Subtil gegen rechts

Der FC St. Pauli ruft dazu auf, mit antifaschistischen Botschaften durch Hamburg zu joggen, weil der Lauf gegen rechts coronabedingt ausfällt. Unser Autor hat mitgemacht

Wie Schleichwerbung im Alltag, nur für Antifaschismus: Moritz Klindworth an der Alster Foto: Jannis Große

Von Moritz Klindworth

Wenn ich an die RechtsextremistInnen denke, die sich bei den sogenannten Hygienedemos unter die DemonstrantInnen gemischt haben, um Stimmung gegen unsere Gesellschaft und die Demokratie zu machen, werde ich wütend. Diese Leute nutzen gerade die Angst der Menschen vor dem Coronavirus aus, um ihre Ideologie wie Gift zu verbreiten. Wochenlang habe ich das mit angesehen, jetzt habe ich ein Ventil für meine Wut gefunden – einen einsamen Lauf gegen rechts.

Eigentlich wollte der FC St. Pauli in diesem Jahr den neunten Lauf gegen rechts um die Hamburger Außenalster veranstalten. Wegen Corona ist so eine Massenveranstaltung aber nicht möglich. Deshalb ruft der Verein dazu auf, bis Ende Juni auf eigene Faust mit dem Veranstaltungs-Shirt joggen zu gehen und Fotos davon in den sozialen Medien zu posten. 4.300 Menschen haben sich schon angemeldet. Einer von den 4.300 bin ich.

Ich ziehe mit einem Freund los. Es ist Mittwoch, 19.30 Uhr. Unser Treffpunkt ist nahe der amerikanischen Botschaft. Die Wege sind mit SpaziergängerInnen überfüllt. Wir sind in dieser Menge auf den ersten Blick nicht als Demonstranten zu erkennen. Wir haben keine Fahnen oder Plakate dabei, aber auf meinem T-Shirt steht gut sichtbar „Refugees Welcome“ und „Fight Facism“. Manche Passanten schauen neugierig auf den Schriftzug am Oberkörper. Ich lächele sie dann freundlich an und fühle mich ein bisschen wie eine Litfasssäule für die gute Sache.

Wenn in den nächsten Wochen 4.300 Menschen überall in Hamburg mit diesem T-Shirt joggen, ist das vielleicht sogar wirkungsvoller als der große Lauf, der nur an einem Tag stattgefunden hätte, denke ich, als wir Richtung Kennedy-Brücke laufen und dabei SpaziergängerInnen ausweichen.

Die Sprüche auf den Shirts wirken vielleicht wie Schleichwerbung und sickern, wenn sie einem häufig genug im Alltag begegnen, ins Bewusstsein derjenigen, die ihren Alltagsrassismus noch nicht reflektieren. Zigeunerschnitzel? Das wird man doch wohl noch sagen dürfen! Äh, nein.

Wir sind 4.300 Mitglieder einer antifaschistischen Sport-Guerilla, die nur kleine Zeichen setzt. Aber ich glaube an kleine Zeichen.

Die Coronapandemie hat uns Menschen in einen Zustand der Passivität gezwängt. Der Lauf gegen rechts gibt einem die Möglichkeit, wieder selbst zu handeln. Für mich war es geradezu erlösend, als mein Freund mich fragte, ob ich mitmachen möchte. Es wäre das falsche Signal gewesen, wenn St. Pauli einfach die ganze Veranstaltung gecancelt hätte. Es ist wichtig, gerade jetzt das Problem der gesellschaftlichen Spaltung zu thematisieren.

Umgeben von all den SpaziergängerInnen fühle ich mich mit meinem Shirt wie eine Litfasssäule für die gute Sache

Die Hälfte der 7,4 Kilometer langen Strecke ist geschafft. Wir laufen an der blauen Moschee vorbei. So langsam wird es leerer auf den Wegen. Wenn die Sonne scheint, hält es kaum jemanden noch in der Wohnung aus. Viele hat es nach draußen gezogen, aber jetzt wird es langsam spät.

So ein Lauf, das merke ich auch an mir selbst, ist nicht nur politisch sinnvoll, er ist auch gut für das innere Gleichgewicht, die psychische Gesundheit. Durch Corona habe ich mich mehr und mehr Zuhause eingesperrt gefühlt. Jetzt fokussiere ich mich auf mein Ziel, atme gleichmäßig und bekomme den Kopf frei.

Angst vor einer Ansteckung mit Corona muss ich bei meinem Einzel-Protest-Lauf auch nicht haben. Der FC St. Pauli schreibt extra: „Verabredet Euch nicht in großen Gruppen! Haltet Abstand!“

Die amerikanische Botschaft ist wieder in Sichtweite. Wütend bin ich noch immer, aber ich bin froh, dass ich dagegen aktiv geworden bin. Mein Shirt trage ich beim nächsten Mal Joggen auf jeden Fall wieder. Die anderen 4.300 Guerilla-SportlerInnen hoffentlich auch. Wir verändern etwas im Kleinen.