Die Wahrheit: Die ovale Wohngemeinschaft

Nach der Wahl des amerikanischen Präsidenten im November 2020 wird es gleich zwei Insassen des Weißen Hauses geben.

Die Präsidenten Nummer 45 und 45,5 der Vereinigten Staaten von Amerika: Trump und Biden Foto: ap

Auf einem Mittelaltermarkt sitzt die alte Wahrsagerin Medusa in ihrem Zelt und blickt – verziert mit glitzerndem Goldschmuck und verborgen unter wallenden Tüchern – ernsten Auges in ihre Kristallkugel und in die Zukunft. Gegen ein kleines Entgelt spricht sie mit nur wenig verstellter Stimme aus, was sie sieht:

3. November 2020:

Für Normalbürger ist die Wahl eindeutig entschieden. Präsident Trump weiß aber aus sicherer Quelle, dass die Ergebnisse gefälscht sind. Deshalb wird er den Teufel tun, aus dem Weißen Haus auszuziehen, um dem Betrüger Joe Biden sein Heim zu überlassen. Präsident Biden fängt schon an, Teppiche im Oval Office auszurollen, nachdem er sich im Schnellverfahren und kleinen Kreis hat vereidigen lassen. Eine Unverschämtheit!

Präsident Trump hat schon mit Jeffrey Epstein, Prinz Blöd und Jabba the Hut jahrelang in einer Wohngemeinschaft gewohnt. Er weiß also, wie solche Kriege ablaufen. Als erstes wird er einfach nicht mehr putzen. Weder seine Zähne noch das Badezimmer. Und den Rest des Weißen Hauses schon gar nicht. Diese Zermürbungstaktik ist aber erst der Anfang, um Präsident Biden das Leben zur Hölle zu machen …

7. November 2020:

Präsident Trump wälzt sich wohlig im Doppelbett. Wie hieß nochmal seine Frau? Und wo ist sie? Egal. Präsident Biden kichert sich ins Fäustchen: Der blonde Trump-Trottel hat tatsächlich Fischöl in seine Hotel-Shampoo-Fläschchen-Sammlung im Badezimmer geschüttet, nur weil er, Biden, sich morgens ab und zu daran bedient hat. Der Idiot vernichtet lieber seine ganze Sammlung, statt ihm ein paar Tröpfchen davon abzugeben. Aber Präsident Biden ist auch nicht dumm: Er wird die ganze Nacht mit einem Hammer gegen die Heizungsrohre schlagen, da kann der Vollidiot Trump lange warten, bis er einschlafen kann, harr, harr …

14. November 2020:

Präsident Biden hat bemerkt, dass Präsident Trump manchmal heimlich von seinen Erfrischungsstäbchen nascht. Dabei sind alle Lebensmittel im Kühlschrank namentlich gekennzeichnet! Na warte! Präsident Biden lässt sich nicht lumpen: Er beauftragt einen FBI-Agenten damit, herauszufinden, ob Präsident Trump eine Katzenallergie hat. In dem Fall würde er eine Katze kaufen. Vorerst aber begnügt er sich damit, die ganze Nacht gegen die Heizungsrohre zu schlagen und Juckpulver in den Wäschetrockner zu streuen, den Präsident Trump für sich allein beansprucht.

15. November 2020:

Präsident Trump muss sich die ganze Zeit kratzen, und er schwört bei Twitter, dass Präsident Biden ihm Juckpulver in die Wäsche gestreut hat. Twitter löscht das Posting. Präsident Trump rastet aus und droht damit, die ganze Erde außer Amerika zu vernichten. Später gibt er verlegen lächelnd zu, es nicht so gemeint zu haben. Aber vergessen sei die Sache nicht …

18. November 2020:

Präsident Biden hat einen durch und durch teuflischen Plan entworfen: Er wird einfach nicht mehr abwaschen! Der Schimmel in der Spüle soll fortan nicht mehr sein Problem sein. Wenn sich der Idiot Trump daran stört, soll er halt ausziehen …

21. November 2020:

Nun ist Präsident Trump aber auch nicht ohne. Das mit den Heizungsrohren hat er mittlerweile begriffen und schlägt jetzt auch die ganze Nacht dagegen. Das ist allerdings nicht seine einzige Strategie, um den unerwünschten Mitbewohner loszuwerden: Er beginnt, frühmorgens Dudelsack zu üben, denn er weiß, dass Präsident Biden gern bis sieben Uhr ausschläft. Präsident Trump schläft eigentlich lieber bis zehn Uhr aus, aber um Präsident Biden zu ärgern, bläst er gern auch mal um sechs Uhr in den Sack.

24. November 2020:

Präsident Biden ist langsam ein bisschen genervt: Präsident Trump lüftet nach seinen Toilettenbesuchen absichtlich nicht. Und er hängt keine neue Rolle in den Klopapierhalter, wenn er eine aufgebraucht hat. Und er verbraucht verdammt viel Klopapier! So viel Klopapier, wie Präsident Trump in einer Woche verbraucht, hat Präsident Biden in seinem ganzen Leben noch nie gesehen. Es wird langsam unerträglich im Weißen Haus.

28. November 2020:

Präsident Trump sieht Licht am Ende des Tunnels: Nein, doch nicht …

30. November 2020:

Präsident Biden dreht bald durch: Präsident Trump ist offensichtlich dazu übergegangen, mitten in der Nacht mit einem Presslufthammer Löcher ins Oval Office zu schlagen! Seine fadenscheinige Begründung: Terror-Abwehr. Und bessere Belüftung. Außerdem hat er der Tierschutzorganisation Peta erlaubt, eine Schrei-Raupen-Zucht im Weißen Haus zu betreiben, und er hat zugelassen, dass ein australisches Unternehmen Probebohrungen nach Seltenen Erden im gemeinschaftlichen Wohnzimmer vornimmt. Das ist doch alles nicht mehr normal!

6. Dezember 2020:

Der 45. Präsident der USA und der 45,5. Präsident der USA versuchen, sich aus dem Weg zu gehen. Angespannt horchen sie – verbarrikadiert in ihren Zimmern – auf jedes noch so leise Lebenszeichen des Kontrahenten. Das ist doch irgendwie kein Leben mehr, wenn man sich nicht mal mehr traut, den Müll und das Altpapier runter zu bringen. Vom gelben Sack ganz zu schweigen. Beide Präsidenten haben keine Socken in den Kamin gehängt, weshalb der Nikolaus sie ignoriert. Beide sind sehr enttäuscht.

12. Dezember 2020:

Präsident Trump geht heimlich, still und leise unter die Dusche. Präsident Biden hört es trotzdem und regt sich jetzt schon über die unvermeidlichen Trump-Haare im Abfluss auf.

12. Dezember 2020, 23.15 Uhr:

Präsident Biden geht auch duschen. Das wurde auch mal wieder Zeit. Bis 2024 nicht zu duschen, wäre wahrlich kein Zuckerschlecken.

Hier bricht Medusa ihre Wahrsagerei ab. Sie ist vollkommen erschöpft. Nicht jeden Tag muss sie so viel hellsehen, um ihr karges Brot zu verdienen.

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kari

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