Hamburg ehrt bis heute Kolonialisten: Rassismus durchzieht die Stadt

Weltweit stürzt „Black Lives Matter“ überkommene Statuen. In Hamburg, das vom Kolonialismus profitierte, stehen die steinernen Symbole noch.

Schwarz-weiß-Bild eines deutschen Schiffes mit vielen Soldaten an Bord

Kurs „Deutsch-Südwest“: Der Schutztruppentransporter „Alexandra Woermann“ verlässt Hamburg (1904) Foto: Franz Spenker/Bundesarchiv/Wikimedia Commons

HAMBURG taz | An einem sonnigen Junitag schlendern Hamburger:innen wie Tourist:innen durch die Hafencity. Vom Baumwall aus kann man dort am Columbus-Haus den Kaiserkai Richtung Elbphilharmonie laufen, von deren Aussichtsplattform aus auf die Altstadt und den Hafen, Hamburgs „Tor zur Welt“, blicken. Auf dem Vasco-da-Gama-Platz, den Magellan- und Marco-Polo-Terrassen sitzen Geschäftsleute und Kinder, essen Eis, skaten oder genießen die Sonne.

Die Hafencity will mit den Namen dieser „Entdecker“ und „Seefahrer“, wie sie in großen Goldlettern vor den Plätzen bezeichnet werden, Weltoffenheit und Kosmopolitismus zeigen. Man kann darin aber auch ganz anderes sehen: eine brutale Kolonialzeit, Versklavung, blutig niedergeschlagene Proteste und Völkermorde, die mit Eroberern wie da Gama, Magellan und Polo begannen.

„Diese Menschen haben den Weg für den Kolonialismus geebnet,“, sagt etwa Charlotte Nzimiro, Aktivistin aus der Black Community in Hamburg, die sich derzeit besonders für eine rechtliche Anerkennung des Begriffs „Neger“ als rassistisch und die „Black Lives Matter“-Proteste in Hamburg einsetzt. „Mich hat schon immer gestört, dass es solche Denkmäler und Straßennamen noch gibt. Aber diese kolonialistischen Zeichen werden oftmals stillschweigend hingenommen und viele Menschen machen sich gar keine Gedanken darüber oder haben kein Gespür für diesen historischen Kontext“, sagt Nzimiro.

Eng mit dem Kolonialismus verbunden

Hamburgs Geschichte ist eng mit dem Kolonialismus verbunden: Durch die Speicherstadt wurden Kolonialwaren in alle Welt vertrieben; Reeder und Kaufleute profitierten stark davn, waren als Politiker konkret daran beteiligt. Die Universität Hamburg entstand erst durch das Hamburgische Kolonialinstitut, und noch heute sind Denkmäler und Straßennamen in ganz Hamburg den damaligen Profiteuren gewidmet. Das Kunstprojekt „Freedom Roads“ machte deutschlandweit auf kolonialistische Straßennamen aufmerksam – in der Auflistung aus verschiedenen Städten sind für Hamburg besonders viele zu finden.

„Ich finde es eine Schande, wenn Leute einen Straßennamen haben, die man als Verbrecher bezeichnen kann. Eine Straße ist ja auch eine Art Denkmal und das sollte man jemandem geben, der dessen würdig ist“, sagt Holger Tilicki, der sich mit der Willi-Bredel-Gesellschaft, einer Geschichtswerkstatt, im Arbeitskreis „Hamburg Postkolonial“ besonders für die Umbenennung der nach Adolph Woermann und Justus Strandes benannten Straßen im Hamburger Bezirk Nord einsetzt.

Woermann war ein Hamburger Unternehmer und Politiker, der nicht nur von deutschen Kolonien profitierte, sondern auch für sie Lobbyarbeit machte: Er war als Kaufmann und Reeder besonders in Westafrika tätig und trat als Reichstagsabgeordneter in Berlin gegenüber Reichskanzler Bismarck für den Erwerb von Kolonien ein. Woermann ging in Westafrika mit einer eigenen Privatarmee gegen die Bevölkerung vor, ließ Dörfer in Kamerun und Togo plündern, betrieb Menschenhandel und profitierte vom deutschen Völkermord an den Herero und Nama in Namibia, indem er ein Monopol für die deutsche Truppenbeförderung aufbaute.

