berliner szenen
: Ein bisschen was von Robin Hood

Zu Beginn dieser Pandemie ging es ja viel darum, niemanden zurückzulassen und keinen zu vergessen. Das hat nie wirklich geklappt, aber „Leave no one behind“ war ein schöner Slogan. Im Laufe der Monate ist uns dieser Solidaritätsgedanke irgendwie abhandengekommen, denn jetzt wissen wir wieder, was wir immer wussten: Die Reichen fahren in Urlaub. Die anderen überlegen, ob sie in die U-Bahn steigen sollen. Mal so als Beispiel.

Seit einiger Zeit engagiere ich mich bei „foodsharing“, einer zivilgesellschaftlichen Initiative, die Lebensmittel aus Betrieben abholt, wo sie sonst abends weggeworfen würden. Weil z. B. das Mindesthaltbarkeitsdatum erreicht ist. Oder das Obst ein paar braune Flecken hat. Und Backwaren sind immer übrig, weil ja bis Ladenschluss die Regale voll sein müssen.

Die so „geretteten“ Sachen werden weiterverteilt, mit dem Ziel, nichts Genießbares einfach wegzuwerfen. Unter anderem gibt es öffentliche „Fairteilungen“. An verschiedenen Stellen in der Stadt wird Essen an Menschen verteilt, die es brauchen. Eine dieser Stellen ist am Alexanderplatz. Am Samstag hatte ich meinen Mann dazu mitgenommen, der mal sehen wollte, was ich da eigentlich genau mache. Er stand etwas abseits und verfolgte, wie ich Brot und Brötchen, Obst und Gemüse, Milchprodukte und Süßigkeiten verteilte. Später erzählte er, was er dort sonst noch erlebt hatte. Zuerst war da diese Familie, die ihrem Kind auf die Frage: „Warum ist auf dem Alexanderplatz so viel Polizei?“, erklärte: „Da prügeln sich immer die ­Asylanten.“ Dann kommentierte ein Passant die „Fairteilung“: „Ah, da rotten sich die Assis zusammen.“ Ich bin ganz froh, dass ich nur die Menschen sehe, die sich über das Essen freuen und sich dafür bedanken. Es hat ein bisschen was von Robin Hood. Nur dass es legal ist. Und solidarisch.

Gaby Coldewey