Nachhaltige Wirtschaft durch Corona: Zeit für eine Gegenleistung

In der Coronakrise springen Bund und Länder den Firmen mit viel Geld bei. Das wäre die Gelegenheit, den ökologischen Umbau voranzutreiben.

Ein Flugzeug von hinten am Himmel

Neustart mit KfW-Kredit: Tuifly Foto: Julian Stratenschulte/dpa

HAMBURG taz | Es das größte Konjunkturprogramm für die Wirtschaft seit dem Zweiten Weltkrieg, das Deutschland – wie Bundesfinanzminister Olaf Schlolz (SPD) sagte – mit „Wumms“ aus der Krise führen soll. Der Bund und die Länder geben Milliarden Euro aus, um eine Depression zu verhindern. Spätestens jetzt ist der Staat als wirtschaftlicher Akteur zurück und muss sich von seinen Bürgern die Frage gefallen lassen, was er tut mit ihrem Steuergeld.

In einer repräsentativen Umfrage im Auftrag von Greenpeace zur Coronakrise sprachen sich 70 Prozent der Befragten dafür aus, Wirtschaftshilfen für Unternehmen an Klimaschutzauflagen zu binden. Und wenn schon von einem „Neustart“ der Wirtschaft die Rede ist – wann, wenn nicht jetzt, ließe sie sich neu ausrichten: klimafreundlich, umweltfreundlich, sozial, gemeinwohlorientiert?

Klar: Mit dem Geld retten sich die Bürger zuvörderst selbst. Staatliche Überbrückungshilfen für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sichern vielen direkt ein Auskommen. Für deren Kunden erhalten sie eine Infrastruktur, die den Alltag erleichtert und lebenswert macht. Die Hilfen sind eine solidarische Leistung, mehr noch: eine Kompensation, für die, die nicht arbeiten dürfen oder können, um die Gemeinschaft vor der Ausbreitung des Virus zu schützen.

Es sind Nothilfen, die schnell greifen müssen. Einen umfangreichen Kriterien- und Prüfkatalog aufzustellen, hätte dem Programm den Schwung genommen. Benutzen Sie Recyclingpapier? Sparen Sie Wasser? Zahlen Sie Mindestlohn? Wer will das bei 65.000 Anträgen von Klein- und Kleinstunternehmen allein in Hamburg prüfen?

Vor allem Steuererleicherungen

Solche Überlegungen sind aber nach Auskunft der Bremer Senatorin für Wirtschaft ohnehin ohne Belang. „Die Coronahilfen sind keine Förderung, sondern Billigkeitsleistungen – diese sind per Definition nicht zweckgebunden“, sagt ihr Sprecher Kai Stührenberg.

Die Soforthilfen sind allerdings nur ein kleiner Teil der Unterstützung, die Bund und Länder für die Wirtschaft vorhalten. „Die größten Hilfen sind die steuerlichen Hilfen“, sagt etwa der Hamburger Finanzsenator Andreas Dressel (SPD). Von rund vier Milliarden Euro, die der Stadtstaat für seinen Corona-Schutzschirm ausgereicht hat, entfallen 3,1 Milliarden auf Steuern: herabgesetzte Vorauszahlungen, Stundungen, ausgesetzte Vollstreckungen. Eine weitere halbe Milliarde sind Soforthilfen des Bundes und des Landes.

Darüber hinaus bieten der Bund und die Länder Kredite, Bürgschaften und Beteiligungen an, um die Zahlungs- und Handlungsfähigkeit der Unternehmen zu gewährleisten, für die sie teilweise zu 100 Prozent garantieren. Dabei kümmert sich der Bund um die großen Fische, für die kleinen müssen die Länder sorgen.

