Fahrradtouren um Berlin: Entdecken bis zum Badesee

Auf grünen Wegen um Berlin können Neugierige mit dem Rad geschichtsträchtige Industriebauten und lauschige Plätze finden.

Ein Mann sitzt an einem See unter einem Baum. Neben ihm steht ein Fahrrad. Auf dem See sind ein kleines Boot und mehrere Segel.

Raus aus Berlin: Rast am Wandlitzsee Foto: Stefanie Loos

Mal eben übers Wochenende nach Kopenhagen oder Barcelona jetten, weil die Flüge ja fast nichts kosten? In absehbarer Zeit wird das nicht mehr möglich sein. Und auch wenn die Hotels und Pensionen wieder geöffnet sind, wird es auch nicht so einfach sein, ein Quartier für einen Kurzurlaub zu ergattern. Die Alternative? Sich aufs Fahrrad schwingen und ins Umland radeln! Zum Beispiel von Berlin aus nach Brandenburg. Das klingt zwar nicht so glamourös. Aber in Coronazeiten werden ja viele Menschen demütiger und sind schon für kleine Fluchten aus dem Alltag dankbar – die sich dann als gar nicht so unspannend erweisen. Und als erholsam dazu. Vor allem, wenn man gleich von der Haustür aus losradelt.

In unserem Fall ist das Berlin-Wedding. Nur etwa hundert Meter von der gleichnamigen S-Bahn-Station entfernt fließt die Panke. Anders als Spree oder Havel ist die Panke kein strudelnder Fluss, wie das slawische Wort „pankowe“ wörtlich übersetzt eigentlich heißt. Stattdessen ist sie ein unscheinbares Fließgewässer, das sich von den meisten unbeachtet seinen Weg durch den dichtbesiedelten Norden Berlins bahnt. Noch ist es eingezwängt in ein Betonkorsett. „In Zukunft sollen die Ufer renaturiert werden“, sagt Martin, der im Wedding zu Hause ist und unseren inoffiziellen Local Guide abgibt.

Aber auch so ist der Wasserlauf schön anzusehen, wie er sich mitsamt den Parkanlagen als grüner Steifen durch die Stadtlandschaft zieht. An diesem Morgen drehen hier Jogger ihre Runden, junge Männer schieben Kinderwagen vor sich hin, den Blick auf ihr Smartphone geheftet, auf den Bänken sitzen Zeitung lesende Rentner: Idylle pur. Sind wir tatsächlich im Wedding? Kaum zu glauben, würde nicht hier und da ein Papierkorb von Pizzakartons überquellen oder ein verwaister Einkaufswagen herumstehen. Natürlich sind da auch die obligatorischen Graffiti an Häuserwänden. Außerdem tauchen bald die für den Bezirk typischen Industriebauten früherer Zeiten auf, in manchen von ihnen sind Künstlerateliers untergekommen.

Am beeindruckendsten sind die Uferstudios links des Pankeradwegs: 1928 im Stil der Neuen Sachlichkeit aus Klinkerstein errichtet und bis 2007 von den Berliner Verkehrsbetrieben genutzt, bewähren sie sich heute als Zentrum für zeitgenössischen Tanz. Martin schwärmt aber vor allem für die Bibliothek am Luisenbad, die wir zwischendurch passieren. Das Architekturjuwel ist Relikt eines früheren Kinos, das Ende der 1970er Jahre vor dem Abriss gerettet wurde. „Innen ist es lichtdurchflutet, nach hinten raus öffnen sich Panoramafenster zum Lesegarten hin“, erklärt der Insider.

Der Pankeradweg

Der 28 km lange Weg von Berlin nach Bernau startet nahe dem S-Bahnhof Wedding an der Schönwalder Straße. Von Bernau aus führt einen die lokale Ausschilderung weiter ins circa 12 Kilometer entfernte Wandlitz bzw. nach Wandlitzsee. Von dort fährt man mit der Regionalbahn 27 und S-Bahn 2 in einer knappen Stunde zurück nach Berlin.

Fahrradland

Tipps für Radtouren in Brandenburg sind auf der Website von www.reiseland-brandenburg.de zu finden. Auch in Berlin locken abseits von klassischen Radtouren wie dem 160­ Kilometer langen Mauerweg interessante Kieztouren. Beispielsweise die vom Berliner Zentrum Industriekultur entwickelte Tour www.industriekultur.berlin.de. Weitere Strecken­vorschläge sind auf der Website von www.visitberlin.de und deren App going local zu finden.

Radführer

Von Ulrike Wiebrecht ist im via reise verlag erschienen: „Die besten Fahrradtouren rund um Berlin“

Weitere Infos

ADFC Berlin und Brandenburg: www.adfc-berlin.de, www.brandenburg.adfce

Lauschige Wohnstraßen

Nicht ganz so spektakulär ist die Bücherei Pankow im 100-jährigen Bürgerpark, an der wir kurz darauf vorbeikommen. Nicht weit davon entfernt lockt auch noch Pankebuch mit den „schönsten Büchern des Nordens“. Der Bedarf an Lektüre scheint in Pankow überraschend groß zu sein.

