berliner szenen
: Lest die richtigen Bücher

Ich komme an meiner Lieblingsbücherkiste am Straßenrand vorbei und werfe wie immer einen Blick hinein. Inzwischen steht anstelle der ehemaligen Gemüsekiste eine professionelle Box aus Plastik, die mit einem Hinweis in alter Schreibschrift versehen ist: Geben und Nehmen. Bitte schließen Sie die Klappe.

Finde ich im übertragenen Sinn witzig. Ich überlege jedes Mal, wem diese Box wohl gehört. Während ich darin stöbere, finde ich eine Biografie über Simone de Beauvoir, Brechts Kalendergeschichten und ein Sachbuch über die jüdischen Salons im alten Berlin von Deborah Hertz. Kommt ja wie gerufen, denke ich erfreut, und schiebe die Bücher in meine Tasche, als ich einen älteren Mann hinter mir bemerke. Er nickt mir zu und sagt: „Ich freue mich, wenn es Ihnen gefällt.“

„Ach“, sage ich neugierig, „ist das denn Ihre Kiste?“

„Nein, nein“, winkt der Mann ab. „Nur diese Bücher da. Aber ich kenne die Dame, die sie aufgestellt hat. Sie hat keinen sehr guten Buchgeschmack“, fügt er hinzu und wackelt mit dem Kopf. Er zeigt in die offene Kiste und sagt: „Sehen Sie, Konsalik und Simmel sind von ihr und die liegen seit Wochen wie Blei.“ Ich nicke. „Das ist mir auch schon aufgefallen.“

„Meine Bücher sind immer sofort weg“, bemerkt er nicht ohne Stolz. „Neulich habe ich aus meinem Fenster beobachtet, wie die Dame eins meiner Bücher mitgenommen hat.“ Er lächelt verschmitzt. Ich lächle mit. „Es war etwas nach ihrem Geschmack“, sagt er, „ich ahnte, dass es das Richtige sein würde.“

„Was war es denn?“, frage ich, und er sagt: „‚Im Wendekreis des Krebses‘ von Henry Miller. Seitdem überprüfe ich, ob sie es wieder zurücklegt. Aber es scheint ihr zu gefallen.“ Ich lache. „Nun ja“, sagt er, „irgendetwas muss man ja tun, damit die Leute die richtigen Bücher lesen.“ Isobel Markus