Deutsche Waffen in Kriegsgebieten: Fünf Jahre, neun Kontrollen

Wo landen Waffen, die aus Deutschland exportiert wurden? Das prüft die Bundesregierung nur selten, die Union ist gegen mehr Kontrollen.

Frau hält Plakat mit Maschinengewehr

Stoppt den Waffenhandel: Aktion vor dem Reichstag Foto: Stefan Boness/Ipon

BERLIN taz | Der jüngste Fall wurde im Mai publik: Mit Verweis auf Fotos aus Tripolis berichtete damals der Stern, dass libysche Rebellen Militärlastwagen des deutschen Herstellers MAN nutzen. Offenbar hatten die Vereinigten Arabischen Emirate die Trucks in das Bürgerkriegsland geliefert – trotz eines UN-Waffenembargos.

Kurz zuvor hatte die taz über Militär-Lkws von Daimler berichtet, die wohl über Israel nach Aserbaidschan gelangten. Und schon Anfang April deuteten Recherchen von SWR und taz darauf hin, dass Pistolenteile des Herstellers Sig Sauer aus Schleswig-Holstein über die USA in Mexiko gelandet waren.

Es sind Fälle, die es eigentlich gar nicht geben dürfte: Auf dem Papier verhindert das deutsche Rüstungsexportrecht, dass deutsche Waffen über Umwege in Krisengebiete gelangen. Wer Rüstungsgüter aus Deutschland kaufen möchte, muss per Unterschrift versichern, dass er die Ware selbst nutzt und ohne Genehmigung der Bundesregierung nicht weitergibt. Dass Problem dabei: In der Regel kontrollieren die Behörden nicht, ob sich die Kunden tatsächlich an die Erklärung halten.

Erst 2015 hat die Bundesregierung auf Bestreben des damaligen SPD-Wirtschaftsministers Sigmar Gabriel überhaupt die Möglichkeit für sogenannte Endverbleibskontrollen eingeführt. Bei solchen Inspektionen schauen deutsche Beamte mit Vorankündigung nach, ob sich die Waffen noch beim Käufer befinden. Seitdem hat das zuständige Bundesamt für Ausfuhrkontrolle (Bafa) in einer Pilotphase aber nur neun solcher Kontrollen durchgeführt. Lediglich zwei Stellen wurden dem Bafa für die Aufgabe zugewiesen.

Die Coronakrise als Vorwand?

Die Kontrollen sind beschränkt auf Kleinwaffen wie Pistolen und Gewehre, finden nur in Staaten außerhalb von EU und Nato statt und wurden zuletzt aufgrund von Corona komplett ausgesetzt: Weitere Kontrollen „mussten aktuell aufgrund der Reisebeschränkungen ausgesetzt werden“, antwortete das Wirtschaftsministerium auf eine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Katja Keul (Grüne).

„Die Coronapandemie darf nicht als Vorwand dienen, Kontrollen zu vermeiden“, sagt Keul. „Wo Waffen trotz der Pandemie exportiert werden können, muss ihr Verbleib mehr denn je kontrolliert werden.“ Und mehr noch: Unabhängig von Corona fordert die Abgeordnete, die Kontrollen auf alle Waffengattungen auszudehnen – also nicht mehr nur nach Kleinwaffen zu schauen, sondern auch nach Panzern, Militär-Trucks und anderen Großgeräten.

Auch innerhalb der Bundesregierung liegt dieser Vorschlag auf dem Tisch. Seit über einem Jahr werten Vertreter*innen verschiedener Ministerien die Erfahrungen der bisherigen Kontrollen aus. Rüstungsunternehmen, Friedensorganisationen und Wissenschaftler*innen wurden zu Anhörungen geladen. Die Arbeitsgruppe will ihre Ergebnisse irgendwann in einem Abschlussbericht vorlegen.

Wann es so weit sein wird, will das Wirtschaftsministerium auf Anfrage aber nicht sagen. Im am Mittwoch veröffentlichen Rüstungsexportbericht der Bundesregierung steht sogar nur, dass die Evaluierung eingeleitet wurde.