Umbenennung beschlossen und – nichts

Bereits seit fünf Jahren kämpft Tilicki mit dem Arbeitskreis Postkolonial dagegen, dass Woermann wie auch der Kaufmann und Senator Justus Strandes – der Tilicki zufolge „vielleicht eine etwas leichtere Nummer als Woermann war, aber als Vertreter der Firma Hansing & Co ebenso ein Budget hatte, territoriale Erwerbungen im heutigen Tansania zu unterstützen, was er auch tat“ – noch heute mit Straßennamen geehrt werden. Eine Veranstaltung in der nach Woermann benannten Straße sollte auf dessen Taten aufmerksam machen. Durch die Linke wurde das Anliegen in den zuständigen Ausschuss gebracht und im April 2019 beschlossen, Woermannsweg und Woermannsstieg umzubenennen.

Passiert ist seitdem ebenso wenig wie bei den anderen Straßen, deren Umbenennung der Arbeitskreis und die Black Community teils schon seit Jahren fordern: die Schimmelmannstraße, die Wissmannstraße, die Dominikstraße und die Walderseestraße.

Alfred Graf von Waldersee war Oberbefehlshaber der internationalen Truppen zur Niederschlagung des „Boxeraufstands“ in China und ignorierte in dieser Funktion das geltende Völkerrecht. Er war verantwortlich für zahlreiche Massaker und Plünderungen in China.

Heinrich Carl von Schimmelmann wurde mit dem transatlantischen Dreieckshandel zwischen Hamburg, der westafrikanischen Küste und den Dänisch-Westindischen Inseln reich, Sklavenhandel war Teil seines Geschäftsmodells. Immerhin verschwand seine erst 2006 in Wandsbek platzierte Büste nach heftigen Protesten nur zwei Jahre später, Verbleib: unbekannt.

Massaker und Plünderungen

Hermann von Wissmann und Hans Dominik waren als Truppenführer in Afrika tätig. Dominik war Adjudant der sogenannten „Schutztruppe“ in Kamerun, die den Widerstand der lokalen Bevölkerung brechen und sie zur Zwangsarbeit zwingen sollte. Er leitete als „Strafexpeditionen“ bezeichnete Rachefeldzüge gegen die Bakweri, Wute und Bakoko in Kamerun – und das so brutal, dass sein Vorgehen selbst im Berliner Reichstag auf Protest stieß.

Wissmann war Kommandeur der „Schutztruppen“ und Gouverneur der damaligen deutschen Kolonie, die sich über das heutige Tansania, Burundi, Ruanda und einen Teil Mozambiks erstreckte. Dort agierte auch er so brutal, dass Kolonialoffizieren in den eigenen Reihen es als „äußerst grausam“ verurteilten. Beide erhielten Denkmäler, die zunächst in Kamerun und Tansania und später vor der Universität Hamburg aufgestellt wurden. 1968 wurden sie von Studierenden gestürzt; die Straßennamen bestehen aber weiter.

Der Umbenennungsprozess sei „ein komplizierter Vorgang“, sagt die Hamburger Historikerin und Geschichtspädagogin Frauke Steinhäuser. Zunächst können die Bezirksversammlungen Vorschläge zur Namensänderung vorbringen, dann geht dieser an das Staatsarchiv, das eine historische Expertise erstellt und diese an den Senat verschickt, der letztendlich die Entscheidungen trifft. Besonders im Staatsarchiv dauere dieser Prozess sehr lange, sagt Steinhäuser; innerhalb der nächsten Wochen soll dort jedoch eine neue Stelle zur Aufarbeitung der kolonialen Straßennamen besetzt werden.

Schwierigkeiten bereiten den Initiativen auch Proteste der Anwohner:innen: Steinhäuser berichtet, dass Bestrebungen zur Umbenennung der Walderseestraße zwar von Schüler:innen des anliegenden Gymnasiums Othmarschen und einigen Anwohner:innen begrüßt, von anderen jedoch kritisiert worden seien. Die Gegner argumentierten, dass eine Umbenennung die Geschichte verschleiern würde und ­Adressänderungen Kosten mit sich briächten. Teils beteilige sich aber die Stadt an solchen Kosten, sagt Steinhäuser. Außerdem solle die koloniale Geschichte eben gerade nicht vergessen werden: Die Initiativen fordern darum eine Neubenennung der Straßen zum Beispiel nach antikolonialen Widerstandskämpfern mit erklärenden Tafeln.

