Was taugt das größte Konjunktur­paket aller Zeiten?

Die SPD hat viel erreicht, die CSU Unerwartetes vorgeschlagen und Bundeskanzlerin Angela Merkel routiniert verwaltet. Das Konjunkturpaket der Großen Koalition umfasst 130 Milliarden Euro. Die taz hat sich die wichtigsten Punkte angesehen

Ist der leere Einkaufskorb bald passé. Das 130-Mil­liarden-Euro Konjunkturpaket von Union und SPD, das den Konsum ankurbeln soll, lässt hoffen Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa

Von Ulrike Herrmann, Malte Kreutzfeldtund Stefan Reinecke

Es ist das größte Konjunktur­paket, das in der Bundesrepublik je verabschiedet wurde. Umfang 130 Milliarden Euro mit 60 Maßnahmen. Es soll die Wirtschaft schnell wieder in Schwung bringen, aber auch die Digitalisierung und den Ökoumbau beflügeln.

Auch den Konsum soll die Senkung der Mehrwertsteuer für ein halbes Jahr anregen. „Kauft jetzt“, lautet die Botschaft der Stunde. Sie kostet den Staat 20 Milliarden Euro an Steuerausfällen.

Die noch immer von der Pandemie hart getroffenen Dienstleistungsbranchen sollen mit bis zu 25 Milliarden Euro unterstützt werden. Das sind vor allem Gaststätten, Hotels, Bars, Reisebüros, Schausteller etc. Der Staat zahlt bis zu 80 Prozent der Betriebskosten von Clubs und anderen Lokalitäten. Soloselbstständige können bis zum Herbst weiterhin ohne die üblichen Prüfungen Geld der Grundsicherung beantragen. Das wird sicher nicht alle Pleiten verhindern, schafft aber ein Netz. 50 Milliarden Euro sollen für Forschung lockergemacht werden – vor allem für die ökologisch nützliche. Damit der Strompreis nicht steigt, rückt der Staat 11 Milliarden Euro raus. Und: Wenn die Krise nicht schnell vorbeigeht, will die Groko im Herbst das Kurzarbeitergeld von einem auf zwei Jahre verlängern.

Das Echo bei Gewerkschaften und Unternehmern, Sozial- und Umweltverbänden auf das Konjunkturpaket ist eher freundlich. Auch die Grünen (siehe Interview mit Toni Hofreiter auf Seite 3) sehen darin eher Positives als Negatives. Es gibt Kritik an einzelnen Maßnahmen oder dem, was fehlt – doch kaum komplette Verrisse. Überraschend skeptisch klingen da gewerkschaftsnahe Ökonomen wie Sebastian Dullien und der IG-Metall-Chef Jörg Hofmann, die eigentlich keynesianistische Programme wie das Konjunkturpaket befürworten. Beide zweifeln, ob die befristete Senkung der Mehrwertsteuer wirklich beim Verbraucher ankommt und ob die kurzfristigen Konjunkturimpulse des Paketes – wie der 300-Euro-Kinderbonus – ausreichen, um die Nachfrage in Schwung zu bringen.

SPD und Union betonen zwar, dass dies ihr gemeinsames Projekt ist. Doch es gibt politische Gewinner und Verlierer. Die CSU wollte eine Abwrackprämie für Autos. Die Union wollte den Soli für Reiche abschaffen und das Paket auf 100 Milliarden Euro begrenzen. Und hat nichts davon durchgesetzt.

Auch die SPD hat Kompromisse gemacht oder Ideen begraben. Dass Hartz-IV-Empfänger einmalig 100 Euro bekommen, ist an der Union gescheitert. Etwas komplizierter sieht die Sache bei den Altschulden der armen Kommunen aus. Finanzminister Olaf Scholz und die SPD-Spitze haben diese Forderung sehr weit nach vorne gerückt. Ihr Plan war es, dass Bund und Länder die Altschulden von armen Kommunen übernehmen: Volumen 45 Milliarden Euro. Ein trockenes, aber wichtiges Thema. Die Union war hart dagegen. Sie wollte nur den Einbruch bei Gewerbesteuern für die Kommunen auffangen (6 Milliarden Euro) und dass der Bund den Kommunen Hartz-IV-Kosten abnimmt (4 Milliarden Euro ).

Die Altschuldenübernahme gibt es also nicht. Das Ergebnis sieht wie ein Sieg der Union aus. Aber: Der Bund trägt die 4 Milliarden Euro Hartz-IV-Wohnkosten, die besonders arme Kommunen belasten, nicht bloß für ein Jahr, sondern für immer. Der Städte- und Gemeindetag findet das Ergebnis brauchbar. Und die SPD kann die Übernahme der Altschulden weiter auf die Tagesordnung setzen.

Insgesamt trägt das Paket also die Handschrift der SPD. Der 300-Euro-Kinderbonus, der das Projekt von Scholz und Giffey ist, kommt. Insgesamt verströmt das Paket die Botschaft: Viel Geld für viele.

Funktioniert das Konjunktur­programm als Konsumanreiz?

