25 Jahre Massaker von Srebrenica: Die offene Wunde

25 Jahre nach dem Massaker herrscht der Wunsch nach Versöhnung. Doch wie soll das gehen, wenn die Täter bis heute ungestraft ihre Verbrechen leugnen?

Schatten von Menschen vor in Stein gemeißelten Namen

In Mamor gemeißelte Namen der Opfer in der Gedenkstätte Potocari in der Nähe von Srebrenica Foto: Nikola Solic/reuters

Die ältere Frau mit dem ländlichen Kopftuch, die unweit der Markala in Sarajevo frisch gepflückte Pfifferlinge verkauft, gehört zu den Zehntausenden Frauen, die aus Srebrenica in die bosniakischen Gebiete Bosniens deportiert worden sind. Ihr altes Haus in den Bergen oberhalb Srebrenicas wurde damals im Juli 1995 von serbischen Soldaten niedergebrannt. Sie war unter den Zehntausenden, die in Potocari Hilfe bei den UN-Soldaten suchten. Sie weinte und schrie, als ihr Mann und ihre älteren Söhne von ihr und den beiden kleinen Kindern getrennt wurden und dann versuchten, vor den serbischen Exekutionskommandos zu fliehen. Sie wurden sechs Jahre danach in einem Massengrab gefunden, durch DNA-Analysen identifiziert und 2011 auf dem Gelände der Gedenkstätte in Potocari beerdigt. Ihre Tochter und der kleinste Sohn sind jetzt erwachsen.

Man kann sich vorstellen, was am Gedenktag, dem 11. Juli, alles über Srebrenica gesagt werden wird. 25 Jahre danach. Von manchen Religionsvertretern, von Menschenrechtlern, Schriftstellern und Politikern wird durchaus berührend gesprochen werden. Manche werden sich auch an den Ausspruch des Generals Ratko Mladic nach der Eroberung der Stadt erinnern. Er wollte „Rache an den Türken“. Er meinte Rache für die verlorene Schlacht der Serben gegen die osmanischen Erboberer 1389, also 606 Jahre zuvor. Bosnische Muslime sind ethnisch Südslawen, wie Mladic selbst, in seinen Augen aber Feinde, Türken, die es zu eliminieren gilt. Welch eine primitive und doch bis heute bei serbischen Nationalisten gängige Geschichtsauffassung.

Entscheidend aber ist, was bei den Gedenkfeiern nicht ausgesprochen wird. Auch Gutmeinende, von den Ereignissen Erschütterte, haben die Tendenz, die Dinge zu beschönigen. Man hofft, doch noch zur Versöhnung beizutragen. Man scheut sich, Ross und Reiter klar zu benennen.

Und das trotz aller Erkenntnisse über die Rolle Serbiens schon 1992. Der größte Teil der Verbrechen in Bosnien blieb ungesühnt. Über 50.000 Menschen fielen den planmäßig durchgeführten ethnischen Säuberungen zum Opfer, über zwei Millionen wurden vertrieben, Zehntausende Frauen vergewaltigt. Srebrenica 1995 war nur der Wurmfortsatz dieser Geschichte. Serbien aber wurde vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag völkerrechtlich faktisch freigesprochen und aus der Verantwortung entlassen.

Das Eingeständnis von Schuld wird von den Tätern als Schwäche angesehen. Lieber stellt man sich als Opfer dar

Die Verbrechen der ethnischen Säuberungen fielen nicht vom Himmel. Sie folgten dem politischen Konzept, das in Belgrad entworfen wurde. Die multinationale Gesellschaft in Bosnien und Herzegowina war nach dem Zerfall Jugoslawiens die Antithese zum serbischen und kroatischen Nationalismus. Eine Nation ein Raum, hieß die Devise. Bosnien musste zerstört und zerstückelt werden, beide Mächte wollten einen Brocken für sich.

