Die Wahrheit: Pack die Lederhose ein!

Überraschend benennt Angela Merkel einen parteilosen Thüringer zu ihrem Nachfolger – Verwechslung ist hier definitiv ausgeschlossen.

Illustration: ein Mann mit einer übergroßen Lederhose mit Hosenträgern. Mit einer Hand hebt er ein volles Bierglas hoch. In der Illu stehen die Worte: Wir sind Lederhose

Illustration: Ari Plikat

Manchmal geht es schnell, auch im Osten Deutschlands. Im Gasthaus Lederhose, Herzstück der gleichnamigen Gemarkung Lederhose, gelegen zwei Kilometer von der Bundesautobahn 9 und rund 25 Kilometer vom toten Winkel Greiz, fließt viel altes Bier aus neuen Schläuchen. Nicht nur, dass Lederhose seit 2009 eine eigene Autobahnein- sowie -ausfahrt besitzt und laut ortseigener Volkszählung Stand Dezember 2019 im dortigen Winkel 272 Wesen leben – nein, Lederhose stellt wohl auch ab heute, Samstag, den 11. Juli 2020, den neunten Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland.

Immer wieder hatten, wir erinnern uns, Berliner und andere Verkehrskreisel von der Amtsmüdigkeit der Kanzlerin gemunkelt. Dass es jetzt plötzlich, da es mit Merkels CDU wieder recht gut und grün aufwärts geht, so schnell zu einer so derartigen Veränderung der bundespolitischen Landschaft kommt – damit aber hat bis Wochenmitte niemand gerechnet, noch nicht einmal die Lederhosener selbst.

Andreas Weber, Mitglied des Bürgerclubs FWG Pro Kommune, heißt der glückliche, nigelnagelneue Bundeskanzler – und der kann sein „Glück“ noch kaum fassen. Ähnlich wie am vorvergangenen Freitag in Frankreich, aber auch wieder anders, ist anscheinend nun ebenso in Deutschland ein handstreichartiger Regierungswechsel vonstatten gegangen, der bis zum Redaktionsschluss der demokratischen Legitimierung durch den Bundestag noch harrt.

Die vorab aus gut unterrichteten Kanzleramtskreisen wie stets topinformierte Wahrheit, trifft Weber, Kanzler in spe, auf ein letztes altes Bier am holzschnittartigen Tresen. Wenig später wird der 51-Jährige von der Fahrbereitschaft der Kanzlerin und unter tumultösen Ovationen der Lederhosenerinnen und Lederhosener in einem kanarienvogelgelben Opel Wartburg nach Berlin kutschiert werden.

Wir kommen, nach höflichem Zuprosten und Einhaltung sämtlicher An- und Abstandsregeln, gleich in medias res und fragen den total sympathisch und zugewandt wirkenden Andreas Weber, der in seiner Freizeit „gerne nichts tut“ und „nie gerne neue Rezepte ausprobiert“, nach dem Ursprung des Ortsnamens Lederhose. Weber hält einen Augenblick inne – wir sind gespannt wie ein Kinderüberraschungsei, das gleich erfährt, bei welchem grenzdebilen Erwachsenen es nun schon wieder landen wird.

Enge und furchtbar fruchtbare Kontakte

„Entgegen landauf- und landabläufiger Vorstellungen“, so Weber nach dem dritten herzhaften Schluck alten Bieres, „hat unser schöner Flecken nichts, aber auch gar nichts zu schaffen mit dem gleichnamigen Kleidungsstück, das ich hier und heute und immer wieder gerne trage.“

Wir blicken prüfend an Weber herunter, der außerhalb seiner nach eigenen Angaben „bis dato üppig bemessenen Freizeit“ enge und fruchtbare Kontakte zu den umliegenden Weilern „Harth-Pöllnitz, Münchenbernsdorf, Schwarzbach und Renthendorf“ pflegt. Die Krachlederne aus Greizer Schafschurwolle steht ihm ausgezeichnet, keine Frage und auch keine weitere Nachfrage. Chapeau, Weber wirkt würdig – aber ist er auch imstande, das Berliner Kanzleramt auszufüllen, ja gar substanziell mit Zukunftsmusik zu bespielen? Hat er Stahl- und Strahlkraft auch für ausländischen Besuch, etwa aus dem Fichtelgebirge, Andorra oder den USA?

