Ein Tunnel nach Prag

Deutsche und Tschechische Bahn wollen einen Tunnel durch das Erzgebirge bauen. In nur zweieinhalb Stunden soll es dann von Berlin nach Prag gehen

Die Strecke ist Teil des Paneuropäischen Transportkorridors 4, der Nordsee und Südosteuropa verbindet

Von Marco Zschieck

Schroffe Felsen, Wälder und ein Fluss, der sich hindurchschlängelt. Das Elbsandsteingebirge ist eine Urlaubsgegend, Bahnreisende wissen das zu schätzen. Südlich von Dresden, wo sich das Elbtal verengt, schmiegt sich die Bahnstrecke von Dresden nach Prag an den Fluss. Am anderen Ufer zieht Bad Schandau vorbei. Und in Tschechien geht es so weiter: Kurve um Kurve folgen die Gleise der Elbe. Richtung Prag folgt die Bahn schließlich der Moldau. Auch dort geht es kurvenreich weiter, auch wenn die Hügel am Ufer nicht mehr so hoch sind.

Doch Eisenbahnromantiker müssen nun stark sein, denn die seit Mitte des 19. Jahrhunderts genutzte Strecke ist ein Auslaufmodell – jedenfalls, was den Fernzugverkehr angeht. Stattdessen soll die Eisenbahn bei Heidenau hinter Dresden bald in Deutschlands längstem Fernzugtunnel verschwinden und erst auf der anderen Seite des östlichen Erzgebirges wieder ans Licht kommen, von dort geht es entlang der Autobahn Richtung Prag. Statt auf Burgen und Weinberge blicken die Reisenden dann auf 100 Kilometern Strecke auf Beton, Tankstellen und Großmärkte. Vorteil: Auf der neuen Strecke können die Züge nicht nur deutlich schneller fahren, sie ist auch kürzer. Statt etwa zweieinhalb Stunden soll die Fahrt von Dresden nach Prag nur noch eine Stunde dauern.

Auch Berlin rückt näher an Prag. Die Strecke nach Sachsen wird ohnehin für Hochgeschwindigkeitszüge modernisiert. Wenn der Tunnel fertig ist, dauert es von Berlin statt viereinhalb Stunden nur noch zweieinhalb. Doch das Riesenprojekt steht noch am Anfang. Derzeit läuft in Sachsen das Raumordnungsverfahren. Dabei wird geprüft, inwieweit das Vorhaben mit anderen Erfordernissen der Landesplanung kollidiert. In den nächsten Wochen erwarte die Deutsche Bahn, die das Projekt gemeinsam mit der Tschechischen Bahn plant, ein Ergebnis, sagte ein Bahnsprecher der taz.

Im Januar und Februar waren die Pläne öffentlich ausgelegt worden. Bis Ende März gingen insgesamt 5.600 Stellungnahmen ein. Seitdem prüft die Behörde. Im Rennen sind sieben Varianten für die Tunnelstrecke auf deutscher Seite (Grafik links). „Fest steht bereits die ungefähre Lage des Einbindepunkts in Heidenau sowie des Ausbindepunkts des Tunnels in Ústí nad Labem“, so die DB. Auch, wo der Tunnel die Grenze unterquert, weil die Planung auf tschechischer Seite schon weiter gediehen ist.

Die Varianten, von denen zwei von einer Bürgerinitiative vorgeschlagen wurden, unterscheiden sich in ihrem Verlauf und ihrer Tiefe. Die BI möchte gern so viel wie möglich im Tunnel verschwinden lassen. Je tiefer der aber startet, umso länger wird er. Das könnte am Ende teurer werden. Die Varianten der DB verlaufen fast alle östlich der bestehenden Autobahn und enthalten bis auf eine auch oberirdische Streckenabschnitte.

Ob die Varianten auch technisch machbar sind, wird in einem nächsten Schritt geprüft. Noch in diesem Jahr wollen die beiden Partner gemeinsam die Projektsteuerung ausschreiben, hieß es. Dann soll eine Vorzugsvariante herausgearbeitet werden, mit der die DB später ins Planfeststellungsverfahren einsteigt, das ebenfalls im Dialog mit der Region durchgezogen werden soll, um spätere Klagen zu vermeiden. So etwas dauert erfahrungsgemäß Jahre. Mitte des Jahrzehnts könnte die Vorplanung abgeschlossen sein. Dann müssen die Parlamente noch zustimmen.

