Ankara fühlt sich ungerecht behandelt

Am Montag dieser Woche holte der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu ganz undiplomatisch aus. „Die Reisewarnungen für die Türkei und auch das EU-Einreiseverbot für Türken ist ungerecht und soll wohl eine Strafe für andere Dinge sein“, sagte er in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem EU-Außenbeauftragten Josep Borell in Ankara. „Die Reisewarnung für die Türkei ist wissenschaftlich nicht nachvollziehbar“, ist Çavuşoğlu überzeugt. Dass die EU die Einreisesperre für „einige obskure afrikanische Staaten aufgehoben hat, für die Türkei aber nicht“, zeige, dass es dabei um ganz andere politische Motive gehe.

Borell stellte zum Abschluss seines Besuchs in einem schon fast skurril anmutenden Euphemismus fest, dass die Beziehungen wohl „verbesserungswürdig“ seien. Tatsächlich ist man in Ankara davon überzeugt, dass die Türkei mit der Reisewarnung für unbotmäßiges politisches Verhalten abgestraft werden soll. Da wären als Erstes die Konflikte mit Zypern und Griechenland um die Erschließung großer Gasvorkommen im östlichen Mittelmeer. Zypern, Griechenland, Israel und Ägypten beanspruchen die Vorkommen für sich, obwohl, wie Çavuşoğlu betont, „wir doch die längste Küste in der Region haben“.

Das wiederum ist ein wichtiger Grund für das türkische militärische Engagement in Libyen, welches zu neuem Streit mit der EU geführt hat. Und dann sind da noch die Flüchtlinge, mit denen Ankara die EU an der griechischen Grenze unter Druck zu setzen versuchte.

Ähnlich wie Borell ging es in der letzten Woche dem deutschen Außenminister Heiko Maas (SPD), der seinen türkischen Kollegen in Berlin empfing. Von der angeblichen Freundschaft zwischen Heiko und Mevlüt war nicht mehr viel zu spüren, als Çavuşoğlu sich darüber beschwerte, dass Deutschland die in den Urlaubsgebieten sehr niedrigen Infektionszahlen ignoriere. Çavuşoğlu bestritt, dass alle in der Türkei an Covid-19 erkrankten Personen mit einem umstrittenen Medikament zwangsbehandelt würden. Stattdessen zählte er die umfangreichen Vorsorgemaßnahmen auf, die touristische Einrichtungen einhalten müssen.

Çavuşoğlu und Tourismusminister Mehmet Nuri Ersoy, der ihn in Berlin begleitete, sind in doppelter Weise betroffen. Einmal als türkische Regierungsvertreter, darüber hinaus aber auch, weil sie ihre Wahlkreise in Antalya haben. Die dortige Region gilt als das Epizentrum der Tourismuskrise. Entlang der Türkischen Riviera werden normalerweise Milliarden verdient. Fünf Millionen Deutsche und sechs Millionen Russen füllen dann die Hotels. Jetzt stehen fast alle Häuser leer. Russland lässt derzeit keine Personen in die Türkei ausreisen.

Ein kleiner Trost für Çavuşoğlu und Ersoy dürfte der Blick nach Griechenland, Italien und Spanien sein. Auch ganz ohne Reisewarnung bleiben dort die meisten Strände so leer wie in der Türkei. Selbst wenn die Warnung bald aufgehoben werden sollte, wird sich in An­talya deshalb in diesem Jahr wohl kaum noch etwas ändern. Jürgen Gottschlich