Die Niederlande schicken Geld – und das Militär

Das zum niederländischen Königreich gehörende autonome Curaçao steckt in einer tiefen Krise. Hilfe aus den Niederlanden ist an Kürzungen gebunden, dagegen regt sich Protest

Protestierende Ende Juni in Curaçaos Hauptstadt Willemstad. Sie fordern den Rücktritt von Curaçaos Premierminister Foto: ANP/HH/imago

Von Bernd Pickert

Nach tagelangen Protesten und teils gewaltsamen Auseinandersetzungen auf der Karibikinsel Curaçao will die niederländische Regierung noch in dieser Woche über weitere Finanzhilfen für die drei Inseln Curaçao, Aruba und Sint Maarten entscheiden. Doch das birgt politischen und sozialen Sprengstoff: Curaçao lebt fast vollständig vom Tourismus – der aber ist durch die Coronakrise zum Stillstand gekommen. Als Curaçaos Regierung zum ersten Mal beim niederländischen Premier Mark Rutte um Hilfe ersuchte, knüpften die Niederlande die Hilfe an strenge Kürzungsvorgaben für den öffentlichen Sektor.

In der Folge kam es zu Entlassungen und Lohn- und Gehaltskürzungen im staatlichen Sektor. Insbesondere die Angestellten des staatlichen Müllentsorgungsbetriebes protestierten, weil einige Lohnbestandteile um bis zu 12.5 Prozent gekürzt wurden. Bei Demonstrationen Ende Juni kam es zu Straßenschlachten, Plünderungen und einem Sturm auf den Regierungssitz, in dessen Nähe auch der niederländische Gouverneur untergebracht ist. Der hat in normalen Zeiten nicht mehr so viel zu sagen: Curaçao ist ein autonomes Land – aber Teil des niederländischen Königreiches.

Die Polizei schlug die Aufstände nieder und setzte Tränengas gegen die Demonstrant*innen ein. Eine nächtliche Ausgangssperre wurde verhängt. Die Niederlande entsandten die in den zwei niederländischen Militärstützpunkten auf der Insel stationierten Soldaten und ließen Militärs einfliegen, um öffentliche Gebäude zu schützen und Curaçaos Polizei zu entlasten.

Curaçaos Vertreter Anthony Begina fordert mehr Empathie von den Niederlanden

Einige Anführer des Protests, darunter der 24-jährige frühere Studierendenaktivist Shaidrilon „Lon“ Mutuel, wurden festgenommen.

Seither sind die Regierungen der drei Karibikinseln mit Den Haag in Verhandlungen. Der Vertreter Curaçaos in Den Haag, Anthony Begina, zeigte sich einverstanden mit dem Einsatz holländischer Truppen. Er forderte aber von der niederländischen Regierung mehr „Einfühlungsvermögen“: Den Haag erkenne den Ernst der Lage auf Curaçao, die Folgen von Corona und der Krise in Venezuela dort nicht. „Wir sind kein Land mit großen Finanzmöglichkeiten, das alles und jeden unterstützen kann. Ich hoffe, dass die Niederlande etwas mehr Empathie zeigen“, sagte Begina.

Tatsächlich leidet Curaçao nicht nur unter den Folgen der Coronakrise, sondern auch der wirtschaftlichen Katastrophe im Nachbarland Venezuela. Allein 20.000 Venezolaner*innen sollen nach Curaçao geflohen sein und müssen dort versorgt werden. Und eine große Raffinerie des staatlichen venezolanischen Erdölkonzerns PDVSA auf Curaçao musste wegen Nachschubmangels ihren Betrieb einstellen und mehrere hundert Beschäftigte entlassen. Derzeit sollen rund 80.000 Bewohner*innen Curaçaos auf staatliche Lebensmittelhilfen angewiesen sein.

Zwar hat Curaçao schon im Juni den Tourismussektor wieder für Reisende aus den Niederlanden und Europa geöffnet. Doch die allgemeine Unsicherheit und die Nachrichten der teils gewaltsamen Demonstrationen haben dafür gesorgt, dass von einem positiven Trend nicht die Rede sein kann. So bleibt nur die Hoffnung auf weitere Hilfspakete aus den Niederlanden. Dort heißt es aber, der staatliche Sektor Curaçaos sei durch jahrelange Vetternwirtschaft künstlich aufgebläht. Bei jedem Regierungswechsel würden neue Günstlinge eingestellt, die dann immer weiter staatliche Gehälter samt Zulagen bezögen, obwohl sie de facto keinerlei Leistung erbrächten. Erwartet wird, dass im Fall der Gewährung neuer Hilfspakete die Autonomie Curaçaos teilweise ausgehebelt wird zugunsten einer stärkeren Kontrolle aus Den Haag.

„Wir sind nicht gegen Reformen, wir haben ja selber schon welche eingeführt,“ sagt Curaçaos Vertreter Anthony Begina. Aber es gebe einfach nicht die Möglichkeiten, so starke Kürzungen so schnell umzusetzen. Die Regierungsstellen, die das machen müssten, seien noch mit der Coronabekämpfung beschäftigt. Im Übrigen bitte man auch nicht um Geschenke, sondern um „Darlehen, die wir nur von den Niederlanden bekommen können“.

Das Coronavirus selbst spielt auf Curaçao kaum eine Rolle. Bislang sind 23 Fälle bekannt, die letzte Neuinfektion wurde am 16. Juni gemeldet.