Für innovative Start-ups hat Hamburg etwa einen Corona-Recovery-Fonds aufgelegt; für mittelgroße Unternehmen mit 50 bis 250 Mitarbeitern ist ein Wirtschaftsstabilisierungsfonds in Arbeit, wie er für größere Unternehmen auf Bundesebene schon existiert. Die Einhaltung sozialer und ökologischer Regeln und Standards sei „nach Erfahrung der beteiligten Behörden bei größeren Unternehmen ein relevantes Thema“, teilte die Hamburger Finanzbehörde mit.

Millliarden für Tuifly

Allerdings stellt das Bundeswirtschaftsministerium für die Coronahilfen der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) klar: „Keine Kredite an Unternehmen aus Steueroasen.“ Kredite dürften ausschließlich für Investitionen und Betriebsmittel in Deutschland verwendet werden, „um die Standorte und die Beschäftigten bei der Bewältigung der Krise zu begleiten“.

Einen KfW-Kredit – und zwar in Milliardenhöhe – bekam auch die Ferienfluglinie Tuifly. Weil die Leute coronabedingt weniger verreisen, will sie Hunderte Stellen abbauen – sehr zum Verdruss der Arbeitnehmervertreter.

Der Chef der Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit (VC), Markus Wahl, kritisierte, „dass massive Staatshilfen und ein hoffnungsvoller wirtschaftlicher Ausblick mit einem massiven Stellenabbau in der angekündigten Höhe nicht zusammenpassen“. Betriebsräte warfen dem Management vor, zu hohe Dividenden ausgeschüttet und sich somit selbst geschwächt zu haben.

Unternehmen, die Bundesbürgschaften haben wollen, dürfen ihren Managern während der Laufzeit keine Boni oder andere Sonderzahlungen gewähren. Das gilt auch für stille Beteiligungen des Bundes, die darüber hinaus ein Verbot von Dividendenzahlungen beinhalten.

Dividenden trotz Staatshilfe

Der schleswig-holsteinische SPD-Landtagsabgeordnete Thomas Hölck hat im Juni gefordert, Unternehmen, die in der Coronakrise staatliche Hilfen in Anspruch nehmen, die Ausschüttung von Dividenden zu verbieten. „Im Interesse der eigenen Zukunftssicherung sollten Unternehmen bei den in den kommenden Tagen und Wochen anstehenden Hauptversammlungen grundsätzlich auf die Ausschüttung von Gewinnen an Anteilseigner verzichten“, sagte Hölck der Deutschen Presse-Agentur.

Größeren Ehrgeiz zeigen der Bund und die Länder bei den Konjunkturprogrammen, mit denen sie die Wirtschaft wieder ankurbeln wollen. Dort könnten Sozial-, Umwelt- und wirtschaftliche Standards „eventuell vorgesehen werden“, teilte das niedersächsische Wirtschaftsministerium mit.

Dass die jetzt anstehenden Konjunkturprogramme nachhaltig sein sollten, hatten etwa das Umweltbundesamt und der Sachverständigenrat für Umweltfragen gefordert, aber auch der schleswig-holsteinische Umweltminister Jan-Philipp Al­brecht (Grüne). „Alle Konjunkturprogramme, die es im Zusammenhang mit der Coronakrise geben wird, müssen darauf abzielen, dass in eine ökologisch nachhaltige und zukunftsfähige Wirtschaft investiert wird.“

Bezogen auf den Klimaschutz gibt Kiel im Rahmen seines Konjunkturprogramms acht Millionen Euro zusätzlich für die kommunale Wärmewende, drei Millionen mehr für E-Ladesäulen, fünf Millionen mehr für CO2-Gebäudesanierung, 20 Millionen für die nationale Wasserstoffstrategie. Hamburg ist bei gleichem Haushaltsvolumen in ähnlichen Größenordungen unterwegs.

Von einem „Strukturwandel mit dem Holzhammer“, den der schleswig-holsteinische SPD-Fraktions- und Oppositionschef Ralf Stegner Albrecht unterstellt hatte, ist das meilenweit entfernt.

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