Es gab zwar das Internationale Tribunal gegen Kriegsverbrechen der Vereinten Nationen in Den Haag und den Internationalen Gerichtshof. Zwar hat das UN-Tribunal mit Ratko Mladic und Radovan Karadzic als Hauptverantworliche verurteilt, doch es fällt auf, dass es nur bosnische Serben sind, die wegen Srebrenica verurteilt worden sind. Kein Funktionsträger aus Serbien ist bisher für die ethnischen Säuberungen in Bosnien, für das politische Konzept dahinter, verurteilt worden.

EU-Politiker schweigen dazu, man fordert lieber von den Opfern, sich mit den Tätern zu versöhnen. Wie kann das aber gehen, wenn die Täter ungestraft die Verbrechen leugnen? Wenn sie Kriegsverbrecher als Kriegshelden bejubeln. Wenn sie die Überlebenden von Srebrenica verhöhnen, die bereit sind, ihre Hand zur Versöhnung auszustrecken.

Die Sprache des Hasses und der Unversöhnlichkeit wurde in den letzten Jahren sogar wieder stärker. Das Eingeständnis von Schuld wird von den Tätern als Schwäche angesehen. Man stellt sich selbst als Opfer dar, wehrt alle Diskussionen über die eigenen Verbrechen ab. Den Genozid in Srebrenica habe es gar nicht gegeben, keine KZs in Prijedor, über 70 Prozent der Serben wissen bis heute nicht, dass Sarajevo dreieinhalb Jahre belagert und beschossen worden ist.

Trümmer einer Gesellschaft

Auch die Verantwortlichen in Europa und den USA scheuen das Licht. Im „Friedensplan“ der Kontaktgruppe bestehend aus den USA, Großbritannien, Frankreich, Deutschland und Italien war schon vor dem Fall Srebrenicas festgelegt worden, dass die bosniakischen Enklaven Srebrenica, Zepa, Gorazde und Bihac für die Aufhebung der Belagerung Sarajevos an die serbische Seite fallen sollten. Die verantwortlichen Politiker jener Staaten, die den Vertrag von Dayton unterzeichnet haben, spielen bis heute nicht mit offen Karten. Wer entschied letztlich, die schon über dem bosnischen Luftraum kreisenden Natoflugzeuge, die serbische Stellungen bombardieren sollten, um die UN-Schutzzone zu verteidigen, in letzter Minute zurückzupfeifen? Dass es anders geht, bewies der Natoangriff einige Wochen später. Das Bombardement der serbischen Stellungen um Gorazde rettete mehr als 150.000 Menschen.

Doch das änderte nichts mehr an der bosnischen Tragödie. Das Land wurde im Friedensvertrag von Dayton im November 1995 als Staat anerkannt, doch ethnisch administrativ aufgeteilt. Srebrenica und Zepa sind heute Teil der sogenannten Republika Srpska. Die Resultate der ethnischen Säuberungen werden bis heute als Tatsache akzeptiert. Weiterhin werden die nationalistischen Parteien auch von EU-Diplomaten als „Partner“ behandelt.

Zurück bleiben die Trümmer einer Gesellschaft, in der vorher Bosniaken, Serben, Kroaten und Juden friedlich zusammengelebt hatten. Aber vielleicht erkennt man jetzt auch bei uns, dass die Zerstörung Bosniens den Aufstieg des Nationalismus in Europa begünstigt hat. Das letzte Wort über die Zukunft des Landes darf deshalb noch nicht gesprochen sein.

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Erich Rathfelder ist taz-Korrespondent in Südosteuropa, wohnt in Sarajevo und in Split. Nach dem Studium der Geschichte und Politik in München und Berlin und Forschungaufenthalten in Lateinamerika kam er 1983 als West- und Osteuroparedakteur zur taz. Ab 1991 als Kriegsreporter im ehemaligen Jugoslawien tätig, versucht er heute als Korrespondent, Publizist und Filmemacher zur Verständigung der Menschen in diesem Raum beizutragen. Letzte Bücher: Kosovo- die Geschichte eines Konflikts, Suhrkamp 2010, Bosnien im Fokus, Berlin 2010, 2014 Doku Film über die Überlebenden der KZs in Prijedor 1992.

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