Comeback das Campings: Im Bulli um die Welt

Camping ist beliebter denn je. Doch die, die heute mit ihrem Van durch die Welt fahren, unterscheiden sich stark von ihrer Elterngeneration.

Milchstrasse und Sternenhimmel, Berge und ein von innen beleuchteter Van

Die Campingkultur lag lange zwischen Dosenravioli auf Usedom und Hippie-Erbe Foto: David Hanson/Aurora/imago

Es ist nicht so sehr eine Handlung, sondern ein Gefühl, wenn man losfährt. Wenn der Motor unseres alten Steyr, der 1970 als Militär-Lkw geboren wurde und jetzt ein Wohnwagen ist, mühselig brummt und rattert. Menschen schreiben oft, loszufahren sei ein Gefühl von Freiheit, aber das ist zu groß gesagt, für mich ist es eines von Befreiung. Freiheit ist das, worüber man am Ende vielleicht lernt.

Der Mensch wurde als Nomade geboren, die meisten Leute haben das verdrängt. Und wir können es uns ökonomisch nicht erlauben, uns daran zu erinnern. Aber wer einmal über Monate reist, erinnert sich. „Wer sich nicht bewegt, spürt seine Fesseln nicht“, wird als Sinnsprüchlein Rosa Luxemburg zugeschrieben, wahrscheinlich hat sie es nie gesagt.

Wer sich bewegt, sich mit Neuem konfrontiert, auf Reisen herausgefordert genießt, beginnt wieder zu leben, statt einen lebenslangen Halbschlaf mit Arbeit als Fokus zu führen. Diese Befreiung kann man auch auf tausend andere Arten erleben als im Camper. Wir erleben sie so.

Auch unterwegs lässt sich Geld verdienen

Camping ist eigentlich ein zu kleines, zu blödes Wort dafür. Leben im Wohnwagen fühlt sich richtig an. Wir haben nie einen Plan, wohin es ­gehen soll, nur eine vage Richtung und ein Land. Wir bleiben, wo es uns gefällt und solange es uns gefällt, die Zeit fließt. Viel Kohle ist keine Bedingung für dieses Leben, und unterwegs Geld verdienen lässt sich auf fast jede Art. Aber es braucht die sehr bürgerliche Überzeugung, dass wir schon nicht so tief fallen, wenn wir fallen. Der Mut zum Risiko, den man sich leisten können muss, macht Freiheit zu einer Klassenfrage.

Camping

Aktuell ist die Lage coronabedingt kompliziert. „In jedem Bundesland, teilweise sogar auf Landkreis-Ebene sind die Regelungen für Campingplätze unterschiedlich und ändern sich alle paar Tage“, sagt Christian Günther, Geschäftsführer des Campingverbandes BVCD. „Wir kommen selbst nicht mehr hinterher mit der Übersicht.“ Die Bandbreite reiche von Hessen, wo nur die gängigen Hygieneregeln und Masken in geschlossenen Räumen vorgeschrieben seien, bis hin zu Schleswig-Holstein, wo die Duschen in den Sanitärgebäuden auf Campingplätzen geschlossen sind. Der Verband rät deshalb, beim jeweiligen Campingplatz direkt anzufragen.

Hilfreiche Apps

Neben den Klassikern der Camping-/Stellplatzsuche von ADAC und Promobil empfiehlt sich park4night; unter Weltreisenden im eigenen Fahrzeug ist die Universalapp iOverlander beliebt. Landvergnuegen (nur in Verbindung mit einer gültigen Mitgliedschaft) ist wichtig für die Stellplatzsuche auf landwirtschaftlichen Höfen mit Direktvermarktung. Wer gern wandert und radelt, hat eine große Auswahl. Schön und gut zu bedienen ist die mapout.app. Für mehr Freizeitaktivitäten und aufwendige Tourenplanungen empfiehlt sich outdooractive.

