Mord an CDU-Politiker Walter Lübcke: Der Rechtsstaat übernimmt

In Frankfurt hat der Prozess zum Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Lübcke begonnen. Die Angeklagten schweigen, ihre Anwälte attackieren.

Familie Lübcke im Oberlandesgericht Frankfurt

Setzen mit ihrer Teilnahme am Prozess ein Zeichen gegen Hass und Gewalt: Familie Lübcke Foto: Thomas Lohnes/Getty Images/Pool/dpa

Dann ist er da. Um kurz nach zehn Uhr am Dienstag wird Stephan Ernst in Handschellen in den Saal 165 des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main gebracht. Der 46-Jährige blickt starr in den Saal. Er trägt ein weißes Hemd und schwarzes Jackett, die Haare sind zum Seitenscheitel gegelt. Ein ungewohntes Bild. Auf den Fotos seiner Festnahme trug Ernst noch ein schlabbriges Shirt und Struwelfrisur, auf noch früheren Bildern ein Hemd mit NPD-Emblem. Nun aber müht sich Ernst um ein ganz anderes Auftreten, ein seriöses. Und versteckt sich nicht, blickt offen in den Kameras.

Es ist der Beginn eines historischen Prozesses. Denn Stephan Ernst soll vor einem Jahr, in der Nacht zum 2. Juni 2019, den Kasseler Regierungspräsidenten und CDU-Politiker Walter Lübcke vor dessen Haus erschossen haben. Die Tat war ein Fanal: Erstmals im Nachkriegsdeutschland ermordete offenbar ein Rechtsextremist einen Politiker. Nun richtet die Justiz über die Tat.

Schon in der Nacht versammeln sich Interessierte vor dem Gerichtsgebäude. Einige haben Campinghocker dabei, es nieselt, ein Demonstrant spaziert mit einem Schild vorbei: „Demokratische Werte sind unsterblich“. Schnell sind es weit mehr Leute, als aufgrund der Coronapandemie in den Saal dürfen. Nur 18 BesucherInnen und 19 JournalistInnen wird dies erlaubt, die taz ist dabei.

Richter Thomas Sagebiel

„Nutzen Sie Ihre beste Chance. Hören Sie nicht auf Ihre Verteidiger, sondern auf mich“

Drinnen gelten strikte Abstandsregeln, die Beteiligten werden mit Plexiglasscheiben voneinander abgeschirmt. Hinter einer sitzt nun Stephan Ernst, ein vielfach vorbestrafter Kasseler Rechtsextremist, Handwerker, zweifacher Vater. Hinter einer weiteren Scheibe sitzt Markus H., ein Zeitarbeiter, ebenfalls Rechtsextremist aus Kassel. Auch er ist angeklagt, als Mordhelfer. Der 44-Jährige soll Ernst psychische Beihilfe zu der Tat geleistet haben, indem er ihn im Mordplan bestärkte. Anders als Ernst aber versteckt der Mann mit der Halbglatze und dem von seiner Wampe spannenden Polohemd sein Gesicht unter einer Kapuze. Später gibt er sich bewusst unbeteiligt, mit verschränkten Armen oder plaudernd mit seinen Anwälten.

Die Angeklagten im Mordfall Lübcke fahren zum Gericht in Frankfurt

Unter strenger Bewachung in das Oberlandesgericht Frankfurt: die Angeklagten Foto: Kai Pfaffenbach/ reuters

Und auf der anderen Seite des Saals sitzen: Irmgard Braun-Lübcke, Jan-Hendrik und Christoph Lübcke, die Frau und Söhne von Walter Lübcke, allesamt mit erstarrten Mienen, dunkel gekleidet. Im Prozess treten sie als Nebenkläger auf. Genauso wie Ahmad E., ein junger irakischer Geflüchteter, den Ernst ebenso niedergestochen haben soll, im Januar 2016 schon.

