiheit

Dorothy Iannone, aus der Serie „The Story of Bern“ (1969) Foto: Courtesy of the Artist

Von Sebastian Strenger

Drei Männer betreten eine Bühne. Exotisches Blütendekor schmückt den Vorhang, während die Bühne, auf der drei Männer stehen, in einem streng geometrischen Rapport glänzt. In freundschaftlicher Geste legt der Neue Realist Daniel Spoerri seine Arme um die Freunde, den für seine Konkrete Kunst bekannten Karl Gerstner zur Rechten und den Maler und Dichter André Thomkins zur Linken. Konventionell gekleidet in Anzug und Krawatte verkörpern sie auf der schwarz-weißen Filzstiftzeichnung auf Bristolkarton das konservative Establishment, sind aber überraschenderweise mit sichtbaren Genitalien ausgestattet – darin erkennt die Künstlerin den Kompass ihrer Entscheidungen.

Während Gerstner sich an Spoerri wendet und sagt: „(Schluss mit der Schikane) Daniel, du unkst“, entgegnet der: „Dorothy muss getadelt werden. Die Polizei zieht Harry in Betracht. Fotzen und Schwänze ruinieren die Show“, und bringt so das Problem auf den Punkt. Die Zeichnungen der Künstlerin Dorothy Iannone polarisieren. Ihre Themen erzählen von sexueller Freizügigkeit und der Vorwurf von Pornografie führt die Künstlerfreunde, die Iannone zu einer von Harald Szeemann, hier Harry, kuratierten Ausstellung in die Kunsthalle Bern eingeladen haben, im Gespräch an ihre Grenzen.

Alle drei hatten zuvor die Eat Art aus der Taufe gehoben und nun drohten sie mit ihrem Ausstellungsprojekt am verlängerten Arm der Ordnungsmacht zu scheitern. Obendrein lief der Museumsleiter Gefahr, ebenfalls Schaden zu nehmen, schlimmstenfalls im Gefängnis zu landen. Freunde aus dem Kuratorium der Kunsthalle betrachteten viele von Iannones Zeichnungen als obszön und verlangten ihre Beseitigung, notfalls auch mit Hilfe der Polizei. Eine Erfahrung, die Iannone noch bis in die 1990er Jahre in Deutschland und der Schweiz verfolgte.

Als Malerin war sie Autodidaktin. Sie hatte mit ihrem damaligen Mann von 1963 bis 1967 die Stryke Gallery in New York betrieben und sich da schon einen Namen gemacht, als sie Anfang der 1960er Jahre erfolgreich für die Aufhebung des Verbots der als Pornografie eingestuften Büchern von Henry Miller in den USA klagte, wobei sie sich öffentlichkeitswirksam durchsetzte.

Nahezu ein Jahrzehnt vor der sexuellen Revolution hatte sie – nach einer Phase informeller Bilder – begonnen erste erotische Darstellungen von Männer und Frauen figurativ zu malen. Ab 1967 bestimmten Liebe und die tabulose Darstellung von lustvoll ausgelebter Sexualität mit ihrem Partner Dieter Roth ihre Werke. Häufig sind sie auf Leinwänden und in Gouachen umgesetzt, wobei die grellen Farben der Pop-Art sie als Kind der Hippie-Bewegung outeten.

Das gezeigte Bild stammt aus einem Zyklus von 69 Zeichnungen aus dem Jahr 1969, in dem sie wie in einem Comicstrip malerisch die Geschichte der Durchführung ihrer Gruppenausstellung in Bern erzählt, bei der die Polizei als Ordnungsmacht wie ein Damoklesschwert ständig über dem Ausstellungsprojekt schwebt.

Im Mittelpunkt der Ausstellung standen mit dem Fluxisten Dieter Roth, Daniel Spoerri, André Thomkins und Karl Gerstner vier alte Freunde – allesamt Schweizer –, die damals im Rheinland lebten. Sie beschlossen, dass jeder von ihnen noch Freunde zur Teilnahme an der Ausstellung einladen würde, und so brachte der bereits seit zwei Jahren mit Iannone liierte Roth die ehemalige Literaturwissenschaftlerin ins Projekt.

Konventionell in Anzug und Krawatte gekleidet, aber überraschender Weise mit sichtbaren Genitalien ausgestattet – die die Künstlerin als Kompass ihrer Entscheidungen sieht

„Über diese Episode habe ich ein Buch gemacht – „Die Geschichte von Bern –“, das alle Einzelheiten der Begegnung zwischen Künstlern, Freunden, Bürokraten, Verwaltern, Diplomaten usw. über die Frage der Zensur erzählt. Kurz darauf wurde meine Arbeit am Morgen der Eröffnung entfernt“, erzählt die 87-jährige Künstlerin. Aus Solidarität entfernte Roth am nächsten Tag seinen gesamten künstlerischen Beitrag zur Ausstellung.

Nach Bern sollte die Ausstellung in der Düsseldorfer Kunsthalle gezeigt werden. Roth wollte nur mitmachen, wenn die Werke Iannones in die Ausstellung zurückgebracht würden. Nach zahlreichen Diskussionen entschied sich der damalige Kunsthallen-Direktor, Karl Ruhrberg, die Ausstellung in der rheinischen Metropole unzensiert laufen zu lassen.

„Und die Weisheit seiner Entscheidung hat sich bestätigt. Die Stadt blieb nach der Ausstellung so ruhig wie zuvor“, so Iannone. Harald Szeemann kündigte in Bern, um anschließend nie wieder zum verlängerten Arm der Exekutive zu werden.

Dieser Text ist Teil unserer Sommerserie. Die aktuelle internationale Auseinandersetzung über Polizeigewalt und die nationale Auseinandersetzung darüber, wie diese Auseinandersetzung journalistisch zu führen ist, brachte unseren Autor Sebastian Strenger auf die Idee, einmal nachzuschauen, wie die Polizei Motiv der Kunst wird. Weitere Texte werden folgen.