Jasmin Ramadan
Einfach gesagt
: Queen an’King of German Rock‘n’Roll

Foto: Roberta Sant'anna

Die Deutschen geben wieder mehr Geld für Neuanschaffungen aus!“, sagt die Nachrichtensprecherin im Radio.

„Na, Gott sei Dank“, sagt meine Mitbewohnerin.

„Was, das ich Schönes kaufe, ist denn bitte keine Neuanschaffung?“, fragt unser Gast und öffnet die Flasche Blaufränkischen, die er mitgebracht hat.“

„So Gerede über Wirtschaftsgedöns ödet mich an, lasst uns gar nicht erst mit so was anfangen, dann ist der Ofen schnell aus. Können wir nicht einfach Musik hören oder zumindest mal das Nachrichtenradio ausmachen?“, sagt seine Freundin.

„Ach, nur, weil du kein Interesse an nix hast.“

„Du bist so arrogant, nur dieses Gerede, wir müssten jetzt alle das Bruttosozialprodukt steigern nervt mich.“

„Das Wort ist so Achtziger, es heißt jetzt Bruttoinlandsprodukt!“

„Wieso haben sie es geändert?“

„Wer ist denn sie? Der Duden?“

„Nee, der Duden etabliert nur, was sich volksintern per Gerede bereits eingebürgert hat.“

„O. K., sie haben „Sozial“ gegen „Inland“ ausgetauscht. Und nun?“

„… reden wir über Sprache statt Wirtschaft. Weil du immer nur über Sprache reden willst, weil es das Einzige ist, was dich interessiert.“

„Sprache strukturiert alles.“

„Nee, Sprache nimmt auf, was schon ist.“

„Boa, jetzt nicht so ein Huhn-oder-Ei-Gespräch bitte!“

„Reden wir doch über Musik, wenn wir schon keine hören.“

„Wenn ich Musik anmache, gibt es nur wieder Streit, weil wir alle einen unterschiedlichen Geschmack haben.“

„Ich hasse Jazz mit Melodie.“

„Da gab es doch dieses Bruttosozialprodukt-Lied in den Achtzigern …“

„Genau, von Geier Sturzflug!“

„Das weißt du noch?!“

„Das war mein Lieblingslied, als ich Kind war, ohne dass ich verstand, worum es dabei ging.“

„Um so ein Wir-Gefühl!“

„Ein Volks-Wir-Gefühl!“

„Wie ging noch mal der Text?“

„Jetzt wird wieder in die Hände gespuckt, wir steigern das Bruttosozialprodukt, tralala!“

„Singen konntest du noch nie!“

„Aber ich kann jeden Refrain aller Neue-Deutsche-Welle-Lieder auswendig.“

„Na, da haste ja was geschafft im Leben.“

„Ich krieg davon gute Laune – na und?

„Gute Laune ist schon was wert dieser Tage … und ich düse, düse, düse, düse im Sauseschritt, und bring die Liebe mit, auf meinem Himmelsritt.“

„Ach ja, das, und dann kommt der Hass … Hassen, ganz schrecklich hassen, ich kanns nicht lassen, ich bin der Hass!“

„Damals war Hass noch witzig!“

„Es gab nicht so viel davon.“

„Eher introvertierten Hass, weil ohne Internet.“

„Das Internet hat das Volk überextrovertiert!“

„War dieses Bruttosozialproduktlied ironisch gemeint?“

„Ich glaub, die Band war eher so links.“

„Woran machst du das denn fest?“

„Na, die sahen so bunt und schreddelig aus.“

„Mensch, bist du beschränkt.“

„Damals konntest du noch sehen, wo jemand politisch stand.“

„Der Text klingt doch eigentlich nach FDP- oder CDU-Wahlkampf.“

„Das ist den Toten Hosen doch auch mal passiert, dass da ein Lied vereinnahmt wurde und dann hat Merkel das im Siegestaumel mitgesungen.“

„Irgendwie passt das, Campino und Angela.“

„Ja, die treffen sich in der Mitte.“

„Gema gegen Image.“

„Deutschland rockt, das ist das Problem.“

Jasmin Ramadan ist Schriftstellerin in Hamburg. Ihr letzter Roman „Hotel Jasmin“ ist im Tropen/Klett-Cotta Verlag erschienen. Sie war für den diesjährigen Bachmann-Preis nominiert. In der taz verdichtet sie im Zwei-Wochen-Takt tatsächlich Erlebtes literarisch.