Protestantischer Feiertag in Nordirland: Marschieren trotz Corona

In Nordirland finden traditionell große Oraniermärsche durch jede Stadt und jedes Dorf statt. Wegen Corona wurden Alternativpläne gemacht.

Männer in orangen Jacken und mit Trommeln marschieren entlang einer Statue in Derry

Am 12. Juli feiern die Protestanten den Sieg Wilhelms von Oranien in der Schlacht am Boyne Foto: Brian Lawless/PA Wire

FANORE taz | In diesem Jahr ist alles anders – auch der Höhepunkt der Festlichkeiten im Kalender der nordirischen Protestanten: Am Sonntag vor 330 Jahren besiegte Wilhelm von Oranien in der Schlacht am Boyne nördlich von Dublin seinen katholischen Widersacher und Schwiegervater Jakob II. und sicherte dadurch die protestantische Thronfolge in Großbritannien.

Der Tag wird gefeiert, als ob die Schlacht erst gestern stattgefunden habe, die Mitglieder des nach Wilhelm benannten Oranier-Ordens, der mehr als 3.000 Paraden jedes Jahr organisiert, marschieren – bekleidet mit Bowlerhüten, schwarzen Anzügen, weißen Handschuhen und orangenen Schärpen – durch jede Stadt und jedes Dorf. Es sind Triumphmärsche, mit denen die Protestanten ihre Überlegenheit demonstrieren wollen. Wo katholische und protestantische Viertel zusammenstoßen, kommt es jedes Jahr zu Ausschreitungen.

In diesem Jahr sind die Paraden wegen der Pandemie bereits im März abgesagt worden. Zumindest offiziell. Man ließ sich aber ein Hintertürchen offen. Die Führung des Ordens gab bekannt, dass man die Bands, die normalerweise die Paraden mit ihren riesigen Trommeln anführen, unterstütze, wenn sie in ihren eigenen Vierteln marschieren. Man werde die Coronarestriktionen beachten, hieß es – aber daran glaubt niemand.

Von den 550 Bands in Nordirland haben mehr als 100 die Genehmigung für eine Parade an diesem Wochenende beantragt. Das ist riskant, denn die Oranier, ein extrem antikatholischer Bund, sind überwiegend alte Männer, die in Coronazeiten besonders gefährdet sind. Die Bands wiesen trotzig darauf hin, dass Sinn Féin die Restriktionen ja ebenfalls missachtet habe – darunter auch Nordirlands stellvertretende Regierungschefin Michelle O’Neill.

Abstandsregel massenhaft missachtet

Die hatte, gemeinsam mit Sinn-Féin-Präsidentin Mary Lou McDonald und ihrem Vorgänger Gerry Adams, am Begräbnis von Bobby Storey, einem führenden Mitglied der Irisch-Republikanischen Armee (IRA), teilgenommen. Dabei wurde die Abstandsregel massenhaft missachtet.

Storey war in den katholisch-republikanischen Vierteln Nordirlands eine Legende. Außerhalb dieser Kreise war er jedoch weniger bekannt, obwohl er als Direktor des IRA-Nachrichtendienstes an mehreren Rekorden auf den britischen Inseln beteiligt war. So galt er als Organisator des größten Massenausbruchs, als 38 IRA-Männer 1983 aus dem Hochsicherheitsknast Long Kesh entkamen. Storey soll auch den größten Bankraub aller Zeiten ausgeheckt haben: Die IRA erbeutete 2004 bei einem Überfall auf die Northern Bank in Belfast mehr als 26 Millionen Pfund.

Und er steckte hinter dem minutiös geplanten Einbruch in das Polizeirevier Castler­eagh in Ostbelfast, eins der am besten gesicherten Gebäude in Europa. Die IRA erbeutete Listen mit den Kontaktdaten von Hunderten Polizeispitzeln und andere geheime Dokumente. Es kostete Millionen Pfund, um die enttarnten Agenten mit neuen Identitäten zu versorgen und sie in Sicherheit zu bringen.

Aber Storey war auch eine der Schlüsselfiguren im nordirischen Friedensprozess. Er folgte Adams’ Kurs bedingungslos und sorgte dafür, dass die IRA auf dem Weg zu einer politischen Lösung mit an Bord blieb. Storey starb Ende Juni im Alter von 64 Jahren nach einer missglückten Lungentransplantation.

Mal wieder eine Regierungskrise

Dass die Sinn-Féin-Führung an seiner Beerdigung teilnahm, war als Geste an die Hardliner gedacht, um den Dissidenten nicht das Feld zu überlassen. Die anderen vier Parteien in der Zwangskoalition, die im Belfaster Abkommen vom Karfreitag 1998 festgeschrieben ist, fordern nun den Rücktritt von Regierungschefin O’Neill. Nordirland hat mal wieder eine Regierungskrise.

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