Schon die Reihenfolge macht klar, welche Maßnahmen der Koalition am wichtigsten sind. Punkt eins ist: Die Mehrwertsteuer wird von Anfang Juli bis Ende Dezember 2020 gesenkt. Der normale Satz fällt von 19 auf 16 Prozent, der ermäßigte Satz von 7 auf 5 Prozent. Die Steuerausfälle werden auf beachtliche 20 Milliarden Euro beziffert.

Die Regierung hofft, dass die Unternehmen ihre Preise entsprechend senken. „Wir machen sehr deutlich, dass wir erwarten, dass es eins zu eins weitergegeben wird“, mahnte CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer am Donnerstag. Allerdings zeigt die Vergangenheit, dass Senkungen bei der Mehrwertsteuer nicht unbedingt bei den Kunden ankommen. Bestes Beispiel sind die Hotels: Im Januar 2010 wurde die Mehrwertsteuer für Übernachtungen von 19 auf 7 Prozent gesenkt – die Preise fielen jedoch nicht. Stattdessen nutzten die Hoteliers die Gelegenheit, ihre Gewinne zu erhöhen.

Diesmal dürften die Preise aber in Branchen fallen, die hart umkämpft sind und deren Güter so teuer sind, dass ein Steuernachlass von 3 Prozent spürbare Effekte hat. Paradebeispiel ist die Autobranche. Wenn ein Neuwagen 40.000 Euro kostet, beträgt die Steuererleichterung 1.200 Euro. Da die gesenkte Mehrwertsteuer auf ein halbes Jahr begrenzt ist, lohnt es sich also, den Autokauf vorzuziehen und bis Dezember abzuwickeln. Ähnliche Effekte können auch bei Möbeln oder teuren Kleidern eintreten. Die vorübergehende Senkung der Mehrwertsteuer wirkt also wie eine Art branchenübergreifende Abwrackprämie.

Konsumiert wird nur, wenn die Bevölkerung genug Geld hat. Daher wurde eine „Sozialgarantie 21“ beschlossen: Die Sozialbeiträge sollen nicht steigen, obwohl bei den Sozialversicherungen durch die Coronapandemie große Lücken klaffen. Diese Löcher will die Regierung stopfen, was 2020 etwa 5,3 Milliarden Euro kostet. Von dieser Regelung profitieren auch Unternehmen, da sie knapp die Hälfte der Sozialbeiträge zahlen. Ein wichtiger Konsumanreiz ist der „Kinderbonus“ von 300 Euro. Eltern bekommen ihn für jedes Kind, das noch kindergeldberechtigt ist. Das kommt vor allem Familien mit geringem und mittlerem Einkommen zugute, denn bei Gutverdienern wird der Kinderbonus mit dem steuerlichen Kinderfreibetrag verrechnet. Gleichzeitig dürfen Hartz-IV-Empfänger den Kinderbonus behalten. Der Kinderbonus dürfte 4,3 Milliarden Euro kosten.

Das Risiko für die Regierung ist, dass diverse Milliarden keine Wirkung entfalten. So könnten viele Eltern darauf verzichten, ihre Kinderboni auszugeben, um stattdessen lieber zu sparen, weil die Coronazeiten so unsicher sind.

Die Mehrwertsteuersenkung kam überraschend. Sie tauchte weder im Forderungskatalog der SPD noch dem der Union auf. Markus Söder reklamierte sie flugs für die Union, die SPD für sich. Was ist richtig? Beides. Zwei SPD-Finanzpolitiker, Michael Schrodi und Lothar Binding, hatten kurz vor dem Koalitionsausschuss die Senkung der Mehrwertsteuer gefordert. In den Verhandlungen stellte die Union die Senkungen als Erste zu Debatte – die SPD willigte sofort ein. Das Copyright haben insofern beide.

Ist das Konjunktur­paket sozial gerecht?

Berlin am Mittwoch: Kanzlerin Merkel und Vizekanzler Scholz stellen das jüngste Corona-Hilfspaket vor Foto: Thomas Imo/photothek

Im Prinzip ja, jedoch hätte es noch ausgewogener sein können. Der Kinderbonus nutzt den Ärmeren und nicht den Reichen. Die SPD wollte zudem 100 Euro für Hartz-IV-Empfänger erkämpfen und scheiterte an der Union. Für den Fall, dass die Krise sich doch verschärft, soll das Kurzarbeitergeld auf zwei Jahre verlängert werden. Arbeitsminister Heil (SPD) soll dazu im Herbst einen Plan vorlegen.

Ist das Paket gendergerecht?

Man muss die Genderaspekte im Programm schon suchen. Bemerkenswerterweise aber kommt ein Impuls dafür von der CSU. Alleinerziehende zahlen 2020 weniger Steuern, weil sie besonders unter den Pandemiefolgen leiden (Kosten für den Staat: 750 Millionen). Geboren wurde die Idee wohl aus dem CSU-typischen Reflex, neben die SPD Forderung nach 300 Euro pro Kind etwas Eigenes zu platzieren. Dass der CSU die Alleinerziehenden als Erstes einfielen, zeigt, wie weit sie sich von altdeutschen Familienbildern gelöst hat. Pflegeberufe spielen in dem Paket keine Rolle. Das Argument: Der Bundestag hat schon einen Bonus beschlossen, über einen Tarifvertrag wird verhandelt.

