Neue Bürgermeister nach Kommunalwahl: Das neue grüne Frankreich

Lyon, Marseille, Bordeaux, Straßburg, Besançon... reihenweise sind französische Großstädte bei den Kommunalwahlen an die Grünen gefallen.

Ein mann trägt eine Mundschutzmaske und hebt seine Hände

In der Wahlnacht mit Gregory Doucet, dem neugewählten Bürgermeister von Lyon Foto: Antoine Merlet/Hans Lucas/imago

PARIS taz | Die französischen Kommunalwahlen haben mit einem Machtwechsel in zahlreichen Städten nicht nur eine politische Änderung, sondern auch eine neue Generation in verantwortungsvolle Führungspositionen gebracht. Viele von ihnen sind Frauen. Die neuen Bürgermeister und Bürgermeisterinnen aus den Reihen von Europe Écologie – Les Verts (EELV) und der grün geführten Wahlbündnisse, die seit Samstag in zahlreichen Städten stolz die Trikolore-Schärpe als Maire über der Brust tragen, haben sehr unterschiedliche berufliche Karrieren und Kompetenzen, aber meist noch wenig kommunale Regierungs- und Verwaltungserfahrung. Das gleichen sie aus mit ihrem Willen, Klima- und Umweltpolitik allem voranzustellen. Mehrere von ihnen haben dazu beim Amtsantritt einen „Klima-Notstand“ dekretiert.

Kein Detail ist es, dass diese Grünen fast durchwegs dank Wahlallianzen mit der Linken gewonnen haben, bei denen Sozialisten, Kommunisten, La France insoumise (LFI) und kleinere Organisationen spätestens im zweiten Durchgang der Kommunalwahlen, oft aber schon von Beginn an mit EELV zusammen antraten. Damit gelang es ihnen, auch scheinbar uneinnehmbare Bastionen der bürgerlichen Rechten zu erstürmen. Den Verlierern ist der Spott über die „Wassermelonen“ (außen grün, innen rot) längst vergangen.

Radwege statt Landminen: Grégory Doucet in Lyon

„Als Kind sah ich am Fernsehen die Bilder der Ölpest, und mein Vater arbeitete an der Herstellung von Produkten zur Bekämpfung der Erdölteppiche. Ich war stolz auf ihn.“ Das sei seine frühe umweltpolitische Erinnerung, sagt der neue Bürgermeister von Lyon, Grégory Doucet, 46. Sein eigenes humanitäres Engagement nach seinem Studium an renommierten Handelshochschulen in Paris und Rouen während rund zwanzig Jahren führte ihn um die Welt. Er arbeitete als regionaler Leiter für die Hilfsorganisation „Handicap International“ in Sierra Leone, Niger und Mali, für ein Projekt der Landminenentschärfung in der Casamance (Senegal), für ein anderes Hilfswerk in Nepal und den Philippinen. Als Jugendlicher verehrte er Gandhi und begeisterte sich für gewaltlose Bewegungen. Er hat aus dieser humanitären Erfahrung eine „globale Sicht“, die in der lokalen Aktion zur Anwendung kommen soll.

Zur Politik kam der in Paris geborene Doucet im Vergleich zu anderen Grünen relativ spät. Der Partei Europe Écologie – Les Verts trat er 2007 bei, von 2017 bis 2019 führte er sie in Lyon als lokaler Sekretär. Für seinen Wahlkampf ließ er sich vom Arbeitgeber „Handicap International“ freistellen. Der Bürgermeisterposten wird ihn nun voll in Anspruch nehmen.

Als Vater von drei Söhnen zwischen 6 und 13 Jahren möchte er Lyon in eine kindergerechte Stadt verwandeln. Neben einer umweltgerechten Verkehrspolitik mit Fußgängerzonen und Radwegen heißt das: Grün bepflanzte Schulhöfe, in Schulkantinen 100 Prozent Bio-Nahrung und davon 50 Prozent aus lokaler Produktion. Bei der Umsetzung seines Programm will er mit seinen linken Verbündeten von „France insoumise“ sehr entschlossen sein. Genau das befürchten seine Gegner, die ihn im Wahlkampf mit dem Etikett „Grüner Khmer“ diskreditieren wollten.