Um diese Tatvorwürfe geht aber vorerst gar nicht. Denn schon gleich nachdem Richter Thomas Sagebiel das Verfahren eröffnet hat, machen die Verteidiger der beiden Angeklagten mobil. In einer Kaskade von Anträgen fordern sie die Ablösung von Sagebiel, weil dieser befangen sei. Außerdem: Die Aussetzung des Verfahrens, wegen Ansteckungsgefahren durch die Coronapandemie, weil es mehr Zeit zum Lesen der 90.000 Aktenseiten brauche, weil es eine Vorverurteilung der Angeklagten gebe und kein faires Verfahren. Und weil die Öffentlichkeit im Prozess beschnitten sei, die Arbeitsbedingungen für Journalisten „unwürdig“. Björn Clemens, der Anwalt von Markus H., beklagt zudem einen Farbanschlag auf sein Anwaltsbüro am Morgen. Der Prozess dürfe nicht fortgesetzt werden, bis seine Sicherheitslage geklärt sei.

Zweieinhalb Stunden geht das so. Antrag um Antrag, Seite um Seite. „Schwer erträglich“ sei dieser Vormittag für die Familie Lübcke gewesen, sagt danach ihr Anwalt Holger Matt. „Alle Anträge sind unbegründet, und die Verteidiger wissen das auch.“

Es dauert dann bis zum Nachmittag, bis Oberstaatsanwalt Dieter Killmer doch noch die Anklage verlesen kann. Also das, worum es hier im Saal 165 eigentlich geht. Der Vorwurf gegen Stephan Ernst lautet Mord und versuchter Mord. Ausgangspunkt sei eine Bürgerversammlung im Oktober 2015 in Kassel-Lohfelden gewesen, auf der Walter Lübcke über eine geplante Asylunterkunft informierte. Auch Ernst war vor Ort, die Aufnahmestelle lag in seiner Nachbarschaft, ebenso Markus H. Als Lübcke von Rechten gestört wurde, rief dieser, dass wer die hiesigen Werte nicht teile, Deutschland ja verlassen könne. Dieser Satz sei es gewesen, sagte Ernst den Ermittlern, der ihn nicht mehr losgelassen habe.

Lübckes blicken den Angeklagten direkt ins Gesicht

Laut Anklage spähte Ernst das Haus der Lübckes bereits seit 2016 aus. In der Nacht zum 2. Juni 2019 sei er dann zur Tat geschritten. Als Lübcke rauchend mit einem Tablett auf seiner Terrasse saß, habe er sich von einer benachbarten Pferdekoppel aus angeschlichen und den 65-Jährigen mit einem Kopfschuss getötet.

Ernst verfolgt die Anklageverlesung ohne Rührung, blickt auf den Tisch vor sich. Die Lübckes blicken den Angeklagten dagegen fast ohne Unterbrechung ins Gesicht. Die Tat hatte Ernst den Ermittlern gestanden, nachdem diese ihn wegen zweier DNA-Spuren auf dem Hemd von Lübcke festgenommen hatten. Auch legte er das Versteck mit dem Tatrevolver und anderen Waffen offen: ein Erddepot bei seinem Arbeitgeber, einem Bahntechnikhersteller. Dann aber widerrief Ernst sein Geständnis. Und beschuldigte den Mitangeklagten Markus H., eigentlich ein langjähriger Freund. Gemeinsam sei man zu Lübcke gefahren, um diesen „einzuschüchtern“. Als der CDU-Mann sie habe verscheuchen wollen, habe H. ihm „versehentlich“ in den Kopf geschossen.

Welche der Versionen stimmt? Es ist diese Frage, die das Gericht nun klären muss. Ernst ist dabei erst mal keine Hilfe mehr. Er werde vorerst keine Aussage machen, erklärt dessen Anwalt Mustafa Kaplan, der zuletzt auch als NSU-Nebenklageanwalt auftrat.

Die Bundesanwaltschaft legt sich in ihrer Anklageschrift jedoch bereits fest: Die zweite Version von Ernst sei widersprüchlich und konstruiert. Das erste, vierstündige Geständnis aber decke sich mit den Ermittlungsergebnissen und sei weiterhin glaubwürdig. Auch für das Gericht ist dieses Geständnis weiter verwertbar. Richter Sagebiel hilft, dass sich Ernst dabei filmen ließ. Er wird sich die nächsten Monate nun mit DNA-Spuren, Chatnachrichten und Zeugenaussagen beschäftigen.