Läuft es gut, kann gegen Ende dieses Jahrzehnts mit dem Bau begonnen werden, gegen Ende des nächsten könnten die Züge fahren. Für die DB ist es eine Premiere: Es ist ihr erster grenzüberschreitender Tunnel. Wie viel das alles kostet, ist noch nicht klar. Seriös schätzen könne man die Höhe ohnehin nicht, bevor auch genaue geologische Untersuchungen des Trassenverlaufs stattgefunden hätten, so ein Bahnsprecher. Mit 25 bis 30 Kilometern wäre der neue Tunnel ungefähr halb so lang wie der Brenner-Basistunnel, der derzeit von Italien und Österreich gebaut wird und um die 8 Milliarden Euro kosten soll. Da es zwischen Dresden und Prag nicht durch ein Hochgebirge geht, könnte es aber auch weniger sein.

Der deutsche Anteil kommt aus dem Bundeshaushalt. Bei der Bahn ist man entsprechend schmerzfrei, was die Kosten angeht. Die Strecke steht bereits im Bundesverkehrswegeplan als vordringlicher Bedarf. Außerdem ist sie Teil des Paneuropäischen Transportkorridors 4. Dabei geht es um die Verbindung zwischen den Häfen der Nordseeküste und Südosteuropa. Der Korridor soll die Transportwege am Rhein und durch die Alpen östlich umgehen und entlasten. Der Tunnel ist also Teil eines größeren Puzzles.Tatsächlich ist auch jetzt schon viel los, vor allem im Güterverkehr. Der Grenzübergang im sächsischen Schöna ist laut DB der am zweitstärksten frequentierte im deutschen Schienennetz. Für 2030 werden täglich 32 Fernzüge und 101 Güterzüge erwartet.

Auch deshalb ist der Tunnelbau in der Region populär. Besonders die Güterzüge machen viel Lärm, der im engen Elbtal zwischen den Felsen hin und her schallt. Das kollidiert mit den touristischen Interessen in der Region. Zwar hält der Eurocity in Bad Schandau, aber von den Güterzügen hat man vor Ort nichts.

Auch beim Kundenverband Pro Bahn ist man vom Tunnel begeistert. Er sei eine Chance, touristischen Verkehr vom Flugzeug auf die Schiene zu bringen. „Bei zweieinhalb Stunden Fahrzeit zwischen Berlin und Prag lohnt sich die Fahrt sogar für einen Tagesausflug“, sagt Sprecher Karl-Peter Naumann. Und bei einer Stunde Fahrzeit würden Dresden und Prag praktisch Nachbarstädte werden. Das sei auch für Berufspendler interessant. Die jetzige Strecke durch das Elbtal sei zwar schön, aber langsam und laut. „Das entspricht nicht mehr der Zeit.“

Naumann weist allerdings darauf hin, dass man den Güterverkehr nur erfolgreich auf die neue Strecke bringe, wenn sie auch sehr lange und schwere Züge aufnehmen könne. Dafür muss das Gefälle niedrig sein. Das könnte die Baukosten erhöhen. Auch im Berliner Senat sieht man sich als Gewinner. „Die Initiative zum Ausbau der Strecke Rostock–Berlin–Dresden–Prag-Wien-Budapest ging auf die Länder Berlin, Brandenburg, Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern zurück“, heißt es aus der Senatsverwaltung für Verkehr. Die ostdeutschen Länder hätten das Bundesverkehrsministerium gebeten, eine Entlastungsstrecke mit einem Tunneldurchstich nahe der neuen Autobahn nach Prag mit hoher Priorität in den Bundesverkehrswegeplan aufzunehmen.

Für den Berliner Schienenfernverkehr in Richtung Prag, Bratislava, Wien, Graz und Budapest könnten mit der neuen Tunnelstrecke attraktive Fahrzeiten angeboten werden, die ähnlich wie bei der Schnellfahrstrecke Berlin–München zu einem Verlagerungseffekt vom Flugzeug auf den klimafreundlichen Schienenverkehr beitragen können. Dies gelte auch für den Güterverkehr.

Mit dem Wiederaufbau der 1952 stillgelegten Dresdner Bahn, die 2026 fertiggestellt sein soll, seien alle Voraussetzungen auf Berliner Gebiet geschaffen. „Die Strecke wird von der Berliner Stadtgrenze bis Dresden mit Tempo 200 befahrbar sein.“ Ein Trost für Fans der alten Strecke: Sie wird weiterhin von Regionalzügen befahren.