Die Campingkultur, die lange Zeit irgendwo zwischen Dosenravioli auf Usedom und Hippie-Erbe lag, hat in den letzten Jahren ein überwältigendes Comeback unter jungen Leuten erlebt, einer bestimmten Klientel: wohlbehütet aufgewachsen, irgendwie alternativ und ermüdet von Kapitalismus und Konsum, Ende zwanzig, Anfang dreißig und oft in einer Position, sich den Rückzug vom Produktivitätsdiktat leisten zu können.

Unter 10.000 Euro geht auch für ein gebrauchtes Expeditionsmobil nichts. Andere bewegen sich mit Motorrad, Bulli, Fahrrad oder trampen um die Welt. Mal spießig, mal ungeplant, viele in nai­ver Verklärung des Fremden und selbstdarstellend, andere kritisch und aufgeweckt, halb ausgespuckt vom System. Jede Generation hat ihre Aus­steigerInnen, und deren Motive sagen viel über unsere Gesellschaft.

Das Leben im Van als Lebensgefühl

Lena Wendt und Ulrich Stirnat, deren Reisefilm „Reiß aus“ 2019 ins Kino kam, brachen nach Burnout-Erfahrung auf. Lena Wendt sagt in einem Gespräch zum Film: „Vor der Reise habe ich das gemacht, was man halt macht, war produktiv, funktionierte, passte ins System. Ich glaube, das geht vielen so. Wir tun etwas, was uns gar nicht entspricht, weil wir verlernt haben, auf unsere Gefühle zu hören.“

Die Schauspielerin Maria Ehrich, die den Film „Leaving the Frame“ über ihre Weltreise drehte, sagt in einem Interview: „Ich glaube, dass es ­weniger ein Trend ist als vielmehr das Bedürfnis der Menschen, sich weiterentwickeln zu wollen. Wir stecken von klein auf in Hamsterrädern und kommen meist nicht aus ihnen heraus, bis wir alt und grau sind. Das liegt aber nicht in unserer menschlichen Natur. Wir entwickeln uns ständig weiter, und wenn wir das nicht können, dann brechen wir irgendwann aus.“ Wohnmobile als Therapie für Wohlstandskinder?

Langsames Reisen wird immer beliebter

So einfach ist es nicht. Viele aus der vielleicht neuen Vagabunden-Generation sind interessanterweise einerseits angepasst, konform. Sie verstehen es, ihr (meist zeitweises, gelegentlich permanentes) van life mit professionellen Reisefilmen zu vermarkten, sich auf Social Media zu verkaufen, so richtig ausgestiegen sind sie nicht. Erstmals existiert eine Gleichzeitigkeit des Aussteigens und Drinbleibens. In der Sehnsucht nach dem vermeintlich einfachen Leben in der Natur und der naiven Romantisierung ärmlichen Dorflebens treffen sich unangenehme Züge von bauchnabelschauendem Hippietum mit moralisierend-spießigem Konservatismus.

Aber andererseits ist da viel mehr. Eine durchaus europäische Generation mobiler Mittel­schicht­lerInnen, die neugierig ist. Die mit Begegnungen Grenzen durchbricht, sich nicht mehr erzählen lässt, dass wir mit denen da nichts zu tun hätten. Wer backpackt und trampt, ist immer von anderen abhängig. Mit dem Steyr aber können wir überallhin. Unser Steyr schafft höchstens 75 Stundenkilometer, Autobahnen sind für uns nutz- und sinnlos.

Über „Die Entdeckung der Langsamkeit“ schrieb Sten Nadolny, sein semi-fiktiver Protagonist ist John Franklin, natürlich ein Entdecker. Abenteuer erlebt man selten bei Tempo 200. Man erlebt sie, wenn man nicht danach sucht. Mein Freund sitzt dann hinter dem Steuer, ich schaue auf die Landkarten, und wir beide sind glücklich in der Gegenwart. Bewegung macht innerlich ruhig.

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