Chef der Verbraucherzentrale über Autos: „Prämie würde zum Bumerang“

Werden VerbraucherInnen mit Boni zum Kauf eines Verbrennerautos animiert, zahlen sie langfristig drauf, sagt Klaus Müller.

Ein SUV fährt bei einer Protestaktion über Fahrräder

Proteste gegen die Abwrackprämie Anfang Mai in Berlin Foto: Christian Ditsch

taz: Herr Müller, am Dienstag berät der Koalitionsausschuss über eine Abwrackprämie. Auch Autos mit Verbrennermotor sollen profitieren. Fürs Klima wäre es zwar schlecht, für Verbraucherinnen und Verbraucher aber prima, oder?

Klaus Müller: Nein. Das würde zu einem Bumerang werden. Wenn SUVs und ähnlich große Autos tatsächlich in den Genuss dieser Subvention kommen, bedeutet das: Als Gesellschaft werden wir ein größeres Problem haben, unsere Ziele für eine CO2-Minderung zu erreichen. Aber auch für die Verbraucherinnen und Verbraucher gibt es Nachteile. Denn in den kommenden Jahren wird das CO2-Thema wichtiger werden. Unter anderem dürfte Benzin teurer und die Kfz-Steuer ökologisiert werden. Wer sich jetzt mit staatlichem Geld und Segen ein CO2-unfreundliches Auto gekauft hat, wird sich fragen: Wieso hat es einen Scheck der Kanzlerin für dieses Auto gegeben?

Die Käuferinnen und Käufer von Verbrennerautos zahlen also langfristig drauf?

Ja, Maßnahmen zur CO2-Minderung sind schon längst beschlossen. Wenn eine Autoprämie für Verbrennungsmotoren entgegen unserer Empfehlung doch kommen sollte, muss sie an Klimaverträglichkeit gekoppelt werden.

49 ist Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbands. Von 2000 bis 2005 war der 49-Jährige Grünen-Umweltminister in Schleswig-Holstein.

Und wie?

Den höchsten Fördersatz dürfen nur Fahrzeuge erhalten, die maximal 95 Gramm CO2 pro Kilometer ausstoßen. Autos mit mehr als 105 Gramm CO2 pro Kilometer sind in keinem Fall förderfähig. Übrigens müssen Mittel in gleicher Höhe für eine Umstiegsprämie bereitgestellt werden – das wäre ein Zuschuss von 250 Euro für den Kauf eines Fahrrads, den Abschluss eines ÖPNV-Abos oder als Carsharing-Guthaben.

Werden Klimaschutz und Verbraucherschutz gegeneinander ausgespielt?

Es gibt auf jeden Fall die Tendenz dazu. Gerade jetzt in der Coronakrise wird sichtbar, dass kurzfristige und langfristige Interessen miteinander kollidieren. Langfristig sind alle für Klimaschutz. Doch dann heißt es: Aber das Thema ist heute nicht ganz so wichtig wie … Und dann kommt eine lange Serie von anscheinend wichtigeren Themen – die Autoindustrie, die Arbeitsplätze in den fossilen Indus­trien, die Wettbewerbsfähigkeit. Das sind viele, auch legitime Punkte. Aber: Hier wird eine Abwägung getroffen, bei der der kurzfristige Gewinn und kurzfristige Bequemlichkeit übergewichtet werden.

Viele Verbraucherinnen und Verbraucher sind derzeit empört, dass sie ihr Geld nicht zurückerhalten, das sie beispielsweise für Reisen überwiesen haben.

In der Tat war die Frage der Zwangsgutscheine in den vergangenen Wochen unser größtes Thema bei den Beschwerden. Zehntausendfach haben sich Betroffene an unsere Beratungsstellen gewandt. Es war eine Initiative der Bundesregierung, bei Reisen, Flügen oder Veranstaltungen die Vorkassenleistungen der Verbraucherinnen und Verbraucher in Zwangskredite umzuwandeln. Damit bleiben die Unternehmen zwar liquide, aber sie haben nicht darüber nachgedacht, dass sie damit mittel- und langfristig das Vertrauen der Kundinnen und Kunden zerstören. Mit den Zwangsgutscheinen werden die Kosten und Risiken der Coronakrise auf die Verbraucher abgewälzt.

Wie sollte ein Konjunkturpaket aussehen, das sowohl verbraucher- als auch klima­freundlich ist?

Die wichtigste Maßnahme, die wir uns in einem Konjunkturpaket wünschen, ist die deutliche Absenkung der Stromsteuer und der EEG-Umlage. Es wäre die sozial gerechteste Form der Entlastung. Gerade Geringverdiener zahlen weit überproportional ihres Einkommens für den hohen Strompreis. Außerdem wäre es ein wichtiges ökologisches Signal. Die Sektorkopplung, also Ökostrom für Mobilität oder für Heizung zu verwenden, würde sich deutlich besser rechnen. Die Senkung der EEG-Umlage und Stromsteuer füllt die Portemonnaies der Verbraucherinnen und Verbraucher und wäre gleichzeitig eine Chance, ökologisch voranzukommen. Sowohl der Umweltsachverständigenrat als auch der Sachverständigenrat der Wirtschaftsweisen schlagen das vor. Es wäre schön, wenn die Bundesregierung sich dafür entscheiden würde, statt eine Abwrackprämie einzuführen.

Sind Konsumgutscheine für Verbraucherinnen und Verbraucher eine gute Idee?

