nord🐾thema
: wohnen und gestalten

die verlagsseiten der taznord

Für Liebhaber und Individualisten

Regelmäßig versteigert die Bahn leer stehende Immobilien. Neben Hallen, oder Schuppen sind auch immer mal wieder echte Perlen wie alte Bahnhöfe dabei – allerdings sanierungsbedürftig und nichts für lärmempfindliche Menschen

Wer solch ein Objekt ergattert, muss Zeit und Ideen haben Foto: Bernd Wüstneck/dpa

Von Harff-Peter Schönherr

Wer gern genauso wohnt wie Millionen andere Menschen, wird sich wohl nie durch die Immobilien-Angebote der Bahn klicken, es sei denn, er ist auf der Suche nach einem Ziel für die nächste Lost-Places-Foto-Expedition. Aber das ist schade. Denn dabei entgehen ihm wahre Schnäppchen und tolle Objekte wie der Bahnhof „Düsedau“ in der Hansestadt Osterburg: Nutzfläche 165 Quadratmeter, Grundstücksgröße 2.825 Quadratmeter, stark sanierungsbedürftig, Mindestgebot: 500 Euro.

Ja, die Deutschen Bahn AG verkauft leer stehende Bahnhöfe. Seit 1994 wurden so rund 2.250 ausgediente Empfangsgebäude „vor dem Verfall gerettet“, wie die Internetseite inside.bahn es ausdrückt, 1.250 dieser Geisterbahnhöfe gingen direkt an einen privaten Interessenten oder die Kommune, denn der steht das Vorkaufsrecht zu. 1.000 Bahnhöfe machten dafür den Umweg über einen Großinvestor. Auch Wassertürme gibt es zu kaufen, Rundlokschuppen, Stellwerke. Manchmal ist sogar ein Bunker dabei, in den eine halbe Dorfbevölkerung passt.

Gut, das kann seine Tücken haben. Wer die Objektbeschreibung liest, stößt auf Angaben wie: Baujahr unbekannt, mit Altlasten behaftet, Brand- und Löschwasserschaden, nicht beheizbar, keine Sanitäreinrichtungen, Tür- und Fensteröffnungen mit Holzplatten gesichert, Putzabplatzungen, baulich sehr einfacher Zustand und so weiter. „Von Vorteil“, kommentiert die Bahn deswegen auch, sei „handwerkliches Geschick, Entschlossenheit, Geduld“. Und von der „‚romantischen‘ Toleranz gegenüber gelegentlich vorbeischnaubenden Güter- oder Passagierzügen“.

Aber manchmal entstehen so wahre Paradiese wie die selbstverwaltete, basisdemokratische „Initiative für neues Wohnen“ am „freigekauften“ Bahnhof Ottersberg bei Bremen. Ein Ort alternativen Miteinanders und kultureller Begegnung, dessen WG-hafte Wohnsektoren Namen haben wie „Die Urzelle“ und „Der Turm“. Seit 1991 ist hier, im 1876 errichteten, denkmalgeschützten Backsteinbau der Bahn, ein „bestens funktionierender, sehr besonderer Mikrokosmos“ gewachsen, sagt Minu Vogel, seit fast fünf Jahren Teil des gemeinnützigen Vereins.

18 BewohnerInnen hat der alte Bahnhof derzeit, aber dort wird beileibe nicht nur gewohnt: Performances hat der Bahnhof ausgerichtet, Konzerte und Kleidertauschpartys, Kommunikations-Workshops, Sommerfeste, Open Stages und Kunstaktionen mit Titeln wie „ARTDIESCHOCKEN.“

Auf frei werdende Bahnhöfe wie Ottersberg zu hoffen, bedeutet Vertrauen in sehr, sehr großes Glück. Man werde „in den nächsten Jahren noch rund 150 ehemalige Empfangsgebäude verkaufen“, sagt eine Sprecherin der Deutschen Bahn. Die große Welle ist also vorbei. „Zahlreiche Beispiele belegen, dass die Gebäude dann oft eine Wiedergeburt als repräsentative Visitenkarte von Eisenbahn und Ort erleben – so wie ihre Bauherren es in der Gründerzeit der Eisenbahn beabsichtigten.“ Mit dem Verkauf ziehe „neues Leben in die alten Gebäude ein“.,

So war es auch in Plön mit dem Touristikbüro, dem Reisezentrum und einem Café. In Sande, ebenfalls: Hostel, Restaurant, Veranstaltungsraum. Im niedersächsischen Schladen entstand ein privates Wohnhaus. Insgesamt ist vom Standesamt bis zum Kunst­atelier alles dabei.

Wer die Beschreibungen liest, stößt auf Angaben wie: Baujahr unbekannt, mit Altlasten behaftet, Brand- und Löschwasserschaden, nicht beheizbar, keine Sanitäreinrichtungen

Ein Nachteil vieler Bahnhöfe: die schwierige Anfahrt. Wer zum Bahnhof Eversburg in Osnabrück will, muss sich in eine heruntergekommene Sackgasse trauen, rechts ein Speditionshof, links eine schlaglöchrige Schotterfläche, auf der gerade ein staubiger Fernbus parkt, dann ein Stück Kopfsteinpflaster entlang, und da ist er dann, der ockergelb-braune Bahnhof mit seinen Giebeln, Erkern und Rundbögen, rechts von ihm Gleise, links von ihm Gleise, direkt vor seinem Haupteingang eine düstere Tunnelunterführung. Neben ihr, mit Tarnbewuchs, ein Luftschutz-Deckungsgraben aus dem letzten Krieg.

Der Bahnhof ist eine kühne wilhelminische Mischung aus prunkhaftem Jugendstil-Portal, Fachwerk und trutzigem Sandsteinsockel, der unter Denkmalschutz steht. Pächter Michael Klei holt Schlüssel für alles und führt herum. Das Erdgeschoss nimmt sein Fischrestaurant „Gezeiten la Amarone“ ein. In einem der Gasträume verbirgt ein riesiger Spiegel Schalt­elemente, an die Techniker der Bahn rund um die Uhr ran können. Oben: drei Wohnungen. Im Obergeschoss des Stellwerks, an dem noch das alte Schild „Osnabrück Eversburg“ hängt, stehen Personalspinde. Dort befindet sich eine weitere Wohnung.

Wenn Kleis’Serviceleiter in seine Wohnung will, muss er demnächst erst ein paar Schritte in einen Biergarten rein, mit großem Wasserbecken, Beach-Bereich, Außentheke und Palettenmöbel-Lounge. Und, hilft der halbhohe Glasschutz, wenn Züge kommen? Klei, während gerade ein E-Passagier­zug der Nord-West-Bahn vorbeirauscht: „Gar nicht so schlimm. Dann sagt man eben mal zehn Sekunden nichts.“ Richtig schön, sagt Klei, seien die Nostalgiezüge der „Osnabrücker Dampflokfreunde“.

Eine Immobilie, die derzeit noch auf Neuerweckung wartet, liegt am Bahnhof Northeim. Allerdings wird hier kein Käufer gesucht, sondern ein Mieter: für 48 Quadratmeter. Zwei Zimmer, Küche, WC. Ein Extra, offenbar: „Die Räume verfügen über eine Deckenbeleuchtung.“ Wer keinen Bahnhof will: Auch Werkstätten gibt es bei der Bahn, Kranhallen, Büros, Lagerschuppen, Güterabfertigungen, eine Kantine, eine Kaserne. Jeweils im Frühjahr und Winter starten die Auktionen.