SPD: Mehr Personal und Geld für die Kontrollen

Bislang hat die Regierung noch nicht mal die Abgeordneten der Koalitionsfraktionen im Bundestag über den Stand der Beratungen informiert. Im Parlament nimmt die Ungeduld inzwischen zu, vor allem in der SPD-Fraktion, die die Kontrollen gerne ausweiten würde.

In einem Positionspapier forderten die Sozialdemokrat*innen schon Ende 2019, in Zukunft nicht mehr nur Kleinwaffen, sondern „jegliche Rüstungsexporte“ zu kontrollieren. Die Bundesregierung solle dem Parlament über die Inspektionen regelmäßig Bericht erstatten und bei den EU-Partnern dafür werben, ebenfalls Kontrollen einzuführen.

„Der Evaluationsbericht der Regierung wird mit Sicherheit zeigen, dass das Instrument wirkt, aber noch besser wirken könnte, wenn wir es stärken“, sagt der SPD-Abgeordnete Frank Junge. „Wenn man das machen will, reicht es aber nicht aus, das Gesetz zu ändern. Für regelmäßige Kontrollen müssten wir auch mehr Personal und mehr Mittel bewilligen.“ Eine Einigung darüber mit den Koalitionspartner werde jedoch „sicher kein Selbstläufer“.

Der CDU-Abgeordnete Klaus-Peter Willsch, in der Unionsfraktion für das Thema zuständig, gibt sich zwar optimistischer. Einen Beschluss über die Zukunft der Kontrollen noch in dieser Legislaturperiode hält er für realistisch, das Instrument an sich hat sich in seinen Augen bewährt.

Die USA als Vorbild?

Bei der Frage nach einer Ausweitung auf Großwaffen bremst er aber: Man müsse vor der Entscheidung sowohl „die Wirksamkeit und die Folgen in den Beziehungen zu anderen Staaten“ als auch die „internationale Wettbewerbssituation“ deutscher Unternehmen berücksichtigen. „Für den Verbleib großer Waffensysteme stehen uns – anders als bei Kleinwaffen – vielfältige Erkenntnisquellen zu Verfügung. Wir wollen keine dogmatische Symbolpolitik betreiben, sondern sicherheitspolitisch verantwortlicher Akteur bleiben“, sagt der CDU-Politiker. Nach einer einfachen Einigung klingt das dann doch wieder nicht.

Noch weniger Aussicht auf Umsetzung hat eine weitere Verschärfung, die unter anderem die „Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung“ (GKKE) in ihrem alternativen Rüstungsexportbericht vorschlägt. Demnach sollten die deutschen Behörden den Endverbleib in Zukunft auch bei Exporten in EU- und Nato-Staaten kontrollieren. Ein Argument dafür ist das Beispiel der Sig-Sauer-Waffen, die mutmaßlich über die USA nach Mexiko gelangten.

Solch eine Ausweitung fordert jedoch noch nicht mal die SPD-Fraktion in ihrem Positionspapier. „Das Argument dagegen ist oft, dass dadurch das Misstrauen zwischen Partnern wachse“, sagt Arnold Wallraff, der einst als Bafa-Präsident für Ausfuhrkontrollen zuständig war und sich heute in der GKKE engagiert. „Aber wenn die Kontrollen flächendeckend wären, kann keiner sagen, dass die Bundesregierung ihm gegenüber ein besonders Misstrauen habe. Sie beträfen dann ja jeden potenziellen Empfänger.“

Ein Novum wäre das auf internationaler Bühne zumindest nicht: Die USA führen ebenfalls Endverbleibskontrollen durch. Sie treffen laut Wallraff alle Kunden US-amerikanischer Rüstungskonzerne – und damit sogar den Nato-Partner Deutschland.

Hinweis: In einer früheren Version des Textes stand, dass der Bundestag über eine Reform entscheiden müsste. Tatsächlich kann aber die Bundesregierung selbst über die Endverbleibskontrollen entscheiden. Die Regeln wären lediglich verbindlicher, wenn der Bundestag auch ein entsprechendes Gesetz verabschieden würde.

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