Das grüne Europa im Kopf: Jeanne Barseghian in Straßburg

Mit ihr war, ehrlich gesagt, nicht gerechnet worden. Jeanne Barseghian wäre um ein Haar wegen ihrer Covid-19-Erkrankung während des Wahlkampfs als Spitzenkandidatin ausgefallen. Im Unterschied zu anderen Grünen in Grenoble, Lyon, Bordeaux oder Besançon galt die 39-Jährige im Dreier-Finale um das Bürgermeisteramt von Straßburg nicht als Favoritin. Denn für die Stichwahl hatten sich die konservativen Républicains mit der Macron-Partei En Marche gegen die Grüne verbündet. Und die bisherige sozialistische Bürgermeisterin Catherine Trautmann hatte sich auch nicht der von der Grünen ­Barseghian angeführten linken Liste angeschlossen, sondern kandidierte ebenfalls weiter. Großmütig hat die Siegerin Barse­ghian nun die Ex-Konkurrentin Trautmann in ihre Koalition für Straßburg aufgenommen.

„Straßburg wird zum Schulbeispiel für die Grünen“, hat die Financial Times zu den Kommunalwahlen in der zweiten EU-Kapitale geschrieben. Nach ihrem Sieg hat Barseghian dort den „Klima-Notstand“ ausgerufen. Viele StraßburgerInnen wissen von ihr vorerst nicht viel mehr als ihren nach armenischer Herkunft klingenden Namen und ihre Parteizugehörigkeit zu den Grünen (EELV). In den Kurzbiografien entdecken sie, dass sie 1980 in Suresnes bei Paris als Tochter einer bretonischen Juristin und eines als Anwalt tätigen Sohns armenischer Flüchtlinge auf die Welt kam, dann selber ebenfalls Jura studierte und sich zuerst auf deutsch-französisches Recht und dann an der Uni Straßburg auf Umweltgesetze spezialisierte.

Die aktive Umweltpolitik hat sie während ihrer Studienzeit in Berlin entdeckt. Zudem ist ihr Lebenspartner ein Deutscher, der in Freiburg arbeitet. Dass sie zweisprachig ist, zählt für die Zusammenarbeit mit den Nachbarn jenseits des Rheins.

Die soziale Krise heilen: Michèle Rubirola in Marseille

Michèle Rubirola trat in Marseille nicht als Spitzenkandidatin der Liste von Europe Écologie – Les Verts (EELV) an, sondern für eine linke Wahlallianz mit dem Namen „Marseiller Frühling“. Sie wäre darum fast aus ihrer Partei ausgeschlossen worden. Nun hat sie gewonnen und sich mit EELV versöhnt. „Rubirola est là“ stand auf ihren Plakaten. Wie der Slogan verkündete, war sie „da“: die richtige Person im richtigen Moment. Anders lässt sich nicht erklären, dass sich die notorisch zerstrittenen Parteien der Marseiller Linken und ihre überaus ehrgeizigen ExponentInnen zuerst auf die „Frühlings“-Union und zuletzt auf Rubirola als Maire von Frankreichs zweitgrößter Stadt einigen konnten. Die Rechten hatten nicht damit gerechnet.

In den armen Quartieren kennen die Leute sie nicht als Politikerin, sondern als Ärztin. Die 63-Jährige war noch während des Wahlkampfs in der Covid-19-Prävention tätig. Sie war aber seit den 1970er Jahren als Antimilitaristin, Naturschützerin und im Kampf gegen soziale Benachteiligung engagiert. Die Politik hat sie schon als Kind mitbekommen. Denn ihr Vater war Mitbegründer einer marxistisch-leninistischen Splitterpartei, zu Hause wurde über die Revolution diskutiert. Für sie zählte schon als Jugendliche dann aber „Janis Joplin viel mehr als Mao“, erzählt sie. Die bürgerliche Presse porträtierte sie darum als „Ex-Hippie“.

Auch heute kleidet sie sich die Mutter von drei (großen) Kindern lieber mit Jeans und T-Shirt als mit einem „Deuxpièces“. Madame la Maire wird sich jetzt in mancher Hinsicht umgewöhnen müssen. Die ehemalige Basketball-Spielerin im Team von Olympique de ­Marseille wird für Sport ebenso wenig Zeit erübrigen können wie für den Chor, in dem sie bisher jede Woche singt. Heute hat sie im Rathaus die für sie neue Rolle der Dirigentin.

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