Mittlerweile ist es einer der bevölkerungsreichsten Bezirke Berlins. Doch wenn man am Flüsschen entlangradelt, vom Bürgerpark zum Schlosspark und anderen Grünzonen, kann man gut nachvollziehen, dass er einst beliebtes Ausflugsziel der Großstädter war. Noch früher galt es als Sommerfrische von Königin Elisabeth Christine. Als solche wurde zumindest das dortige Schloss Schönhausen deklariert, in das Friedrich der Große seine unerwünschte Gemahlin abschob. Im Jahr 1621 als barockes Herrenhaus errichtet, diente es zu DDR-Zeiten wiederum Wilhelm Pieck als Amtssitz, heute führt ein Museum durch die bewegte Geschichte.

Noch eine Weile durchstreifen wir lauschige Wohnstraßen, radeln am Karpfenteich vorbei, dann wird es kurzzeitig ungemütlich. Der Pankeradweg führt ein Stück an der Autobahn A 114 entlang. Auf der einen Seite dösen Kleingärten und ein „Vogelgnadenhof und Altenheim für Tiere“ vor sich hin, auf der anderen Seite rollt der Verkehr. Zum Glück ist es nicht allzu weit zum nächsten Schlosspark.

Der liegt in Buch, dem nördlichsten Ortsteil von Berlin. Mit seinem Klinik-Campus ist er wichtiger Gesundheitsstandort. Von der einstigen Schlossanlage haben nur die barocke Schlosskirche und die hübsche Parkanlage überlebt, in der jetzt Sonnenhungrige ihre Picknickdecken ausbreiten. Eine gute Idee, hier auch eine Pause einzulegen und sich vom Kiosk einen Coffee to go in die mitgebrachten Becher ausschenken zu lassen, bevor wir weiter durch Siedlungsgebiete nach Zepernik radeln.

Herz statt Hass

Drei Stunden zuvor waren wir noch im dicht besiedelten Wedding, jetzt haben wir die Landesgrenze nach Brandenburg passiert. Tatsächlich wird es jetzt ein bisschen ländlich. Doch die Panke fließt immer noch treu neben uns, während wir ganz gemächlich Bernau entgegenstrampeln. Erst kündigen Autohäuser, dann der Turm der Herz-Jesu-Kirche die fast 900-jährige Stadt an, der der Zweite Weltkrieg übel mitgespielt hat. Hinter dem Steintor empfangen uns Billigläden und Imbiss-Stände, die nicht unbedingt zum Verweilen einladen. Immerhin haben sich ein paar Traditionsinseln erhalten.

Teile der historischen Stadtmauer mit stattlichen Türmen, die mächtige Marienkirche und das Henkerhaus, das heute Heimatmuseum ist. Außerdem sind ausgerechnet hier im Intermedia Arts Museum die sperrigen Video- und Klangkunstskulpturen des Avantgardekünstlers Wolf Kahlen untergekommen. Am Mühlentor fordern wiederum Bernaus Mutbürger auf Spruchbädern „Solidarität statt Ausgrenzung“ und „Herz statt Hass“.

Sollte das die Losung am Ende unserer Tour sein? Von der Panke, die nördlich von Bernau als „episodisches Gewässer“ in Schichtquellen entspringt, haben wir uns bereits verabschiedet. Jetzt könnten wir mit Rad oder S-Bahn nach Berlin zurückfahren. Aber ein bisschen Landschaft und eine nette Bademöglichkeit könnten wir am frühen Nachmittag noch vertragen. „Dann sollten wir nach Wandlitz fahren“, schlägt Martin vor. Also steigen wir noch mal aufs Rad und bewegen uns in Richtung Norden. Der erste Abschnitt entlang der Bundesstraße verspricht nicht gerade vollen Landschaftsgenuss. Dafür liegt ein Stück Unesco-Weltkulturerbe auf dem Weg: das Bauhausdenkmal Bundesschule Bernau.

Mit dem Gebäude verwirklichten Hannes Meyer, Direktor des Bauhauses Weimar, und Hans Wittwer 1927 ihre Idee vom rationalen Funktionalismus. Der Gebäudekomplex, der sich in Eingang, Speisesaal, Aula, einen lichtdurchfluteten Glasgang sowie Internatshäuser und Sporthalle gliedert, wurde einfühlsam in die naturbelassene Umgebung integriert. Wer es von innen sehen will, muss sich allerdings rechtzeitig für eine Führung anmelden.

So steuern wird stattdessen den Liepnitzsee an. Umgeben von dichtem Buchenwald ist er eins der beliebtesten Ausflugsziele der Berliner. Entsprechend stark frequentiert sind die lauschigen Plätze am Ufer und auf der Fähre, die einen regelmäßig zur Insel mit der kultigen Insulanerklause bringt. Dann also weiter zum Wandlitzsee!

Noch mal drei Kilometer geht es durch Mischwald, an kleinen Teichen und Siedlungshäusern vorbei, dann liegt er vor uns, der große, glasklare See. Gegenüber dem Bahnhof – eine weitere Architekturikone, 1928 von Wilhelm Wagner im Stil der Neuen Sachlichkeit erbaut – säumen Strandbad, Surf Center, Jugendherberge und diverse Lokale das Ufer. Endlich finden wir ein Stück Wiese, wo wir die müden Beine ins Wasser halten können. Insgesamt fühlt sich der Tagesurlaub wie ein mehrtägiger Kurzurlaub an – und kostet uns lediglich ein paar Euro für die Rückfahrt mit der Bahn.

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