Wie ökologisch ist das Paket ansonsten?

Auch außerhalb des Verkehrssektors nimmt die Regierung mehr Geld für Klima-Projekte in die Hand: So werden etwa die Mittel für das CO2-Gebäudesanierungsprogramm 2020 und 2021 um jeweils 1 Milliarde auf 2,5 Milliarden Euro aufgestockt. Beim Ökostrom-Ausbau wurde dagegen nur die bereits kürzlich erzielte Einigung bestätigt. Und bei der Wasserstoff-Strategie, über die die Regierung schon länger streitet, fällt die Einigung wenig ambitioniert aus: Hier schwenkten Union und SPD nun auf den Kurs des CDU-geführten Wirtschaftsministeriums ein, das in Deutschland nur halb so viel Wasserstoff produzieren will wie SPD und Forschungsministerium gefordert hatten (siehe auch Seite 9).

Eine wichtige Veränderung gibt es bei der sogenannten EEG-Umlage, mit der der Ausbau von Ökostrom-Anlagen finanziert wird: Diese soll künftig nicht weiter steigen – was unter anderem aufgrund des niedrigen Stromverbrauchs durch die Coronakrise befürchtet wird – sondern von aktuell 6,8 Cent pro Kilowattstunde im Jahr 2021 auf 6,5 und im Jahr 2022 auf 6 Cent pro Kilowattstunde sinken. Bis zu 11 Milliarden Euro aus dem Haushalt sollen dafür aufgewendet werden. Das entlastet nicht nur private Verbraucher und Unternehmen; vor allem gilt ein Absenken des Strompreises als zentraler Hebel, um im Verkehr und beim Heizen den Umstieg von fossilen Kraftstoffen auf Strom wirtschaftlicher zu machen. Damit profitieren Konjunktur und Klima von dieser Maßnahme gleichermaßen.

Hat sich die Autobranche mal wieder durchgesetzt?

Nein. Die beste Nachricht am Konjunkturpaket ist nämlich etwas, das nicht drinsteht: Die Abwrackprämie, mit der der Kauf normaler Benzin- und Dieselfahrzeuge gefördert worden wäre. In den letzten Wochen hatten nicht nur Umweltverbände gegen diese Forderung der Autoindustrie protestiert; auch in der Union gab es Zweifel am Sinn der Prämie, in der SPD starke Zweifel.

Nun kommt die umstrittene Prämie tatsächlich nicht. Zwar können durch die allgemeine Mehrwertsteuersenkung natürlich auch Neuwagen mit Verbrennungsmotor günstiger angeboten werden, aber eine gesonderte Subvention gibt es dafür nicht. Stattdessen werden Autos mit hohem CO2-Ausstoß durch eine Umstellung der KfZ-Steuer sogar teurer.

Ganz leer geht die Autoindustrie aber trotzdem nicht aus: Für „Zukunftsinvestitionen“ der Autobranche werden 2 Milliarden Euro bereitgestellt. Weiteres Geld ist für die Forschung und Entwicklung im Bereich der Elektromobilität und die Batteriezellfertigung vorgesehen. Und bei der Kaufprämie für Elektroautos verdoppelt der Staat seinen Anteil. Für Batterie-Fahrzeuge mit einem Kaufpreis von unter 40.000 Euro etwa steigt sie damit von 3.000 auf 6.000 Euro. Auch der Bonus für Plug-in-Hybride, also Autos mit Benzin- und Elektromotor, die an der Steckdose geladen werden können, soll offenbar steigen. Das stößt auf Kritik von Umweltverbänden. Sie bemängeln, dass diese Fahrzeuge oft kaum elektrisch gefahren werden und daher wenig Umweltnutzen bieten. Die Hybrid-Förderung sei „staatlich gedeckte Verbrauchertäuschung“, kommentierte etwa der BUND-Vorsitzende Olaf Bandt.

Was passiert im öffentlichen Verkehr?

Auch der öffentliche Verkehr bekommt mehr Geld. Für die Bahn erneuerten Union und SPD die Zusage, das Eigenkapital um 5 Milliarden Euro aufzustocken – was das Finanzloch allerdings nur zur Hälfte füllt. Zur Unterstützung des ÖPNV werden die Regionalisierungsmittel einmalig um 2,5 Milliarden Euro erhöht. Der Thinktank Agora Verkehrswende sieht die Pläne im Verkehrsbereich insgesamt positiv. „Wir finden viele unserer Forderungen darin wieder“, sagte Sprecher Philipp Prein der taz. Auch die Allianz pro Schiene zeigte sich zufrieden: Das Paket sei „ein wichtiger Beitrag, um der klimafreundliche Schiene durch die Krise zu helfen und sie für die Zukunft zu stärken“, sagte Geschäftsführer Dirk Flege.