Italien nach dem Corona-Lockdown: Rom findet einen neuen Rhythmus

Nach mehr als zwei Monaten kehren die Rö­me­r*in­nen langsam zur Normalität zurück. Das Stadtzentrum bleibt leer, doch die Radwege füllen sich.

Eine Frau mit Mundschutz reicht zwei Kaffeetassen unter einer Plexiglasscheibe durch.

Endlich wieder Espresso schlürfen: Café in der Innenstadt von Rom in Coronazeiten Foto: Andrew Medichini/ap/dpa

ROM taz | „Bitte den Fuß heben … und jetzt den anderen, danke.“ Es ist eine Anweisung, die man bei einem Friseurbesuch eigentlich nicht erwartet. Doch am Eingang des Salons werden erst mal die Schuhsohlen mit Desinfektionsspray eingenebelt, auf dass der Kunde das Virus bitte schön nicht hineinträgt.

Auch das ist wohl Teil der „neuen Normalität“, die in Rom am 18. Mai angebrochen ist. Nach mehr als zwei Monaten Pause dürfen die Menschen in Italien zwar wieder so gut wie alles, außer Discos, Konzerte oder Kinos besuchen. Allerdings bringt das allerlei indiskrete Fragen mit sich. „Sind Sie miteinander verwandt und leben Sie im selben Hausstand?“, will die Frau am Telefon auf die Frage hin wissen, ob auf der Terrasse ihres Restaurants wohl noch ein Tisch für zwei frei sei.

Nein, sie macht sich keine Sorgen um den gesitteten Lebenswandel ihrer Gäste – sie will nur wissen, ob sie die zwei Personen nah nebeneinandersetzen darf oder auf Distanz achten muss. Denn theoretisch drohen ihr saftige Geldbußen, wenn die strengen Hygienenormen wie Maskenpflicht für Personal und Gäste nicht eingehalten werden.

Der Tabakhändler stöhnt, erst am Morgen hatte er einen Polizisten im Laden, der ihn sofort zurechtwies, weil die Maske unter das Kinn gerutscht war.

Endlich Freizeit in der Coronazeit

Friseur Stefano dagegen gehört zu den Hygienehardlinern, die Schuhsohlen desinfiziert er auf eigene Initia­tive. Er findet die strengen Vorschriften rundum positiv. Und er gehöre auch nicht zu denen, die während des Lockdowns gemeckert hatten, zu all den Ladenbesitzerinnen, Restaurantbetreibern, Chefs und Chefinnen von Friseur- und Beautysalons, denen die Aufhebung der Schließung gar nicht schnell genug gehen konnte.

Klar, auch er sei im Minus gelandet, rechnet er vor, doch mit der Steuergutschrift von 60 Prozent der Ladenmiete in den Ausfallmonaten und der Hilfe für Selbstständige in Höhe von 600 Euro monatlich sei er über die Runden gekommen.

„Auf der anderen Seite waren das zwei herrliche Monate für mich“, strahlt er plötzlich. Seit Jahrzehnten habe er sich jedes Jahr nur zwei Wochen Sommerurlaub gegönnt, „so viel Zeit für mich wie jetzt habe ich seit Ewigkeiten nicht mehr gehabt“.

Gut gelaunt ist auch der Besitzer des Fahrradladens um die Ecke. „Neue Normalität“ – das heißt für ihn eine lange Schlange von Kund*innen. Busse und U-Bahnen sind derzeit out in Rom, das Fahrrad ist plötzlich in. Staat und Stadt helfen der neuen Leidenschaft kräftig nach. Die Regierung hat 240 Millionen Euro bereitgestellt, um den Zweiradkauf zu fördern. 60 Prozent der Kaufsumme, bis maximal 500 Euro, gibt es jetzt vom Staat, egal ob für das klassische Rad, fürs Mountain- oder fürs E-Bike. Die Stadt Rom wiederum legte 150 Kilometer neue Radwege an – per Pinselstrich, auf Kosten der Auto­spuren.

Unsichere An­fän­ge­r*in­nen auf dem Rad

Eine „neue Seuche“ will der missmutige Nachbar mit vielleicht etwas unpassender Wortwahl in den Scharen neuer Rad­le­r*in­nen ausgemacht haben, „rollende Verkehrshindernisse“ nennt er sie. Gewiss, viele der Anfänge­r*in­nen sind an ihrem langsamen Antritt, ihrer unsicheren Fahrweise sofort zu erkennen, doch das ändert nichts daran, dass Rom vor allem in einem Punkt wieder „normal“ geworden ist: Hupend und stinkend schieben sich wie vor Coronazeiten die Schlangen der Pkws und Kleinlaster durch die Stadt.

Und wären da nicht die Schutzmasken, die so gut wie alle auf der Nase oder auch nur auf dem Kinn haben – in den Stadtvierteln scheint Rom zum Leben vor Corona zurückgekehrt zu sein. Die Einkaufsstraßen sind belebt, die Tische vor den Espressobars oder den Pizzerien gut besetzt. Ganz anders das Bild im Stadtzentrum. Dort sind gegenwärtig die Rö­me­r*in­nen die einzigen Touristen.

Maurizio, Inhaber eines kleinen Restaurants hinter dem Pantheon, hat gerade erst wieder geöffnet. Er würde sich über Gäste aus Berlin freuen und rechnet vor: „In Rom mit seinen 3 Millionen Einwohnern lag die Zahl der täglichen Neuansteckungen mal bei 2, mal bei 5 oder 7“ – Berlin liege da deutlich drüber. Er rät dazu, sofort in die Ewige Stadt zu reisen. Wann, wenn nicht jetzt, gebe es die Gelegenheit, das Kolosseum, den Petersdom, den Trevi-Brunnen zu sehen, ohne sich durch Besuchermassen schieben zu müssen?

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Promovierter Politologe, 1985-1995 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Unis Duisburg und Essen, seit 1996 als Journalist in Rom, seit 2000 taz-Korrespondent, daneben tätig für deutsche Rundfunkanstalten, das italienische Wochenmagazin „Internazionale“ und als Wissenschaftlicher Mitarbeiter für das Büro Rom der Friedrich-Ebert-Stiftung.

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