Vom festgefahrenen Tanker winken

Die Deutsche Oper zeigt „Rheingold auf dem Parkdeck“ Open Air für ein kleines Publikum. Geprobt werden konnte nur zehn Tage lang, seitdem die Lockerungen der Coronaregeln dies möglich machten

Am Ende beklagen die Rheintöchter den Raub des Rheingoldes (Karis Tucker, Irene Roberts, Elena ­Tsallagova) Foto: Bernd Uhlig

Von Katrin Bettina Müller

Zwei wichtige Ansagen hatte Donald Runnicles, Generalmusikdirektor der Deutschen Oper Berlin, zu machen, bevor er die Generalprobe des „Rheingold auf dem Parkdeck“ am letzten Mittwoch dirigierte. „Erstens, wir spielen wieder. Zweitens, die Kantine ist geöffnet.“ Das ­Publikum, viele Mitarbeiter:innen der Deutschen Oper und wenige Gäste, murmelte erleichtert.

„Ich vermisse die Arbeit.“ „Wir durften jetzt ‚Dornröschen‘ auf der Hinterbühne vorbereiten. Zweimal die Woche können wir für vier Stunden Arbeit kommen.“ „Mir geht es gar nicht gut.“ Der Smalltalk, bevor es losging, in kleinen Splittern aufgeschnappt, war von Arbeitsentbehrung gezeichnet. Man saß in langen Stuhlreihen, jeweils drei Sitze zwischen einem und dem nächsten Besucher in weißes Papier gepackt. Das verband mit der Bühne, dort standen in weißes Papier verhüllte Requisiten, die am Ende das Rheingold symbolisieren.

Wagners Oper sollte eigentlich von Stefan Herheim inszeniert werden und am 12. Juni Premiere haben. Allein, mit den Proben konnte Anfang Mai gar nicht erst begonnen werden, der Shutdown ließ dies nicht zu. Als kurz nach Pfingsten durch den Senat von Berlin die Erlaubnis kam, unter bestimmten Bedingungen im Freien zu spielen, setzte die Deutsche Oper schnell entschlossen „Rheingold auf dem Parkdeck“ auf den Plan. Bis zur Generalprobe waren zehn Tage Zeit für die halbszenische Einrichtung, die der Regisseur Neil Barry Moss übernommen hat. Dass er der junge Schlaks ist, der während der Generalprobe in den Reihen vor mir hin und her huscht, flüsternd mit den Leuten, die in Partitur und Noten mitlesen, erkenne ich erst, als ich am Tag später auf die Website schaue.

„Eine schöne Überraschung war, wie gut die Akustik hier draußen ist“, merkt Donald Runnicles dann freilich auch noch an. Das Orchester, 22 Musikerinnen, die mit Masken auf die Bühne kommen und sie erst an ihrem Platz abnehmen, ist um ein Vielfaches kleiner als Wagners Originalbesetzung; die Version des Komponisten Jonathan Dove ist kürzer, das Libretto gerafft. Aber fast alle der zwölf Rollen von Göttern, Nixen, Riesen und Zwergen werden von den Sängern vorgetragen, die auch die abgesagte Inszenierung gesungen hätten.

Das hat schon etwas Exklusives, jetzt den australischen Bass Bariton Dereck Welton für knapp hundert Leute als Wotan mit weit tragender Stimme singen zu hören oder dem aufgedrehten Spiel des Tenors Thomas Blondelle als Loge zu folgen. Er ist ein zwielichtiger, lodernder Charakter, über die Bühne irrlichternd wie ein nervöser Underdog, von der Saturiertheit der Götter genervt, weshalb er mit einer bösen Lust in die Scheiße reitet. Damit die ihr Schloss Walhall erhalten, hat er den bauenden Riesen Freia zur Ehe versprochen, natürlich ohne sie vorher zu fragen.

Wie man aus diesem einen falschen Vertrag mit einem neuen Betrug herauszukommen versucht, davon erzählt das Rheingold. Der personalreichen Handlung zu folgen, ist nicht ganz einfach, die Musik allerdings lässt die gewaltigen Emotionen und die Fallhöhe der sich unwiederbringlich in Widersprüchen verheddernden Götter erspüren.

Das Parkdeck hat eine breite überdachte Rampe, auf der das Orchester sitzt, die Bühne ist davor aufgebaut. Die Fenster der angrenzenden Bauten sind miteinbezogen, die räumliche Situation spielt der Inszenierung einige schöne Momente zu, zum Beispiel, wenn die beraubten Rheintöchter mit ihren sirenenhaften Stimmen am Ende am offenen Fenster klagen: „Gebt uns das Gold, gebt uns das Gold! O gebt uns das reine zurück!“

Die räumliche Situation auf dem Parkdeck spielt der Inszenierung einige schöne Momente zu

Zwischendurch hört man Mauersegler und ein Motorradknattern. Man versinkt nie ganz in dieser halbszenischen Inszenierung, sie schüttelt einen nicht so durch wie Wagners Original. Aber irgendwie ist auch das gerade den Zeiten angemessen, vom hohen Bedeutungsanspruch abzulassen und sich stattdessen zu freuen, dass überhaupt etwas geht.

Leider nur für wenige, denn auch wenn alle Vorstellungen von heute bis zum 21. Juni ausverkauft sind, werden sie am Ende knapp 500 Leute gesehen haben. Wenn man nach der Aufführung das Parkdeck wieder verlässt und an den stillen und geschlossenen Foyers des großen Hauses der Oper vorübergeht, spürt man erneut, dass hier ein Tanker fast stillgelegt wurde. Die Aufführung, durch die am Ende der Generalprobe heftige Windstöße von draußen fuhren, ist wie ein Winken von Deck. Wir sind noch da, wir können wiederkommen.

Im regulären Betrieb kosten die Karten zwischen 26 und 136 Euro, die Einnahmeverluste kann das Open Air nicht auffangen. Um eine Spende wird am Ende gebeten.

„Rheingold auf dem Parkdeck“, 18., 19. + 20. Juni 19:30, 21. Juni 18 Uhr auf dem Parkdeck Deutsche Oper, vorher online buchen