„Also, ich sag’s mal mit einem Wort von Karl Valentin aus dem Nachbarland Bayern, das ja von Lederhose aus nur 80 Kilometer entfernt liegt: ‚Mögen hätt’ ich schon wollen, aber dürfen hab’ ich mich nicht getraut‘ “. Das sieht auch die Passauer Neue Presse ähnlich, die als eine der ersten internationalen Medien überregional aus Lederhose berichtete. „Ostquote gerettet: Weber springt für Merkel ein!“, titelte das Blatt quer und breit bereits am Freitag. Die Thüringer Allgemeine aus der Noch-Landeshauptstadt Erfurt analysierte und kommentierte am selben Tag messerbänkchenscharf, dass Andreas Weber, „gerade noch vor Einführung der im Schritt umstrittenen innerparteilichen Quotenregelung der Männerhosen-Partei CDU, durchgerutscht ist als Ost-Mann ins zweithöchste westdeutsche Amt“.

Der Ex-Lederhosener Bürgermeister, dessen Posten nach Willen der Lederhosener und Lederhosenerinnen unbesetzt bis zur triumphalen Rückkehr Webers nach Lederhose bleiben soll, plant nach eigenen Angaben bereits die Fusionierung der Bundesländer Thüringen und Bayern. Neuer Name: Baythür. Bodo Ramelow, Thüringens linker, fünfter und siebter Ministerpräsident und seine Alte Germana Alberti vom Hofe wäre nach Willen Webers damit „weg vom Fenster“ und endlich hinter der T(h)ür.

Ein genialer Schachzug, auch weil der designierte Regierungschef von Baythür, Markus Söder, ihm jetzt schon zugesagt habe, dass er, Söder, unter diesen Bedingungen keine eigene Kanzlerkandidatur für 2021 anstreben werde.

Weber, der nach minutiösen Überlieferungen des Lederhose-Dorfarchivars Kurt Hutmacher bereits in der Lederhose zur Welt kam, lächelt bei all diesen Gedankenspielen seltsam scheu und zupackend zugleich, sympathisch eben. Er ist wirklich von Fakten getrieben, auch eine ganz passable Eigenschaft in diesen verwirrten Zeiten. „Lassen Sie mich aber noch einmal auf die Ursprünge von Lederhose zurückkommen, dann muss ich wirklich nach Berlin, die Kanzlerin klingelt ständig auf meinem Handy durch!“

Furchtbares Nesteln an der Lederhose

Weber nestelt an seiner Lederhose, dann hebt er an: „Lederhose war früher ein sorbisches Dorf; auf alten Karten steht Lidoraz oder Ledoraz. Der war wohl ein sorbischer Fürst. Und das Symbol für die Gerichtsbarkeit war ein dreibeiniger Hase. Umgangssprachlich ist Hase bei uns in Lederhose ‚Hos‘: Aus Ledoraz wurde wohl ‚Leder‘ und aus dem ‚Hasen‘ ‚Hose‘ – zusammen halt Lederhose.“

Wunderbar, fantastisch! Wir entlassen Andreas Weber nach dieser saftig historischen Erklärung in die deutsche Osthauptstadt. Der sympathische Strippenzieher ist eindeutig für höhere Aufgaben prädestiniert. Und außerdem wartet der kanarienvogelgelbe Opel Wartburg draußen auf ihn.

Die Wahrheit nimmt noch einen letzten Futschi zum sehr alten Bier am holzschnittartigen Tresen der Lederhose in Lederhose. Dann rufen wir per Alphorn unsere ureigene Fahrbereitschaft und gondeln beschwingt zurück gen Berlin ins Stammhaus. Auf Andreas Weber aus Lederhose, den wohl neunten, neuen und hoffentlich nicht allerletzten Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland und Nachfolger der Angela Merkel, lassen wir nichts, aber auch gar nichts kommen. Der Mann hat sich seine Bewährung verdient.

Die Wahrheit auf taz.de

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

ist die einzige Satire- und Humorseite einer Tageszeitung weltweit. Sie hat den ©Tom. Und drei Grundsätze.

kari

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.