Richter Sagebiel lehnt die Anträge der Verteidiger ab

Denn auch Markus H. schweigt. Markus H., ein Zeitarbeiter und ebenso langjährige Rechtsextremist, sendet an diesem Dienstag auch eine Botschaft: Vertreten lässt er sich just von zwei Szeneanwälten, dem früheren Republikaner Björn Clemens und dem einstigen NPD-Mitglied Nicole Schneiders, die zuletzt auch den NSU-Terrorhelfer Ralf Wohlleben vertrat. Beide zielen auf einen Freispruch.

Tatsächlich ist bei Markus H. der Prozessausgang offener. Direkte Beweise, dass der 44-Jährige von dem Mordplan wusste, haben die Ankläger nicht – womöglich auch, weil beide Angeklagte nach der Tat ihre Chatnachrichten untereinander löschten. Aufgrund verschiedener Andeutungen von Ernst habe er diesen aber für möglich gehalten, argumentiert die Bundesanwaltschaft. Und seinen Freund bestärkt, indem er ihn zu Schießtrainings in Schützenvereinen und Wäldern oder auf AfD-Demos nahm.

Clemens hält das „für ganz dünnes Eis“. Er fordert am Dienstag, die Einstellung des Verfahrens gegen Markus H. und dessen Freilassung. Die Ermittler hätten „suggestiv“ gegen seinen Mandanten ermittelt, ihm Akten vorenthalten, ihn vorverurteilt. „Er wurde öffentlich hingerichtet.“

Auch die Verteidiger von Ernst, neben Mustafa Kaplan der als pegidanah geltende Frank Hannig, überziehen das Gericht mit Kritik. Vor allem aber werfen sie Richter Sagebiel vor, dass er mit Nicole Schneiders eine Verteidigerin zuließ, die bereits den ersten Verteidiger von Ernst anwaltlich vertrat – den Ernst geschasst und beschuldigt hatte, ihn zu dem angeblich falschen ersten Geständnis gedrängt zu haben. Nun sei Schneiders die Anwältin von Markus H., „ein Interessenkonflikt“, moniert Kaplan.

Richter Sagebiel indes lehnt die Anträge der Verteidiger ab oder stellt sie zurück. Auch die Bundesanwaltschaft hält alle Anträge für haltlos. Die Lübckes, die als Nebenkläger im Prozess sitzen, verfolgen all dies wie versteinert. Die Teilnahme am Prozess sei ihnen eine „Verpflichtung“, erklärte die Familie vor dem Prozess. Und: Im Sinne Walter Lübckes „wollen auch wir dafür eintreten, dass Hass und Gewalt keinen Platz in unserer Gesellschaft haben sollen“.

Prozesstage sind bis Oktober angesetzt

Auch Ahmad E. hofft auf eine Verurteilung von Ernst. Der Rechtsextremist soll den Iraker am 6. Januar 2016 von hinten mit einem Messer niedergestochen haben, just vor der Asylunterkunft in Lohfelden, über die Walter Lübcke ein Vierteljahr zuvor informierte. Die Tat bestreitet Ernst. Den Ermittlern aber gestand er, dass er sich an dem Tag über die Kölner Silvesternacht aufgeregt habe, Wahlplakate abriss, einen anderen Migranten bedrohte. Und die Polizisten fanden in seinem Keller ein Messer mit DNA-Spuren von Ahmad E.

Bis zu einem Urteil wird es dauern, bisher sind die Prozesstage bis Oktober angesetzt. Schon am Donnerstag geht es weiter. Wird Ernst verurteilt, droht ihm eine lebenslange Haftstrafe. Die Bundesanwaltschaft hält auch eine Sicherungsverwahrung für möglich. Eine verminderte Schuldfähigkeit liegt laut einem Psychiater nicht vor.

Richter Thomas Sagebiel motiviert Stephan Ernst und Markus H. ganz am Ende des Prozesstages deshalb zu einer Aussage, wenn es etwas zu gestehen gebe. „Nutzen Sie Ihre beste Chance, vielleicht Ihre einzige Chance“, sagt Sagebiel. „Hören Sie nicht auf Ihre Verteidiger, sondern auf mich.“

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