Ein Leben in den Händen des „Islamischen Staats“

Eine Jesidin berichtet im Hamburger Staatsschutzverfahren gegen die IS-Rückkehrerin Omaima A. von ihrem Martyrium als Sklavin. Die Angeklagte hört gelassen zu

„Ich sage hier nicht aus Wut aus, sondern damit das, was ich erlebt habe, anderen Frauen nicht mehr widerfährt“

Zeugin im IS-Prozess

Von André Zuschlag

Im Prozess gegen das mutmaßliche Mitglied des „Islamischen Staats“ (IS), Omaima A., hat vor dem Hamburger Oberlandesgericht eine Jesidin ausgesagt, die von der Terrormiliz als Sklavin gehalten wurde. Während dieser Zeit habe sie auch die Angeklagte kennengelernt. Über ihr Leben in den Händen des IS sprach die Jesidin von einer „Zeit der Grausamkeiten und Vergewaltigungen“. Ob die Angeklagte auch, wie ihr von der Bundesanwaltschaft vorgeworfen wird, eine 13-Jährige als Sklavin gehalten habe, konnte sie aber nicht sagen.

Dennoch brachte die Aussage der Jesidin erschütternde Details über die Terrorherrschaft des IS zutage. Nachdem der IS 2014 ihr Heimatdorf im Nordirak überfallen hatte, wurde sie nach Rakka verschleppt. Ihr Vater und ihre Brüder sollen erschossen worden sein. Sie selbst sei mehrfach verkauft und vergewaltigt worden. Die Frau des IS-Kämpfers, bei dem sie leben musste, habe sie dann eines Tages zu einem Besuch bei der Angeklagten mitgenommen. Dadurch habe sie Omaima A. kennengelernt.

Der Gegensatz zwischen dem mutmaßlichem IS-Mitglied und der Jesidin könnte kaum größer sein: Hier die 35-jährige Angeklagte im weißen Blazer mit goldenen Knöpfen und rotem Lippenstift, die immer mal wieder Bekannten im Zuschauerbereich zuzwinkert. Dort die heute 29-jährige Jesidin, die von Kriminalbeamten geschützt in den Saal gebracht wird. Sie schaut ernst drein und stellt zwischen den Nachfragen des Verteidigers klar: „Ich sage hier nicht aus Wut aus, sondern damit das, was ich erlebt habe, anderen Frauen nicht mehr wiederfährt.“

Insgesamt dreieinhalb Jahre lang soll die Jesidin vom IS als Sklavin gehalten worden sein. Letztendlich konnte sie sich aus der Gefangenschaft befreien und kam über Umwege 2019 nach Deutschland. Hier lebt sie nun mit einer anderen Identität und unter besonderem Schutz. Auch deshalb fand die Vernehmung unter strengen Sicherheitsvorkehrungen statt.

Der Verteidiger der Angeklagten, Tarig Elobied, versuchte mit diversen detaillierten Nachfragen zu Zeitabläufen und zum psychischen Gesundheitszustand die Glaubwürdigkeit der Zeugin abzuklopfen. Elobied ist mittlerweile ein gefragter Verteidiger von mutmaßlichen IS-Terroristen: Bereits in der Vergangenheit verteidigte er vor Gericht mehrere Terrorverdächtige. Auch der islamistische „Gefangenenbetreuer“ Bernhard Falk empfahl ihn öffentlich.

Die Verteidigung hatte die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft schon zum Prozessauftakt im Mai in Gänze zurückgewiesen. Die Anklage wolle aus politischen Motiven jeden Aufenthalt im früheren IS-Gebiet kriminalisieren, sagte Elobied zu Prozessbeginn.

Die Bundesanwaltschaft wirft der gebürtigen Hamburgerin Omaima A. die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vor. In Mails an Freund*innen in Deutschland habe sie „positiv von ihrem Leben in Syrien und werbend für den IS berichtet“. Darüber hinaus soll die Angeklagte in Syrien ein nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz verbotenes Sturmgewehr besessen haben. Ob sie auch eine vom IS als Sklavin gehaltene 13-jährige Jesidin in ihrem Haushalt beschäftigt habe, ist weiter unklar. Diese ist bislang namentlich nicht auszumachen.

Nach ihrer Rückkehr 2016 lebte Omaima A. zunächst unbehelligt in Hamburg und arbeitete angeblich als Übersetzerin und Eventmanagerin. Zuvor habe sie im IS-Gebiet, in dem sie sich 2015 und 2016 aufhielt, nur ihre Kinder betreut und den Haushalt geführt, wie es ihre Pflicht als Ehefrau gewesen sei, ließ sie über ihren Anwalt mitteilen. Omaima A. war nacheinander die Frau von zwei aus Deutschland stammenden IS-Terroristen, darunter des wohl bekanntesten und einflussreichsten Islamisten Denis Cuspert. Als „Deso Dogg“ war er zuvor vor allem als Gangsterrapper bekannt geworden. Beide sind im Kampf gegen den IS getötet worden.

Dass die Angeklagte überhaupt vor Gericht steht, ist der libanesischen TV-Journalistin Jenan Moussa zu verdanken. Moussa kam über einen Informanten in den Besitz des Handys von A., das sie in Syrien zurückgelassen hatte. Darauf fanden sich Tausende Fotos, die A. im Umfeld des IS zeigen. Diese wurden bereits bei den vergangenen Verhandlungstagen begutachtet. Auch eine weitere deutsche Rückkehrerin, die im vergangenen Jahr vom Oberlandesgericht in Stuttgart wegen ihrer IS-Mitgliedschaft verurteilt wurde, sagte als Zeugin aus. Für den 10. Juli ist der vorerst letzte Verhandlungstermin angesetzt.