Das wäre nicht unser Vorschlag. Vor dem Hintergrund des Klimaschutzes wären höchstens Konsumgutscheine sinnvoll, die eine ökologische Lenkungswirkung entfalten. Konsumgutscheine sollten nur für Güter eingesetzt werden, die als energiesparsam, ressourcenschonend, ökologisch und nachhaltig ausgewiesen sind – also zum Beispiel mit dem Blauen Engel ausgezeichnet sind. Das ist das bekannteste Umweltsiegel.

Wie sähe eine nachhaltige Verbraucherpolitik aus?

Wir brauchen ehrliche Preissignale. Ökologische Nebenwirkungen müssen am Preis zu erkennen sein, zum Beispiel bei Lebensmitteln oder Mobilität. Außerdem: Die Unternehmen stellen gute Produkt- und Prozessinformationen viel zu selten zur Verfügung, weil es dafür keinen Anreiz gibt. Aber die meisten Menschen haben weder Zeit noch Lust, sich über jeden Umweltaspekt des Konsums zu informieren. Deshalb ist die Politik in der Pflicht, für gute Informationen zu sorgen. Außerdem müssen bestimmte Infrastrukturen zur Verfügung gestellt werden. Wir werden zum Beispiel sehen, dass einer der Krisenverlierer der Coronapandemie der öffentliche Nahverkehr sein wird. Viele Menschen meiden Bus und Bahn aus Angst vor Ansteckung. Wenn alle einen Meter Abstand halten, ist der Bus sehr leer. Wir müssen kreativ werden und uns fragen, ob der klassische Fahrplan mit 10- oder 20-Minuten-Takt noch zeitgemäß ist oder ob wir flexible Formen brauchen. Ein Beispiel sind Angebote on demand, also auf Bestellung, wie es sie etwa in Berlin mit dem Berlkönig und CleverShuttle gibt.

Ehrliche Preissignale – wollen Verbraucherinnen und Verbraucher das?

Es gibt nicht den Verbraucher oder die Verbraucherin, sondern sehr unterschiedliche Interessen. Wir unterscheiden zwischen drei Gruppen: Es gibt die verantwortungsbewussten Verbraucherinnen und Verbraucher, die an Nachhaltigkeit interessiert sind und sich informieren. Dann gibt es die verletzlichen Verbraucher, die mit jedem Euro und Cent rechnen müssen und die sich teurere Angebote wie Ökostrom nicht leisten können. Und es gibt die vertrauenden Verbraucherinnen und Verbraucher, die etwas „bequem“ sind, für die das Thema Nachhaltigkeit fern ihrer Lebenswirklichkeit ist. Für diese Gruppe muss es vor allem niedrigschwellig sein. Sie wird ökologisch handeln, wenn man es ihr deutlich einfacher macht.

Was heißt das konkret?

Es wird nicht die eine Lösung für alles geben. Wir müssen mit einfachen Dingen beginnen. Das sind vor allem gute Verbraucherinformationen. Ehrliche Preise sind schon ein wenig komplizierter und ökologische Infrastruktur – ja, da wissen wir, dass wir einen langen Atem brauchen.

Kritikerinnnen und Kritiker monieren, dass der Verbraucherschutz die Ökologie reichlich spät entdeckt hat und sich lange auf ökonomische Aspekte konzentriert hat.

Man kann seit den 1970er und 80er Jahren viele Beispiele finden, wo der Verbraucherschutz Nachhaltigkeitskriterien einbezogen hat. Zum Beispiel geht der Blaue Engel auch auf den Verbraucherschutz zurück. Aber ich würde selbstkritisch sagen, dass auch der Verbraucherschutz im Spagat zwischen mehreren Zielen steht: Sicherheitsaspekte wie sichere Lebensmittel, sichere Energieversorgung und Bezahlbarkeit sind ganz starke Motive. Diese Bedürfnisse beschäftigen die Verbraucherinnen und Verbraucher besonders stark und stehen häufig zuerst auf ihrer persönlichen Agenda. Ökologie und Klimaschutz sind als Themenfelder dazugekommen und werden zunehmend wichtiger. In den vergangenen Jahrzehnten haben die Verbraucherzentralen mit der Energieberatung einen wertvollen Beitrag zum Klimaschutz geleistet. Und übrigens: Nachhaltigkeit steht von Anfang an in der Satzung des Verbandes. Da müssen wir nicht in Schutt und Asche gehen.

Sie werden als Umwelt- und Verbraucherminister in einer Koalition mit Beteiligung der Grünen gehandelt. Wäre das was?

Ich habe einen traumhaften Job als Verbraucherschützer. Ich finde den grandios. Und ich wünsche mir in der nächsten Bundesregierung eine Verbraucherschutzministerin oder einen -minister, die oder der die Bezahlbarkeit von Produkten und Dienstleistungen mit Nachhaltigkeit und Sicherheit kombiniert. Diese Ministerin oder diesen Minister unterstütze und fordere ich gerne bei der Arbeit.

Aber Sie könnten doch als Minister vieles von dem umsetzten, was Sie fordern.

Das stimmt. Aber ich durfte ja schon mal Minister sein, in Schleswig-Holstein. Das war eine klasse Erfahrung. Die Freiheitsgrade, die ich aber in meinem jetzigen Job habe, sind so traumhaft schön, mich zieht da gar nichts weg.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.