„Als erinnerte man an Hitler oder Goebbels“

Statt an die Anwohner:innen solle man daran denken, „was es für die Nachkommen von ehemals Kolonisierten bedeutet, wenn sie durch solche Straßen gehen müssen – zum Beispiel in der Hafencity, wo die Straßen sogar neu benannt wurden“, sagt Steinhäuser. Charlotte Nzimiro beschäftigt sich verstärkt mit der deutsch-afrikanischen Geschichte: „Wenn ich an solchen Denkmälern oder Gedenktafeln oder bestimmten Straßennamen vorbeilaufe, schaue ich eher nach, wer das genau ist. Für mich ist das, als würde es heute noch Straßen geben, die nach Hitler oder Goebbels benannt sind“, sagt sie.

Um die Hafencity Richtung Innenstadt zu verlassen, überquert man die Kornhausbrücke. Auch hier laufen viele Passant:innen an sonnigen Tag entlang, fotografieren die Kanäle und die Speicherstadt. Über ihnen thronen auf den Pfeilern der Brücke Kolumbus und da Gama – überlebensgroß und unbeachtet, aber auch unversehrt. Weltweit werden gerade solche Statuen gestürzt: Die „Black Lives Matter“-Proteste greifen Kolonialsymbole an; auch in Hamburg liegt derzeit viel Aufmerksamkeit auf den kolonialen Statuen und postkolonialen Initiativen. Was, wie Nzimiro sagt, vorher leider wenig Medieninteresse erlangt habe, gelangt nun mehr in die Öffentlichkeit. Vor einigen Tagen wurde auch die Bismarck-Statue im Schleepark mit roter Farbe beschmiert – der Reichskanzler half dabei mit, die kolonialen Grenzen festzulegen, unter denen Afrika bis heute leidet.

Immerhin berief die Hamburger Kulturbehörde im vergangenen Jahr aus Mitgliedern postkolonialer Initiativen und der Black Community einen „Beirat zur Aufarbeitung der Hamburger Kolonialgeschichte“. Hier wird an einem „umfassenden Erinnerungskonzept“ gearbeitet, das auch bestimmen soll, was mit kolonialen Denkmälern und Straßennamen passiert. Am Trotha-Haus, benannt nach dem General, der den Völkermord an den Herero und Nama befohlen hatte, wurden bereits erklärende Tafeln angebracht.

Weitere konkrete Schritte stehen aber noch aus, weil es zwar eine breite Einigkeit, aber unterschiedliche Vorschläge zu Herangehensweisen im Beirat gebe, so Enno Isermann, Sprecher der Behörde. „Es muss auf jeden Fall mehr getan werden“, sagt jedoch Steinhäuser – „schließlich ist noch keine einzige der kolonialen Straßen in Hamburg umbenannt worden!“ Zwar gebe es sehr viele Vorarbeiten und Leute, die sich aktiv für eine Veränderung einsetzten, aber der Prozess verschleppe sich weiter.

Gedenktafel in der Kirche

Dabei gibt es so viel zu tun: Das Afrika-Haus in der Innenstadt ist weiter Woermann gewidmet, in Jenfeld und Ohlsdorf befinden sich Statuen von Gouverneuren und Soldaten aus dem damaligen Deutsch-Ostafrika. In der St.-Michaelis-Kirche wird mit einer großen Gedenktafel der Soldaten gedacht, die „für Kaiser und Reich“ in China und Afrika starben. „Stattdessen gehört da eine Gedenktafel hin, die der wahren Opfer gedenkt“, sagt Nzimiro, „nicht Ausbeutern, Vergewaltigern und Massenmördern“, sagt Nzimiro. Koloniale Denkmäler zögen nicht zuletzt Rechtsextreme an.

Antirassismus fange damit an, „dass man solche Dinge hinterfragt und umbenennt“, meint Tilicki. Es gehe eben darum, „dass in dieser Gesellschaft Menschen unterschiedlicher Herkunft vernünftig zusammenleben“ und sich dabei nicht „an Vorbildern orientieren, die wahrscheinlich noch nie, aber heute erst recht nicht mehr angemessen sind“.

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